Kommentar

Im Auge des Hurrikans

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Düsseldorf -

Im Auge des Hurrikans herrscht für eine begrenzte Zeit Windstille. Der Sturm ist einerseits schon vorübergezogen – aber die nächste Gefahr rast bereits auf die Wartenden zu. In vergleichbarer Lage befinden sich die Apotheker im politischen Schwebezustand zwischen zwei Bundesregierungen. Hinter den Pharmazeuten liegt der stürmische Kampf um das Rx-Versandverbot, vorerst ohne Erfolg. Und am Horizont lauern bereits die kommenden Bedrohungen, kommentiert Lothar Klein.

Die Delegierten des Deutschen Apothekertages haben in den letzten zweieinhalb Tagen das getan, was übrig blieb in dieser Lage. Sie haben sich untergehakt, politische Appelle nach Berlin und Brüssel gesandt und darin den Erhalt der flächendeckenden Arzneimittelversorgung durch das vorhandene Netz der Vor-Ort-Apotheken beschworen. Was machtvoll ausfallen sollte, klingt wie das Pfeifen im Wald bei einsetzender Dämmerung.

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt ist es mit seiner Rede immerhin erneut gelungen, die Reihen hinter sich zu schließen. Kritik perlt an ihm auch deshalb ab, weil in Düsseldorf nicht wirklich über die notwendigen Antworten auf die anstehenden Probleme diskutiert wurde. Dafür ist in der Schmidtschen Kuschelatmosphäre kein Platz. Nur: Mit einer gelungenen Rede pro Jahr lässt sich die Apothekerschaft nicht in die Zukunft führen.

Und diese ist unsicherer denn je: Hermann Gröhe (CDU) hat sich zwar nicht allein aus Wahlkampfgründen auf dem DAT als Apothekerfreund präsentiert wie kein anderer Gesundheitsminister zuvor und sich seinen Applaus abgeholt. Verlassen kann man sich auf die schönen Worte und Versprechungen allerdings nicht. Sie sind ungedeckte Schecks. Niemand weiß, welche Regierung demnächst die Politik bestimmt.

Und ob Gröhe seine Arbeit als Gesundheitsminister fortsetzen kann und will, ist ebenso ungewiss. Aus dem kurzen Draht kann demnächst wieder ein lange Leitung mit Besetztzeichen am anderen Ende werden – vor allem wenn die FDP die Amtsgeschäfte im BMG übernimmt. Aber auch mit der SPD und vor allem in einer Jamaika-Koalition dürften die Apotheker auf keine Geschenke hoffen.

Und wer weiß schon, wie das Urteil der Richter des Bundesgerichtshofes am 5. Oktober im Skonto-Streit ausfällt. Verlieren die Großhändler die Möglichkeit, den Apotheken mit Skonti die Bilanz aufzuhübschen, rutschen noch mehr an die Existenzgrenze.

Auf jeden Fall müssen sich die Apotheker auf die anstehende Honorardiskussion gefasst machen. Das 2hm-Gutachten wird die nächste Bundesregierung zwingen, das Einkommen der Apotheker genau unter die Lupe zu nehmen. Vermutlich werden die Gutachter das heutige Fixhonorar von 8,35 Euro pro Arzneimittelpackung und den 3-prozentigen Aufschlag als zu großzügig bewerten. Im Gespräch sind Vorschläge zu einer Differenzierung des Honorars nach Lage und Umsatz von Apotheken. Mit welchem Ergebnis die Diskussionen auch endet, eines gilt als gewiss: Mehr als die heutigen fünf Milliarden Euro wird es nicht werden. Es geht um Umverteilung.

Und dann rollt die Digitalisierung auf die Apotheker zu. Die Politik um Schutz vor den Folgen zu bitten, ist naiv. Wie lange will sich die ABDA eigentlich noch den Kopf über Risiken und Nebenwirkungen von Apps zerbrechen, wenn tagtägliche neue Angebote den Markt erobern? Man hätte sich vom DAT gewünscht, über das elektronische Rezept zu diskutieren. Die Politik drängt mit Nachdruck. Aufhalten lässt es sich nicht. Welche Antwort hat die ABDA darauf? Fehlanzeige.

Symbolträchtig für die Lage der Apotheker im Zeitalter der Digitalisierung ist die auf der Expopharm vorgestellte digitale Rezeptsammelstelle des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg. Der Fortschritt der Apotheker klammert sich an die gute alte Zeit des gusseisernen Briefkastens. Wenn aber demnächst das Zeitalter des Papierrezeptes endet, haben Rezeptsammelstellen ausgedient – egal ob digital oder nicht. Würde ein Unternehmer in Zwischenschritte investieren, wenn die Zukunft schon am Horizont winkt?

In den vergangenen Jahrzehnten feierte die ABDA zuverlässige Erfolge mit ihrer Politik der Besitzstandwahrung. Die Apothekenpflicht hält, das Fremd- und Mehrbesitzverbot steht – aber die Fundamente des deutschen Apothekensystems wanken. Nach dem stürmischen Jahr seit dem EuGH-Urteil müssen sich die Apotheker ab dem 24. September auf neue Attacken einstellen. Ob sie dieses Mal darauf besser vorbereitet sind als vor zwölf Monaten, konnte man auf dem DAT 2017 jedenfalls nicht erfahren.

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