Früher Apotheke, jetzt Keramik-Showroom

Vorsicht, zerbrechlich! Die verdrehte, vergoldete Welt der Kühns

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Berlin -

Berlin-Kreuzberg ist nicht gerade als Mekka der Eleganz bekannt. Da liegen gebrauchte Sofas en masse auf den Gehwegen und fliegt schon mal ein gebrauchter Fernseher aus dem Fenster. Umso erstaunlicher ist dieser Ort: In der alten Anhalter-Apotheker wird feinste Keramikware her- und ausgestellt. Tassen mit vergoldeten Henkeln! Hasen mit goldenen Ohren! Besuch in einer anderen Welt.

Normalerweise tut es ein bisschen weh, wenn man eine schöne, alte Apotheke erblickt, in die eine andere Branche eingezogen ist. Hier nicht. Wer die ehemalige Anhalter-Apotheke in der Yorckstraße betritt, verliert plötzlich das Berlin-Gefühl. Hundehaufen, Lärm, Unfreundlichkeit, mit einem Mal ist alles Negative ganz weit weg. Es ist die schöne, zerbrechliche Welt von Claudia und Bernhard Kühn. Sie teilen sie gern mit dem Rest der Welt.

Für einen schnellen Besuch ist ihr Showroom nicht geeignet. Denn kaum hat man eine schöne Tasse, vielleicht die mit dem Konterfei von Albert Einstein, Elvis Presley, Richard Wagner oder Karl Marx entdeckt, wartet im nächsten Regal schon die nächste Überraschung. Kleine, pastellfarbene Espressotässchen! Wie aus der Puppenstube. Die meisten haben einen vergoldeten Henkel, es ist eines der Markenzeichen von Kühn Keramik.

Kühn wie sein Name sind Bernhards Entwürfe. Aber liebenswert kühn, verspielt und über allem schwebt die Frage, wo eigentlich Alice im Wunderland ist, denn sie müsste hier eigentlich Stammkundin sein. Kühn produziert keine Massenware, sondern verspielte Stücke, die natürlich ihren Zweck erfüllen sollen. Die kleinen Pretiosen entstehen unter der Apotheke, im Souterrain. Dort hat Bernhard Kühn seine Werkstatt, darüber befindet sich der Showroom.

Angst vor zerbrochenen Keramikdingen hat er nicht: „Dann kaufen die Kunden Neues, hat doch auch sein Gutes“, sagt er schelmisch lächelnd. 55 Euro kostet ein Deluxe-Kaffeepott. Kühn stellt Gegenstände her, die die Menschen in Gebrauch haben sollen. Die schönste Tasse mutiert schließlich zum nutzlosen Staubfänger, wenn niemand aus ihr trinkt.

Im Showroom geht wenig zu Bruch, obwohl man die Ware hier anfassen darf. Die Kunden hier huschen nicht eben mal für fünf Minuten in die alte Apotheke. Sie bleiben gerne länger. Und sie gehen höchst vorsichtig mit der Ware um. Ein bisschen ist es wie im Museum, nur dass die guten Stücke fast alle zu kaufen sind. Im Untergeschoss werkelt derweil Herr Kühn.

Oben berät seine Ehefrau die Kunden. Oft sind die beiden unterwegs, besuchen Luxus- und Fachmessen in aller Welt, denn ihre Ware hat Freunde in aller Herren Länder. Den Großteil des Hergestellten verkaufen die Kühns denn auch im Ausland.

Es gibt auch Ulkiges, Dinge, die den Betrachter innehalten und lächeln lassen. Die Keramik-Spielkarten zum Beispiel. Wer sie kauft, ist selbst schuld. Schließlich steht „Spielkarten, Achtung! Total unpraktisch!“ auf dem Verkaufsschild. Wer seine Ware so anpreist, muss ganz schön, ja, was denn eigentlich? Selbstbewusst sein? Darauf hoffen, dass seine Kunden das auch gut finden oder ein ungewöhnliches Geschenk suchen? Vermutlich ist es eine Mischung aus allem.

Perfekt unperfekt nennt der freundliche Künstler seine Werke. Geometrisch genau ist hier, außer der alten Apothekeneinrichtung, nichts. Alle Gefäße sind handgeformt und haben im Innern Fingerabdrücke. „In den 80er-Jahren diente Keramik der Selbstfindung, es war ein Modeberuf“, erzählt er.

Die ersten Versuche unternahm er, nachdem seine Mutter als Hobby damit begonnen hatte. Mit Drehscheibe. Die lehnt er kategorisch ab: „Das hat nichts Zufälliges.“ Zu spießig, sie macht alles gleichmäßig, das ist nicht sein Ding. Seine Philosophie beruht auf dem Verspielten des Barock, auf Gold und Überfluss und Pracht.

Nach einer dreijährigen Keramikerlehre an der Berufsfachschule in Landshut hat Kühn nach seiner Gesellenprüfung in Paris studiert. 2012 ist er mit Ehefrau und Mops in Kreuzberg spazieren gegangen und hat eher zufällig die im Jahr 2009 geschlossene Apotheke entdeckt. Die Geschäftsräume wurden im Jahr 1887 eröffnet – allerdings als Wirtshaus. Erst drei Jahre später zog der Apotheker ein. Im 21. Jahrhundert wurde sie zu ihrem Ort, den die Kühns liebevoll vom Staub der Zeit befreit und dem sie seinen Charme belassen haben.

Kühn ist eine international bekannte Marke und macht im Ausland 95 Prozent ihres Umsatzes. Wer es nicht nach Kreuzberg schafft, bestellt online. Niemand weiß warum, aber in Norwegen sind goldene Totenschädel-Becher ein Verkaufsschlager.

Die Kühns haben sich in Kreuzberg, dem Mekka des Punk, der Probleme und des Multikulti, ein Paradies der kleinen Schönheiten geschaffen. Er sagt: „Ich denke, ich hätte auch Konditor oder Koch werden könne. Ich wollte einfach mit meinen Händen arbeiten und alles, was man braucht, sind ein paar Zutaten und ein Ofen.“ Ein paar Schritte weiter gibt es eine Tortenproduktion mit erstklassiger Ware und kleinem Café. Gut, dass Kühn sich dann doch für Keramik entschieden hat.

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