Arbeitsrecht

Patientendaten fotografiert – fristlos entlassen

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Berlin -

Für die Gesundheitsberufe gelten strenge Verschwiegenheitspflichten. Leitet eine Arzthelferin Patientendaten an Dritte weiter, darf ihr fristlos gekündigt werden. Einer vorherigen Abmahnung bedarf es in einem solchen Fall nicht. Dies entschied das Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg.

In dem Fall ging es um eine Arzthelferin in einer radiologischen Praxis mit insgesamt 40 Mitarbeitern. Sie war für die Terminverwaltung zuständig, in ihrem Arbeitsvertrag war ausdrücklich eine Verschwiegenheitsklausel enthalten. Als jedoch eine Patientin im Oktober 2015 eine Untersuchung absagte, rief die damals 52-Jährige deren Datenblatt auf. Darauf standen der Name und das Geburtsdatum der Patientin, der zu untersuchende Körperbereich und das dafür notwendige medizinische Gerät.

Die Angestellte fotografierte das Datenblatt mit ihrem Handy und leitete es per Whatsapp mit dem Zusatz „Mal sehen, was die schon wieder hat“ weiter an ihre Tochter. Diese zeigte die Nachricht im Sportverein herum. Darüber beschwerte sich wiederum der Vater der Patientin in der Praxis. Die Arzthelferin räumte den Vorfall zunächst ein, woraufhin ihr fristlos gekündigt wurde.

Dagegen zog sie vor Gericht. Sie war der Meinung, ihr könne kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorgeworfen werden. Sie habe nicht vorsätzlich gehandelt, sondern einfach nicht darüber nachgedacht, ob ihr Verhalten erlaubt sei oder nicht. Sie habe ihre Tochter nur über den ursprünglich vereinbarten Untersuchungstermin der Patientin informiert, aber keine Diagnose mitgeteilt.

Sie sei einem Verbotsirrtum unterlegen: Ihre Ausbildungszeit liege mehr als 30 Jahre zurück; ob sie damals detailliert über die Reichweite der von ihr zu wahrenden Geheimhaltungspflichten unterrichtet worden sei, wisse sie nicht mehr. Dass sie nicht nur gesetzlich, sondern auch nach dem Arbeitsvertrag zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen sei, wollte sie 3,5 Jahre nach Unterzeichnung ebenfalls nicht mehr gewusst haben. Die Praxisinhaber hätten es unterlassen, sie eindeutig auf ihre besonderen Verschwiegenheitspflichten hinzuweisen. Sie sei sich deshalb nicht bewusst gewesen, falsch zu handeln.

Eine vorsätzliche Vertragsverletzung könne ihr nicht vorgeworfen werden. Es hätte daher ausgereicht, sie abzumahnen. Gegebenenfalls hätten die Ärzte sie anweisen können, das Smartphone nicht mehr an den Arbeitsplatz mitzunehmen. Tägliche Taschenkontrollen hätten leicht für die Einhaltung der Anweisung sorgen können. Die Argumentation der Praxisinhaber, das Verhalten der ehemaligen Mitarbeiterin könne zum einem Vertrauensverlust bei den Patienten führen, ließ ihr Anwalt nicht gelten: Allein auf Grund der räumlichen Entfernungen zwischen ihrem Wohnumfeld, dem der ehemaligen Patientin, die jetzt in Freiburg lebe, und der radiologischen Praxis gehe das Risiko des Patientenverlustes bei einer Großstadt mit circa 300.000 Einwohnern gegen Null.

Schon das Arbeitsgericht Mannheim wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht sah ebenfalls eine schwerwiegende vorsätzliche Verletzung der arbeitsvertraglich vereinbarten Verschwiegenheitspflicht. Ein Verbotsirrtum würde die Vorstellung voraussetzen, es sei erlaubt, die Patientendaten zur Befriedigung familiärer Neugier weiterzuleiten. „Gedankenlosigkeit begründet eine derartige Vorstellung nicht. […] Auch in der Laiensphäre – die Klägerin ist allerdings medizinische Fachkraft – war klar, Patientennamen gehen die Tochter nichts an. Das gilt erst recht, wenn die Patientin persönlich bekannt ist.“

Laut Gericht stellt es grundsätzlich einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses dar, wenn die medizinische Fachangestellte einer Arztpraxis Patientendaten unbefugt nach außen gibt. „Die Gewährleistung der ärztlichen Schweigepflicht auch durch das nichtärztliche Personal ist grundlegend für das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Die Betreiber medizinischer Einrichtungen haben daher ein gewichtiges Interesse daran, dieses Vertrauen bei Störungen durch Preisgabe von Patientendaten möglichst schnell wiederherzustellen.“

Insofern sei auch die fristlose Kündigung gerechtfertigt: Eine Abmahnung hätte laut Urteil das Vertrauen der Inhaber in die Diskretion der Mitarbeiterin nicht wiederherstellen können. „Der vertrauliche Umgang mit Patientendaten ist für eine Arztpraxis zum einen so grundlegend, dass sich jede Mitarbeiterin bewusst ist, sie stellt ihr Arbeitsverhältnis in Frage, wenn sie Daten unbefugt nach außen gibt. Zum anderen ist der vertrauliche Umgang mit Patientendaten auch so selbstverständlich, dass ein Verstoß hiergegen das für das Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen der Praxisbetreiber in die Diskretion seiner Angestellten besonders nachhaltig und deshalb unwiederbringlich beeinträchtigt.“

Das gelte erst recht bei einer Angestellten, die die Vertraulichkeitsklausel im Arbeitsvertrag „nur als ein Detail unter Vielen betrachtet und sich deshalb dann, wenn es darauf ankommt, nicht mehr daran erinnern kann und die den Namen der ihr bekannten Patientin ohne Not gedankenlos aus einer Laune heraus weitergibt, was eine erhebliche Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen der Patientin deutlich macht. Eine Abmahnung der Klägerin wäre daher nicht geeignet gewesen, das verloren gegangene Vertrauen in die Diskretion der Klägerin wiederherzustellen.“

Ihr Verhalten habe die Ärzte geradezu dazu gezwungen, gegenüber Patienten und überweisenden Ärzten deutlich zu machen, dass in ihrer Praxis der Schutz der Patientendaten trotz des Vorfalls gewährleistet sei. „Das konnten sie nur durch eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin erreichen. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hätte das Risiko mit sich gebracht, dass Patienten oder überweisende Ärzte, denen der Vorfall am 22. Oktober 2015 aus Erzählungen der betroffenen Familie bekannt war, mit der Klägerin in Berührung gekommen wären und so den Eindruck gewonnen hätten, der Schutz der Patientendaten sei in der Praxis der Beklagten nach wie vor nicht gewährleistet.“

Dass die Angestellte bereits im fortgeschritten Alter war, können den Ärzten nicht zur Last gelegt werden, da diese sie erst wenige Jahre zuvor eingestellt hatten. Außerdem sei der Arbeitsmarkt günstig gewesen, was sich darin zeige, dass die Arzthelferin bereits wenige Monate später einen neuen Job hatte.

Grundsätzlich sind Arbeitnehmer, die ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblichem Maße verletzen, vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Das gilt auch dann, wenn die Vertragsverletzung des Arbeitnehmers das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Person beeinträchtigt, soweit mit einer Wiederherstellung des Vertrauens gerechnet werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nicht, wenn eine Verhaltensänderung in der Zukunft selbst nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass der Arbeitnehmer erkennen konnte, der Arbeitgeber werde diese nicht hinnehmen und das Arbeitsverhältnis beenden.

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