ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

Spahns Eiertanz ins Kanzleramt

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Berlin -

Die Reinhardtstraße hinauf, über die Spree und dann leicht rechts und wieder geradeaus: Vom Gesundheitsministerium zum Kanzleramt ist es nur ein Katzensprung. Von seinem Bürotürmchen aus kann Jens Spahn das Domizil von Angela Merkel fast sehen. Weil der Weg zur Macht jedoch nicht immer geradeaus führt, hat er sich etwas einfallen lassen. Stichwort: Grippestoff.

Was für eine Woche! Nach dem desaströsen Wahlergebnis in Hessen kündigt Merkel am Montag in der Präsidiumssitzung ihren Rücktritt als Parteichefin an. Endlich, jubelt Spahn. Zwar will sie Kanzlerin bleiben, aber das wird sich ja noch irgendwie regeln lassen. Doch noch bevor Spahn sich zu Wort melden kann, wird Friedrich Merz als Kandidat genannt. Dieser unmögliche neoliberale Sozial-Revoluzzer, gegen den selbst er, Spahn, blass auszusehen droht! Und dann auch noch AKK, als charakterlicher Gegenentwurf sozusagen. Spahn hat seine Ambitionen zwar schon vor Jahren öffentlich gemacht, doch jetzt muss er sich beeilen, um nicht übersehen zu werden.

Aber zum Glück ist Spahn ja Medienprofi, so eine allwöchentliche Facebook-Sprechstunde härtet eben ab. Und so veröffentlicht er drei Tage später, während Merz noch nicht einmal seine Homepage am Netz hat, ein Video in den sozialen Medien. Einen Wahlkampfspot in eigener Sache sozusagen, in dem er hip und pathetisch gleichzeitig rüberkommt. Vom „Herz der Demokratie“ ist die Rede, das an Kraft verloren hat. Und vom Neustart. Für die CDU. Für Deutschland. [Für Spahn.]

Seinem Parteifreund Michael Hennrich gefällt das Video, jedenfalls empfiehlt er Spahn. Allerdings spricht der kurze Clip mit seinen hektischen Schnitten, wilden Percussions und exzentrischen Close-ups (Nase abwärts) nicht jede Zielgruppe an. Warum hält der Mann nochmal seinen Schlips in der Hand? Spahn braucht jede Stimme, auch die der Unhippen und Unpathetischen. Derjenigen beispielsweise, die in den Arztpraxen auf ihre Grippeimpfung warten. Spahn erkennt die Gefahr gleich! Von Valsartan und Lunapharm wurde er eiskalt erwischt – dass nun der Impfstoff knapp wird, nachdem er das gerade noch öffentlichkeitswirksam ausgeschlossen hat, will er nicht auch noch auf sich sitzen lassen.

Also krempelt er die Ärmel hoch und spuckt in die Hände. Wäre doch gelacht, wenn sich nicht noch ein paar tausend Impfdosen mobilisieren ließen. Als Minister will er demonstrativ mit anpacken und zeigen, was mit ihm erst als Kanzler möglich wäre. Kein Vergleich zu Milliarden-Merz und Terminfolgt-Annegret!

Im Supermarkt kauft Spahn so viele Eier, wie er kriegen kann. Nicht Bodenhaltung, sondern Bioqualität. Wegen der Grünen, mit denen er vielleicht bald koalieren muss. Bruderhahn statt Käfighenne. Mit 50 Eierkartons steht er schließlich voller Tatendrang vor dem Impfstoffwerk in Dresden. Es ist der Pförtner, der ihm erklärt, dass man längst von Huhn auf Emu umgestellt hat und für die südliche Hemisphäre produziert. Geknickt fährt Spahn nach Berlin zurück, wo die Apotheker mit ihm über ihre Weihnachtsüberraschung sprechen wollen. Die Eier lässt er da. Für die Kantine.

Ob der Grippeimpfstoff knapp ist oder nicht, ist eine Frage der Perspektive. In Sachsen wartet ein Mann laut Zeitungsbericht seit vier Wochen auf seine Impfung, in Thüringen melden zwei von drei Apotheken Lieferschwierigkeiten. Der Chef des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Professor Dr. Klaus Cichutek, räumte im ARD-Morgenmagazin zwar ein, Kenntnis von lokalen Verteilungsproblemen zu haben. Jedoch gehe er „von einer guten Versorgung der Bevölkerung aus“. Immerhin habe man 15,3 Millionen Impfdosen freigegeben. Rein vorsorglich hat seine Behörde im Internet ein Formular eingerichtet, über das Verbraucher sich melden können, wenn es zu Verzögerungen kommt.

