Abnehmen für Apothekenkunden

Anja und die Wundertropfen

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Berlin -

Anja Alchemilla hat es im Apothekenalltag immer wieder mit abnehmwilligen Kunden zu tun. Meistens sind es Frauen, die sich von ihr zu irgendeinem Produkt beraten lassen möchten. Anja hat allerdings oft den Eindruck, es geht vielmehr um Rechtfertigungen. Sie fragt sich manchmal, ab welchem Punkt sie es eigentlich noch mit einem ehrlichen Gespräch zu tun hat und wann sie von den Kunden nur angeflunkert wird.

„Ach Frau Alchemilla... es ist einfach schrecklich. Seit Jahren geht mein Gewicht nur noch nach oben und ich kann rein gar nichts dagegen tun. Das sind die Drüsen, wissen sie? Veranlagung. Meine Mutter hatte das auch. Und nun habe ich den Salat! Die Cholesterinwerte sind durch die Decke gegangen und meine Gelenke tun auch den ganzen Tag nur noch weh. Jetzt habe ich im Internet gelesen, dass es da neue Tropfen geben soll. Redu... irgendwas heißen die. Die schmelzen das Fett weg, steht da in der Reklame. Und drei Kilo bekommt man angeblich in der Woche weg. Kann man über Apotheken kaufen oder im Internet, habe ich gelesen. Was halten sie denn davon?“

Anja schaut die Kundin freundlich an, während sie innerlich mit den Augen rollt. Drüsen... Fett wegschmelzen ohne Diät oder Bewegung... drei Kilo in der Woche... Das ist wieder mal eines der unzähligen Nepper-, Schlepper-, Bauernfänger-Angebote, wie sie besonders im Frühjahr wie Pilze aus dem Boden schießen. Es ist gemein, so mit den Hoffnungen der Menschen zu spielen, aber es ist gut, dass ihre Kundin den richtigen Weg in die Apotheke eingeschlagen hat. Sie erklärt ihr, dass es bisher noch keine Wundermittel in diesem Bereich gibt, und versucht vergeblich, Ernährungs- und Bewegungstipps anzubringen. Die Dame will von Sport und Diäten nichts hören.

„Nein, nein Frau Alchemilla. Das bringt bei mir einfach nichts. Ich habe doch schon alles versucht, von Atkins bis FDH und sogar Intervallfasten. Die ganzen Eiweißpulver und Sättigungskapseln habe ich auch schon durch. Ich habe den ganzen Tag Hunger, dabei esse ich praktisch gar nichts mehr. Ich würde die Tropfen doch mal ausprobieren.“ Anja will einen solchen Blödsinn eigentlich nicht unterstützen und macht noch einen Versuch: „Mit ihrem Arzt haben sie auch einmal gesprochen? Wenn sie sagen, dass sie so wenig essen und trotzdem zunehmen, ist es vielleicht ein Schilddrüsenproblem?“ Die Kundin schüttelt energisch den Kopf.

„Da gehe ich sicher nicht mehr hin! Der hat mir damals Tabletten aufgeschrieben. Von denen habe ich ganz fürchterlichen Durchfall und Blähungen bekommen. Obwohl ich ja praktisch nichts mehr zu mir genommen habe. Das war ganz schrecklich!“ Anja nickt: „Das war sicher der Wirkstoff Orlistat. Der blockiert ein Enzym, das für die Fettverdauung benötigt wird. Daher ist man gezwungen, fettarm zu essen, sonst leidet man unter den Nebenwirkungen, die sie gerade beschrieben haben.“ Die Kundin blickt Anja säuerlich an. „Sie haben nicht richtig zugehört. Ich habe gesagt, dass ich auch damals schon kaum etwas gegessen habe, Frau Alchemilla! Was ist jetzt? Bestellen Sie mir die Tropfen oder nicht?“

Anja blickt ihre Kundin kurz an. Wem ist damit geholfen, wenn sie jetzt hier raus geht und das Gefühl hat, dass ihr niemand beisteht? Sie hat eine Idee: „Wir machen einen Deal, okay? Ich bestelle ihnen die Tropfen, ich habe gerade mal nachgesehen, was drin ist, sie sind immerhin nicht gefährlich. Und im Gegenzug schreiben sie mir drei Tage lang auf, was sie gegessen und getrunken haben. Alles. Und wenn es nur eine Handvoll Himbeeren oder ein kleiner Apfelsaft zwischendurch waren, das ist egal. Dann kommen sie wieder hier her, wir berechnen gemeinsam ihren Grundumsatz und dann schauen wir drüber, ob die aufgenommenen Kalorien dazu im Verhältnis stehen.“

Die Kundin steht zunächst unschlüssig vor dem HV und ringt sichtlich mit sich. „Und sie müssen ehrlich mit mir sein, nicht vergessen!“, fügt Anja hinzu. „Das würden sie tun? Und was kostet mich das?“ Die Filialleiterin lächelt: „Das kostet nur Überwindung. Sie werden sehen, wir finden sicher einen Weg für sie.“ Als die Dame die Apotheke mit ihrem Bestellzettel verlässt, denkt sich Anja, dass das eigentlich auch eine Beratungsleistung ist, die sie der Krankenkasse gerne zur Abrechnung übergeben würde. Eine quasi „austherapierte“ Patientin mit hohem Cholesterinspiegel und Gelenkproblemen wieder dazu zu bringen, neue Hoffnung zu schöpfen und vielleicht sogar einen gesünderen Weg einzuschlagen, ist aber auch so etwas Tolles. Dafür stehe ich hier, denkt sie sich. Genau dafür.

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