Nachtdienstgedanken

Moral und Gewissensbisse im Notdienst

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Berlin -

Das Apothekenpersonal wird im Alltag oft vor moralische Herausforderungen gestellt. Im Notdienst muss Sarah Sonntag diese mit sich allein abmachen. Eigentlich möchte Sie ihren Kunden doch nur helfen – wenn da nicht dieses schlechte Gewissen wäre.

Sarah startet motiviert in ihren Notdienst: Schließlich war diese Woche durch den Feiertag ja recht kurz. Die Apothekerin macht den Tag der Arbeit einfach zur Nacht der Arbeit. Fantaschale Max ist wie immer mit von der Partie und bester Laune. „Mal sehen wer heute unsere Hilfe braucht“, sagt er eifrig. Kurze Zeit später steht eine junge Mutter vor der Klappe. Ihr dreimonatiger Sohn hat hohes Fieber und ist stark erkältet.

Neben der Frau steht ihre Tochter, die sichtlich müde und quengelig ist. Sarah verweist die Mutter auf die Notfallpraxis. „Ich habe niemanden, der auf meine Tochter aufpasst, ich kann mich da nicht stundenlang mit den Kindern hinsetzen“, erklärt die junge Frau mürrisch. Sarah möchte der Frau nur ungern einfach Medikamente mitgeben, da der Kleine unter Umständen mehr als nur einen Fiebersaft braucht. „Passen Sie etwa solange auf meine Tochter auf!?“, sagt die Frau schnippisch, als Sarah versucht ihr die Situation zu erklären.

Aus der jungen Mutter spricht die Überforderung. Die Apothekerin gibt ihr schließlich zwei Fiebersäfte mit und empfiehlt die abwechselnde Gabe. Eindringlich versucht Sarah an die Vernunft der Mutter zu appellieren. „Wenn das Fieber sich nicht senken lässt, fahren sie bitte umgehend ins Krankenhaus. Grade bei so Kleinen kann es schnell gefährlich werden.“ Während die Kundin genervt ihr Kleingeld zusammensucht wird ihre Tochter ängstlich und klammert sich am Bein der Mutter fest.

Ein dunkel gekleideter Mann im Kapuzenpulli hat sich eingereiht. Er ist vom Leben gezeichnet und brabbelt wirre Dinge vor sich her. Nachdem die kleine Familie erstmal versorgt ist, nimmt sich Sarah des verwahrlosten Mannes an. „Ich hätte gerne zwei Rotkäppchen“, brummt er mit zittriger Stimme. Sarah stutzt kurz und überlegt was er meinen könnte. Zuerst kommt ihr der ähnlich klingende Saft in den Kopf, doch den würde er wohl kaum haben wollen. Der Mann sieht Sarah die Verwirrung scheinbar an. Er deutet auf seine Armbeuge und lässt sich vor der Klappe erschöpft auf den Boden sacken.

Jetzt ist Sarah klar, was er haben möchte: Insulinspritzen. Wofür er sie braucht, ist offensichtlich. Nun meldet sich Sarahs Gewissen: Willst du seine Sucht unterstützen? Doch was würde passieren, wenn du ihm die Spritzen nicht verkaufst? