Leserbrief

Apothekerin schreibt sich Frust von der Seele

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Berlin -

Kürzlich hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) in seinem Ministerium auch der Presse vorgestellt. Dies nahmen die Saarbrücker Zeitung sowie der Trierische Volksfreund zum Anlass für einen Kurz-Kommentar. Dieser stieß bei Apothekerin Christine Jöntgen von der Neuen Apotheke in Wittlich nicht auf ungeteilte Zustimmung. In einem Leserbrief wandte sie sich an die Redaktion, schrieb sich den Frust von der Seele und vermittelte dem Kommentator ein anderes Bild von der Rolle der Apotheken im sozialen und gesellschaftlichen Gefüge. Es solle sich doch mal in ihrer Apotheke die Realität anschauen, lud sie ihn zu einem Besuch ein.

Unter der Überschrift „Apotheken-Schutz zu Lasten der Patienten“ schrieb der Kommentartor: „Bei den Apothekern lässt Gesundheitsminister Jens Spahn auffällig viel Milde walten. Das hat Tradition bei der Union.“ Schon Spahns Amtsvorgänger Hermann Gröhe habe den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten am liebsten verbieten wollen, um „einheimische Apotheken vor den Stürmen des internationalen Wettbewerbs“ zu schützen. Doch dies habe die SPD gestoppt. Nun starte Spahn einen neuen Anlauf, um den hiesigen Apotheken entgegenzukommen, trotz rechtlicher Bedenken. Im Interesse der Patienten, die kaum verstehen, warum ausgerechnet die Apotheken vom digitalen Zeitalter verschont bleiben sollen, sollte Spahn lieber die Finger davon lassen, sonst Ende das VOASG wie die Pkw-Maut im Desaster.

Immer wieder erschienen auch in der Saarbrücker Zeitung Artikel zur sich verschlechternden medizinischen Versorgung in unserem ländlichen Gebiet, kontert die Apothekerin. Die Ausdünnung werde stets bedauert und jeder wünsche sich eine größere Attraktivität der Gesundheitsberufe im ländlichen Raum. „Hierzu zählen, auch wenn dies oft vergessen wird, ebenfalls die Apotheken. Diese werden aber nie als Grundversorger oder als niedrigschwellige kompetente Anlaufstelle für Patienten wahrgenommen, sondern als protegierte Berufsgruppe dargestellt, die sich dem digitalen Fortschritt verweigert“, so Jöntgen. Dem sei definitiv nicht so.

Der deutschen Vor-Ort-Apotheke seien viele Gemeinwohlpflichten auferlegt. Dies werde im Apothekengesetz festgelegt und geregelt, klärt die Apothekerin auf. Dazu gehöre die Pflicht zur Beratung, der Nacht- und Sonntagsdienst, der Belieferungszwang von Rezepten, Betäubungsmittelbeschaffung und -verwaltung, Herstellung von Arzneimitteln, auch oft für schwerstkranke Säuglinge und vieles mehr, ohne Rücksicht darauf, ob dies kostendeckend sei oder nicht. Und zur Kostendeckung „benötigen wir andere Rezepte oder die Einnahmen aus frei verkäuflichen Medikamenten“. Die im Ausland ansässigen Versandapotheken müssten politisch gewollt diese Pflichten nicht erfüllen. Jöntgen: „Sie sind auch in keinster Weise interessiert daran, da es für sie Aufwand und kein auskömmliches Entgelt bedeutet.“

Die deutsche Vor-Ort-Apotheke müsse per Gesetz von einem Apotheker persönlich geleitet werden, der als Kaufmann mit seinem gesamten Privatvermögen für die Apotheke hafte. Dies sei vom Gesetzgeber so gewollt. Gerate eine Apotheke in Schieflage oder müsse Insolvenz anmelden, so sei er für den Rest seines Lebens ruiniert. „Ausländische Versandapotheken hingegen sind Tochterfirmen von Kapitalgesellschaften und haben ihren Firmensitz absichtlich im Ausland, um deutsche Gesetze umgehen zu können“, so die Apothekerin weiter.

Der größte und aggressivste Anbieter sei eine Tochterfirma der Schweizer Zur Rose AG, und auch das saudische Königshaus halte Anteile daran. Hier könne, auch wenn über Jahrzehnte Verluste gemacht werde, immer wieder frisches Kapital zugeschossen werden. Ein niedergelassener Apotheker bekäme unter diesen Bedingungen keinen Cent mehr von der Bank oder anderen Geldgebern. „Das unausgesprochene Ziel ist es, die niedergelassenen Apotheken plattzumachen. Und wenn es nur noch Oligopole oder sogar Monopole gibt, was wird denn dann wohl mit den Preisen geschehen? Dann zahlen die Menschen den Preis mit ihrer Gesundheit, weil sie sich die Medikamente nicht mehr leisten können, und in Mangelsituationen hohe Preise verlangt werden können. Davor schützt die Gleichpreisigkeit bei verschreibungspflichtigen Medikamenten den Patienten und dafür kämpfen wir mit aller Kraft“, schreibt die Apothekerin.

Die Vor-Ort-Apotheken würden kontrolliert und überwacht. Dies sei insbesondere bei kühlpflichtigen Medikamenten der Fall. Vor-Ort Apotheken beschäftigten zudemochqualifizierte Mitarbeiterinnen, zahlten Steuern und Abgaben. Jöntgen: „Wo bitte fließen die Steuern und Sozialversicherungsabgaben in Holland oder sonst wo hin, und in welcher Höhe bewegen sich diese? Es ist also folglich Ihrer Meinung nach gerechtfertigt, schlecht bezahlte Paketdienstleister durch die Gegend fahren zu lassen (von der Umweltverschmutzung und dem drohenden Verkehrskollaps durch die Vielzahl der Lieferwagen ganz zu schweigen), um deutsche Versicherungsgelder in die Taschen von ausländischen Kapitalgesellschaften zu transferieren und deutsche Apotheken ob eines kurzfristigen Sparwahns sterben zu lassen?“

Ihr sei auch immer wieder unverständlich wieso alle glaubten, dass mit 2,5 Prozent der Gesamtkosten des Gesundheitswesens, die die Apotheken erhielten, „und die es auf Teufel kommt raus zu senken gilt, Kostensteigerungen oder Geldmangel in den restlichen 97,5 Prozent, auch durch den demographischen Wandel bedingt, aufgefangen werden können“. Es sei ja inzwischen beliebt, mithilfe oberflächlicher Argumente und unvollständiger Informationen zur Höhe unserer Vergütung und der Arbeit der Apotheken an sich, diese mittelständigen Betriebe auf dem Altar eines vermeintlichen digitalen Vorteils dem Großkapital zu opfern.

„Gesundheit ist ein hohes Gut und Arzneimittel sind immer noch Waren besonderer Art, da sie bei falscher Anwendung zu großen Schäden an Körper und Geist führen können. Vielleicht sollte auch dies einmal berücksichtigt werden und moralische und ethische Werte über einen kurzfristigen Vorteil gestellt werden“, schließt die Apothekerin ihren Leserbrief, „sind die bestehenden Strukturen erst einmal zerstört, lassen sie sich nur mit viel Geld und auch nicht sofort wieder aufbauen“. Und sie lädt den Kommentator zu einem Besuch in ihrer Apotheke ein, dort gebe es nämlich noch eine Menge anderer Gesichtspunkte, die zu erfahren für Aussenstehende sicherlich interessant wäre.

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