Arzneimittelpreise

Bald Zwangslizenzen für Roche und Novartis?

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Berlin -

Die beiden Pharmariesen Roche und Novartis stehen unter öffentlichem Druck: In der Schweiz hat die Nichtregierungsorganisation Public Eye eine breite Medienkampagne gegen die Medikamentenpreise der beiden Konzerne gestartet. Unter anderem fordert sie in einer Petition Zwangslizenzen für hochpreisige Arzneimittel – und erhält dafür prominente Unterstützung. Die betroffenen Unternehmen halten die Forderung für „konfrontativ und ideologisch“.

„Brauche 100.000,- für Krebs-Medis“, steht auf dem Pappschild einer Bettlerin auf dem Zürcher Paradeplatz. Samt Infusionsständer sitzt sie im Krankenhaushemd auf dem Bürgersteig und fragt Passanten, ob sie ihre Therapie im Zweifelsfall bezahlen würden. Die Frau ist weder krebskrank noch bettelt sie wirklich um Geld. Sie ist eine bezahlte Schauspielerin, die die NGO Public Eye engagiert hat, um auf die Preise neuer Krebsmedikamente aufmerksam zu machen. Die parteipolitisch unabhängige Organisation hat am Dienstag eine umfassende Kampagne gestartet, mit der sie die Unternehmen auffordert, ihre Preise zu senken und die Schweizer Regierung dazu bringen will, Zwangslizenzen auf neue Krebstherapien von Roche und Novartis einzusetzen.

„Heilungschancen dürfen keine Geldfrage sein, weder in der Schweiz noch anderswo“, fordert die NGO. Doch selbst das Gesundheitssystem der reichen Alpenrepublik sei kaum noch in der Lage, die „überrissenen Preise“ der Pharmakonzerne zu schultern. Mittels einer Sammelbeschwerde fordert Public Eye den Bundesrat – das Pendant zur deutschen Bundesregierung – deshalb auf, „das im Gesetz vorgesehene und wirkungsvolle Instrument der Zwangslizenz vollumfänglich anzuerkennen und immer dann anzuwenden, wenn die umfassende Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gefährdet ist“. Einen Tag nach Kampagnenstart haben bereits knapp 4000 der anvisierten 10.000 Bürger unterzeichnet.

Würde die Schweizer Regierungen den Forderungen folgen, bedeutete das, dass trotz bestehenden Patentschutzes die Herstellung und der Vertrieb generischer Alternativen zu den Originalprodukten möglich wären. Tatsächlich sind Zwangslizenzen im internationalen Patentrecht vorgesehen, kommen aber nur äußerst selten zum Einsatz. In Deutschland entschied der Bundesgerichtshof zuletzt im August 2016, dass eine Zwangslizenz in Kraft tritt. Dem lag ein Streit zwischen dem japanischen Unternehmen Shionogi und MSD Sharp & Dohme um das HIV-Medikament Isentress (Raltegravir) zugrunde. Momentan streiten sich beide Unternehmen erneut wegen der Entscheidung, nämlich darum, wie viel Lizenzgebühren MSD Sharp & Dohme an den Konkurrenten zahlen muss.

Auch international sorgen Zwangslizenzen immer wieder für politische Spannungen. So hatte Kolumbien 2014 versucht, die Vermarktung von 70 vorhandenen Generika von Novartis’ Leukämie- und Darmkrebs-Medikament Glivec (Imatinib) als öffentliches Interesse per Zwangslizenz durchzusetzen. Der Preis des Originalpräparates hatte das kolumbianische Gesundheitssystem überlastet. Obwohl Glivec auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel steht, scheiterte das Vorhaben – auch daran, dass die Schweizer Regierung Druck ausübte und Zwangslizenzen öffentlich als Patententeignung verurteilte, die die Innovationskraft der Pharmabranche hemme. Nicht zuletzt der damalige Novartis-Geschäftsführer Joe Jimenez hatte sich mit einem später geleakten Brief persönlich an den kolumbianischen Präsidenten gewandt, um ihn von der Idee abzubringen.

