Sprechstundenbedarf retaxiert

Grippeimpfstoffe: 5 Euro Strafe pro Dosis

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Berlin -

Die Grippesaison 2016/17 ist für die Apotheken in Bayern noch nicht überstanden. Denn im Wirrwarr um Kanüle und Nadelschutz kassieren einzelne Apotheken zwei Jahre später Vertragsstrafen. Zu Recht, findet die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern: Eine Frist für die Vertragsmaßnahmen nach § 11 des Arzneimittelliefervertrages gebe es nicht; 5 Euro würden pro falsch gelieferter Impfdosis fällig, schließlich sei den Kassen ein finanzieller Schaden entstanden. Zu Unrecht, finden die Apotheken und ihr Verband.

Für den aktuellen Fall muss die Uhr um mehr als zwei Jahre zurückgedreht werden. In der Grippesaison 2016/17 hatten die Krankenkassen in Bayern den saisonalen Grippeimpfstoff nach § 132e Sozialgesetzbuch (SGB V) ausgeschrieben. Die Zuschläge hatten Mylan mit Xanaflu Fertigspritzen ohne Kanüle und Seqirus mit Afluria Fertigspritzen mit Kanüle ohne Nadelschutz erhalten. Der Vertrag erfasste zudem ausschließlich die Packungen zu zehn Impfdosen. Wer gegen den Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern verstoßen hat, kassiert nun die Rechnung.

Im Oktober erhielt die Anker Apotheke in Miltenberg von Katja Neuerer einen unerfreulichen Brief der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern. Die Nachprüfung der abgerechneten Sprechstundenbedarfsrezepte habe eine Nichteinhaltung der im Arzneimittelversorgungsvertrag festgelegten Abgaberegeln in der Filiale der Mäander Apotheke ergeben. Die Apotheke hatte im Oktober und November 2016 den „falschen“ Grippeimpfstoff geliefert und abgerechnet: Statt Afluria mit Kanüle ohne Nadelschutz hatten die Praxen Afluria mit Kanüle mit Nadelschutz erhalten. Der Abrechnungspreis für beide Varianten ist identisch. Insgesamt wurden 120 Impfdosen nicht vertragskonform geliefert, dafür soll Neurer eine Vertragsstrafe in Höhe von 600 Euro zahlen – 5 Euro pro Spritze. Die Arbeitsgemeinschaft räumte der Apotheke die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme ein, wovon diese Gebrauch machte.

„Es ist korrekt“, räumt Neuerer den Fehler ein. Drei Verordnungen wurden nicht vertragskonform geliefert. Allerdings sei dies aus Versehen geschehen, denn die einzelnen Afluria-Varianten seien in der Taxe vom Anbieter schlecht differenziert und so eine Verwechslung vorprogrammiert gewesen. „Die einzelnen Varianten sind nur knapp abgekürzt. Die Buchstabenkombination ist kryptisch. Eine Unterscheidung ist nur durch den Zusatz ‚ON‘ möglich“, erzählt die Apothekerin. Ein Blick in die Taxe zeigt das Dilemma: Afluria 2016/17 M KAN ON zu zehn Stück, Afluria 2016/17 M KANUEL zu einer Spritze, Afluria 2016/17 M KANUEL zu zehn Stück und Afluria 2016/17 O KANUEL zu zehn Stück sind untereinander gelistet. Probleme mit dieser Darstellung hatte offenbar nicht nur die Apotheke, sondern auch die Arztpraxis. Denn diese hatte per PZN den Impfstoff mit Kanüle mit Nadelschutz als Sprechstundenbedarf verordnet und somit ebenso gegen den Vertrag verstoßen.

Neuerer erklärt außerdem, dass die fehlerhafte Abgabe nicht „unter Vorsatz erfolgte“, sondern das Ergebnis eines Versehens war: Weder sie selbst noch das Personal hätten von der Abgabe gegen den Versorgungsvertrag profitiert oder gar aufgrund von Absprachen einen Vorteil gehabt. Schließlich sei der Abgabepreis der beiden Varianten gleich gewesen, gibt die Apothekerin zu bedenken. Außerdem wurden alle Patienten mit verkehrsfähigen Impfstoffen beliefert und womöglich höhere Folgekosten durch Grippeinfektionen verhindert. „Es ist kein echter Schaden entstanden und ich habe mich auch nicht bereichert“, betont die Pharmazeutin.

Der Apotheke entsteht jedoch durch die Vertragsstrafe ein echter Schaden. Der angesetzte Betrag übersteigt den erzielten Rohertrag um 270 Prozent. Die Höhe der Strafe bezeichnet die Apothekerin als „unangemessen und zu hoch“. Dennoch rückt die Arbeitsgemeinschaft nicht von der verhängten Strafe ab. Dabei besteht die Möglichkeit, denn nach § 13 in Verbindung mit § 11 des Arzneimittelversorgungsvertrages Bayern kann auch eine Verwarnung ausgesprochen werden. „Diese Möglichkeit wurde jedoch nicht wahrgenommen“, ärgert sich die Apothekerin.

Auf die Stellungnahme der Apotheke ist die Arbeitsgemeinschaft nicht eingegangen – Verstoß ist eben Verstoß. „Dies hat eine Vertragsstrafe zur Folge“, auch wenn die Apotheke den Großteil der Impfstoffe vertragskonform geliefert hatte.

Die AOK Bayern bezieht im Namen der Arbeitsgemeinschaft Stellung. Einzelne Apotheken sollen entgegen der damals bestehenden Verträge nicht-rabattierte Impfstoffe abgegeben haben. „Diese waren deutlich teurer als die rabattierten Impfstoffe. Dadurch sind der Versichertengemeinschaft finanzielle Schäden entstanden“, so eine Sprecherin. „Bei den Vertragsstrafen handelt sich um Vertragsmaßnahmen nach § 11 des Bundesrahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung. Diese sind nicht an besondere Fristen gebunden. Der Betrag von 5 Euro/Dosis ist an die Größenordnung des verursachten Schadens angelehnt“, heißt es weiter. Auf die Frage, warum nicht um den Betrag der Apothekenvergütung gekürzt wurde, antwortet die Kasse wie folgt: „Eine Kürzung der abgerechneten Preise wurde nicht vorgenommen, weil die Apotheken keine falschen Preise für die abgegebenen Impfstoffe abgerechnet haben, sondern vertragswidrig die falschen Impfstoffe abgegeben haben.“

Nicht nur Neuerer, sondern auch der Bayerische Apothekerverband (BAV) ist bei der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände auf taube Ohren gestoßen. Denn auch der BAV hatte auf die verschiedenen Möglichkeiten der Sanktionierung hingewiesen und für eine Verwarnung gekämpft – ohne Erfolg. „Auf unsere Stellungnahme hin, in der ein Abrücken von der finanziellen Strafe gefordert wurde, hat sich die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern nicht eingelassen.“ Stattdessen hat der BAV folgende Antwort erhalten: „Die Höhe der Vertragsmaßnahme liegt im Ermessen und hat neben der Sanktionsfunktion auch eine Funktion als pauschalierter Schadensersatz.“ Weiter heißt es seitens der Arbeitsgemeinschaft: „Wir verhängen bei vertragswidriger Abgabe Vertragsstrafen in Höhe von 5 Euro pro Impfdosis, soweit mindestens 10 Impfdosen pro Saison vertragswidrig abgegeben wurden.“

Bleibt den betroffenen Apotheken also nur, die Strafe zu zahlen oder vor das Sozialgericht zu ziehen. Bislang hat Neuerer die 600 Euro noch nicht überwiesen.

„Gewinner“ der Farce ist für die Apothekerin der Hersteller. „Seqirus hat von der Kasse die Vertragsstrafe kassiert und von mir die Impfdosen, für die ich keinen Rabatt bekommen habe. Die Kasse holt sich ihren Verlust von mir wieder. Es ist so, als ob der FC Bayern gegen den Miltenberger SV spielt.“

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