Flüchtlingsversorgung

eGK für Flüchtlinge: Einheitliche Regelung fehlt

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Hannover/Mainz -

Die meisten Asylbewerber in Deutschland müssen erst zum Amt, bevor sie bei einer akuten Erkrankung einen Arzt aufsuchen dürfen. In einigen Bundesländern dürfen sie sich mit einer elektronischen Gesundheitskarte sofort in Behandlung begeben – jedoch vielerorts nur in einzelnen Städten und Landkreisen. Eine einheitliche Regelung? Fehlanzeige. Eine Chance dafür gebe es allenfalls, wenn es nach der Bundestagswahl eine neue Konstellation geben sollte, meint Stefan Etgeton, der für die Bertelsmann-Stiftung die medizinische Versorgung von Flüchtlingen im Blick hat.

„Durch den Rückgang der Flüchtlingszahlen ist der Druck raus für grundlegende Veränderungen“, sagt Etgeton. „Das würde sich ändern, wenn sich der Zustrom wieder erhöhen würde.“ Nach den bisherigen Erfahrungen habe sich die Befürchtung, dass die Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu Mehrkosten bei den Kommunen führen werde, nicht bestätigt. Stattdessen gebe es Effizienzgewinne und Einsparungen für die Verwaltung. „Es ist eine Frage der Menschenwürde, aber auch der Effizienz.“

Die Kommunen kommen ins Spiel, sobald Asylbewerber die Erstaufnahme verlassen, die in der Verantwortung der Bundesländer liegt. Wird danach medizinische Betreuung nötig, sind die Kommunen für die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge zuständig. Das Gesetz sieht Leistungen „zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ vor. Eine eigene Krankenversicherung für Asylbewerber gibt es erst nach 15 Monaten.

Pionier bei der Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist Bremen. Dort erhalten Asylbewerber seit 2005 direkt nach ihrer Registrierung eine Gesundheitskarte der AOK. „Die Karte macht den Arztbesuch für Flüchtlinge unkomplizierter“, sagt Sozial- und Integrationssenatorin Anja Stahmann (Grüne). „Damit sinkt auch die Hürde, zum Arzt zu gehen, und Krankheiten werden nicht verschleppt.“ Mit dem Vorlegen der Karte werde ein Asylbewerber so behandelt wie jeder andere Patient. Und: „Wir haben auch eine bessere Kostenkontrolle: Die Krankenkasse kann sinnvoll bewerten, ob die Ausgaben medizinisch notwendig waren. Für Verwaltungsbeamte in der Sozialbehörde ist das viel schwieriger.“

Hamburg folgte 2012 der Bremer Regelung. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein können Flüchtlinge seit 2015 eine Gesundheitskarte erhalten, in Berlin seit Januar 2016. In Thüringen ist es seit Anfang 2017 so weit. Die elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerber und Geflüchtete mit einer Duldung entspricht dort auch einer Forderung der Ärzte, die sich davon weniger Abrechnungsaufwand versprechen. Noch nichts oder nur wenig passiert ist in Hessen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Bayern ist gegen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge.

In mehreren Bundesländern haben die Landesregierungen eine Vereinbarung mit den Krankenkassen geschlossen, die eigentliche Einführung liegt aber bei den Kommunen. Damit wird der Flickenteppich der Versorgung noch verwirrender. So wird etwa die Einführung der Gesundheitskarte in Brandenburg von sechs Landkreisen und der Stadt Frankfurt (Oder) abgelehnt.

In Niedersachsen ist Delmenhorst die einzige Kommune, die bislang eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge eingeführt hat. Seit Anfang Januar wurden dort mehr als 500 Karten ausgegeben, in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse Barmer GEK. In Hannover gab es eine Anhörung im Sozialausschuss, eine Entscheidung steht noch aus.

Auch in Rheinland-Pfalz hat es lange gedauert, bis sich die ersten Kommunen zu diesem Schritt entschlossen haben. Inzwischen sind es drei: Trier, Mainz und der Landkreis Kusel. Das Verfahren mit dem Schein vom Amt „diskriminiert Flüchtlinge, es verhindert unter Umständen eine notwendige zeitnahe medizinische Behandlung, erfordert Personal- und Sachmittel auf kommunaler Ebene und überfordert ein medizinisch ungeschultes Personal“, sagt Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD).

Städte und Kreise haben aber weiterhin Bedenken: „Wir haben einen sehr detaillierten Kostenvergleich aufgestellt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gesundheitskarte für Flüchtlinge einen deutlichen Mehraufwand bedeutet gegenüber der Organisation mit eigenem Personal bedeutet“, sagt der Pirmasenser Oberbürgermeister Bernhard Matheis (CDU).

Im Ergebnis stellt sich die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge in Deutschland als Flickenteppich dar, bei dem der zugewiesene Wohnort über einen guten oder weniger guten Zugang zum Gesundheitssystem entscheidet, wie die Forscher der Bertelsmann-Stiftung kritisieren. „Die Idee, Asylsuchenden einen direkten Zugang zum Gesundheitssystem zu verschaffen, ist in die Mühlen der föderalen Strukturen und widersprüchlichen Kostenträgerinteressen geraten und wird darin aufgerieben.“

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