Definitiv nichts zu tun haben will mit dem Thema Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA): Obwohl sein Team erst im April über die Aufnahme in die Schutzimpfungsrichtlinie entschieden hatte, hätten die Hersteller die notwendige Vorlaufzeit gehabt, um rechtzeitig den benötigten Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Basta.

Weniger gravierend sind die Lieferprobleme bei Aspirin complex, immerhin braucht man das Mittel ja nicht bei Grippe, sondern nur bei grippalen Infekten. Doch die Nachfrage ist da: Nachdem Bayer wegen Produktionsproblemen die komplette Bevorratung abgesagt hatte, gibt es nur noch vereinzelt Restbestände. Wer hat, der zeigt stolz – und wird offenbar von den Kunden regelrecht überrannt: Die Apotheke im Hauptbahnhof in Köln war jedenfalls nur Stunden nach ihrem Facebook-Post ausverkauft.

Ganz allgemein sind Lieferengpässe mittlerweile ein Dauerbrenner, der es gelegentlich auch in die Medien schafft: „Wir kämpfen jeden Tag darum, unsere Arzneimittel zu bekommen“, zitierte das ARD-Magazin „W wie Wissen“ einen Apotheker. Nach der obligatorischen Portion Glaeske bleibt noch Platz für einen Rundumschlag: So wird im Beitrag das Apothekensterben thematisiert, bevor es weiter geht zu den Arzneimittelfälschern von Kamerun.

Wem das zu viel auf einmal war, der konnte sich in dieser Woche seine Weisheit in Scheibchen bei Deutschlands größtem Boulevardblatt abholen. Darf der Apotheker ein anderes Medikament herausgeben? „Bild.de weiß Bescheid!“ und klärte über Rabattverträge und die Frage auf, warum Kunden am HV-Tisch unter Umständen nicht das verordnete Arzneimittel erhalten.

Einen Tage später legte der Sparfochs nach: „Bei Medikamenten lohnt sich der Online-Kauf!“ Für den Fall, dass es den Verbraucher entgegen des Ratschlags doch in eine echte Offizin verschlägt, gab Bild Tipps zu den „Verkaufstricks“ der Apotheker.

Kein Wunder, dass bei derart souverän informierten Kunden das Geschäft vor Ort schwieriger wird. Mitten in München, der Großstadt mit den höchsten Mietpreisen in Deutschland, steht seit Jahren ein Haus komplett leer, das der katholischen Kirche gehört. Offenbar reicht der Zehnt, doch ausgerechnet die Inhaberin der Kloster-Apotheke gegenüber sah sich zu kleruskritischen Maßnahmen veranlasst. Deshalb blickt die Passanten aus ihrem Schaufenster nun eine zornige Ordensschwester an, die mit dem Zeigefinger auf die verklebten Fenster des ehemaligen Fotogeschäfts auf der anderen Straßenseite zeigt. „Da drüben gibt es seit 3 Jahren Leerstand!“, heißt es auf dem Plakat. „Liebe katholische Kirche, bitte sanieren und vermieten – Danke!“ Amen.

Von irdischen Problemen eingeholt wurde Andreas Kersten. Nach 28 Jahren hat er seine Undine-Apotheke in Berlin-Neukölln zugesperrt und mit dem Apothekerleben abgeschlossen. Die ständig zunehmende Bürokratisierung, die immer schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt der Gegenwind, den er wegen seiner kontroversen Haltung zur Schwangerschaftsverhütung zu ertragen hatte, haben ihn mürbe gemacht.

Auch PTA Bianca Seifert entschied sich gegen die Apotheke. Die vielen unfreundlichen Kunden und deren Dreistigkeit belastete sie. Nach fast acht Jahren zog die 31-Jährige einen Schlussstrich und widmet sich jetzt lieber Zahlen: Im September begann sie eine Ausbildung zur Programmiererin.

Guter Dinge sind dagegen noch die Pharmazie-Ersties. Für einige von ihnen ist der Beginn des neuen Lebensabschnitts so aufregend, dass sie kaum Hunger haben. Das sind doch gute Nachrichten. Schönes Wochenende!

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