Public Eye bezieht sich nun in seiner Kampagne auch auf diese Ereignisse und kommt in einem Fachbericht unter dem Titel „Protect Patients, not Patents“ zu dem Schluss, dass die Schweizer Regierung „mittels Zwangslizenz die Balance zwischen privatem Profitstreben und öffentlichem Gesundheitsinteresse endlich wieder herstellen“ könne. Dabei würde ein solches Vorgehen nicht nur das eigene Gesundheitssystem entlasten, „sondern hätte globale Signalwirkung und könnte andere Regierungen motivieren, dasselbe zu tun”. Zum Kampagnenstart erhielt Public Eye für sein Anliegen breite Unterstützung hochrangiger Vertreter aus Politik und Wissenschaft. In einer Medienkonferenz sprachen sich unter anderem die ehemalige Bundespräsidentin Ruth Dreifuss, der ehemalige Nationalrat Franco Cavalli und die Präsidenten der Stiftung Krebsforschung Schweiz, Thomas Cerny, sowie der Schweizer Krebsliga, Gilbert Zulian, für die Initiative aus.

Die betroffenen Unternehmen weisen die Vorwürfe indes entschieden zurück. „Medikamentenpreise sind kein Kostentreiber in der Schweiz und der Zugang zu Krebsmedikamenten ist in der Schweiz gut“, äußert sich eine Roche-Sprecherin gegenüber APOTHEKE ADHOC. Der Anteil der Medikamente an den Gesundheitskosten betrage rund 13 Prozent und sei seit Jahren trotz vieler Innovationen stabil. Die Interessen von Konzernen wie Roche und Novartis werden gegenüber der Politik vor allem von Interpharma vertreten, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Unternehmen der Schweiz. Er ist das Pendant zum deutschen Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA). „Die Forderung nach Zwangslizenzen ist konfrontativ und ideologisch“, so die Verbandssprecherin gegenüber APOTHEKE ADHOC. „Ohne Patente gibt es keine Forschung, keine neuen innovativen Medikamente und somit auch keine Generika.“

Dennoch sei auch die Pharmaindustrie an einem nachhaltigen Schweizer Gesundheitswesen interessiert. „Und uns ist bewusst, dass wir einen Beitrag zur Kostensenkung leisten müssen“, so Interpharma. Deshalb setze sich der Verband für die Weiterentwicklung und Flexibilisierung des Preisbildungssystems ein. Bereits seit 2014 habe die Industrie deshalb in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen erste Ansätze dazu entwickelt, darunter Modelle für Kombinationstherapien und Performance Based Pricing. Roche wiederum spricht von einer „nutzenbasierten Preisstrategie“. Dies bedeute, der Preis eines Medikaments reflektiere „den Wert, den ein Medikament den Patienten, den Kostenträgern und der Gesellschaft bietet, die Wettbewerbssituation auf dem Markt sowie die Erschwinglichkeit unserer Produkte für Gesundheitssysteme und einzelne Personen“.

Genau diese Absicht bezweifelt die Sozialdemokratin Ruth Dreifuss in ihrem Statement für Public Eye. Als Bundesrätin, die mit der Festsetzung von Arzneimittelpreisen betraut war, habe sie die Erfahrung gemacht, „dass es ein ungleicher Kampf ist zwischen den Behörden, die sich für das Gemeinwohl einsetzen müssen, und der Pharmaindustrie”. Es fehle auf öffentlicher Seite schlicht an Informationen. Die Unternehmen beriefen sich bei ihren Preisvorstellungen zwar auf die Entwicklungskosten, aber „man weiss nicht, was die tatsächlichen Kosten von Forschung und Entwicklung sind“, so die ehemalige Regierungschefin. „Man nimmt an, dass sie tiefer sind als die Marketingkosten.”

Insbesondere für Novartis kommt die Kampagne als weitere Baustelle der Öffentlichkeitsarbeit denkbar ungelegen. Der Konzern hat derzeit auch an anderen Fronten zu kämpfen: So hat das griechische Parlament Ende vergangener Woche beschlossen, Untersuchungen gegen das Unternehmen einzuleiten, weil ihm die Bestechung hochrangiger griechischer Politiker vorgeworfen wird. Nur wenige Tage zuvor war Chefjurist Felix Ehrat zurückgetreten, nachdem bekanntgeworden war, dass der Konzern 1,2 Millionen US-Dollar an Michael Cohen, den persönlichen Anwalt von US-Präsident Donald Trump, gezahlt hat. Novartis wollte sich so Zugang zu Regierungskreisen im Weißen Haus beschaffen.

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