Valsartan-Verunreinigung

ARD-Beitrag: Eine Tablette so schädlich wie fünf Zigaretten

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Berlin -

Mit gutem Wissen und Gewissen schluckten etwa 900.000 Deutsche täglich den Blutdrucksenker Valsartan. Der weltweite Skandal um den verunreinigten Wirkstoff lässt noch viele Fragen unbeantwortet. Die Reporter des ARD-Magazins „Fakt“ wollen einige Fragen mit Hilfe von Experten wie Professor Dr. Mona Tawab vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL), Professor Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen und Professor Dr. Thomas Eschenhagen, Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie, beantworten.

Wie kann es sein, dass von den in Deutschland betroffenen 17 Arzneimittelherstellern über einen Zeitraum von sechs Jahren trotz Kontrollbehörde nicht bemerkt wurde, dass das vom chinesischen Unternehmen Zhejiang Huahai Pharmaceutical produzierte Valsartan mit dem als möglicherweise krebserregendem N-Nitrosodimethylamin (NDMA) verunreinigt ist? Dieser zentralen Frage gingen die Reporter nach.

Wird ein Arzneimittel neu zugelassen, so sind entweder die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) für eine EU-weite Zulassung oder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für eine Zulassung in Deutschland zuständig. Eine entscheidende Schlüsselrolle bei der Markteinführung nimmt auch das Europäische Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln (EDQM) ein.

Der Wirkstoffhersteller beantragt beim EDQM eine Konformitätsbescheinigung für den Wirkstoff, das sogenannte CEP-Zertifikat. Dazu muss der Produzent das Herstellungsverfahren offenlegen, nur EDQM und Unternehmen wissen, wie der Wirkstoff hergestellt wird. Für alle anderen bleibt die Herstellung eine „Black Box“, denn Details dürfen aus Konkurrenzgründen zurückgehalten werden um das Verfahren zu schützen, erzählt Tawab, die darin ein „riesengroßes Problem im System“ sieht. Je mehr man über den Herstellungsprozess wisse, umso besser könne man mögliche Risiken und die Entstehung von Nebenprodukten abschätzen. Dann sei es möglich die Analysen anzupassen. Man müsse wissen, wonach man suche.

Doch solange das Herstellungsverfahren eine „Black Box“ bleibt und Zulassungsbehörden und Arzneimittelhersteller aufgrund des erteilten CEP-Zertifikats keine weiteren Kontrollen mehr vornehmen, können mögliche Verunreinigungen unentdeckt bleiben. Der chinesische Lohnhersteller habe sich völlig korrekt verhalten, heißt es im ARD-Beitrag. So wurde dem Unternehmen 2011 das CEP für die Herstellung von Valsartan erteilt. Als ein Jahr später der Herstellungsprozess umgestellt wurde, wurde bei der EDQM ein neues Zertifikat beantragt und erteilt. „Der Änderungsantrag wurde nach den gültigen Regeln und Verfahren […] beurteilt und die Änderungen akzeptiert“, wird die Behörde zitiert. Es hätte keine Anhaltspunkte für die Entstehung von NDMA gegeben. Die US-Arzneimittelbehörde (FDA) habe den chinesischen Hersteller fünf Mal kontrolliert – ohne Ergebnis.

Glaeske sieht dennoch die deutschen Arzneimittelhersteller in der Pflicht, denn Haftung und Kontrollen liegen bei ihnen. Sie müssten prüfen ob die Produkte in puncto Qualität, Reinheit und Identität der Deklaration entsprechen und darüber hinaus keine zusätzlichen Substanzen enthalten. Die Endprodukte müssten auf Unbedenklichkeit geprüft werden. Im Sinne des Patientenschutzes.

„Fakt“ fragte bei den betroffenen Herstellern nach, ob denn im Fall Valsartan auf Qualität und Identität des Wirkstoffes geprüft wurde. Die Antwort kam von Pro Generika, dem Verband der Generika- und Biosimilarunternehmen: „Pharmazeutische Unternehmen prüfen die Qualität des Wirkstoffes sowie aller verwendeten Hilfsstoffe regelmäßig gemäß den detaillierten gesetzlichen Vorgaben.“

Das ZL hat in Eigeninitiative stichprobenartig Valsartan-haltige Präparate auf NDMA untersucht und in einzelnen Tabletten eine Belastung zwischen 3,7 und 22 µg nachgewiesen. Laut Tawab entspricht dies dem 20- bis 70-Fachen der Menge, die über Lebensmittel zugeführt wird. Durchschnittlich würde 0,2 bis 0,3 µg über beispielsweise Räucherware, Käse oder Bier dem Körper zugeführt. Eschenhagen zitiert aus dem Standardwerk der Toxikologie: „Daten zeigen, dass Nitrosamine ohne Zweifel zu den stärksten krebserregenden Stoffe gehören, denen der Mensch exponiert sein kann.“ Eine „ziemlich starke Aussage“, so Eschenhagen.

Aber wie gefährlich ist die längerfristige Einnahme der verunreinigten Arzneimittel? Laut Eschenhagen entspricht die tägliche Einnahme einer mit NDMA-verunreinigte Tablette dem Rauchen von täglich fünf Zigaretten. Eine akute Bedrohung bestehe nicht, der Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie sieht jedoch ein Problem bei der chronischen Einnahme.

Das toxikologische Risiko haben auch EMA und FDA bewertet. Anhand der Konzentration schätzt die EMA ausgehend von 5000 Patienten, die über einen Zeittraum von sieben Jahren täglich mit der höchsten Valsartan-Dosis von 320 mg behandelt werden, dass es einen zusätzlichen Krebsfall geben könne. Experten der FDA schätzen daher ausgehend von 8000 Patienten, die über einen Zeitraum von vier Jahren täglich mit 320 mg Valsartan behandelt wurden, dass ein Patient zusätzlich an Krebs erkrankt. Die AMK beurteilt die Belastung als „besorgniserregend“.

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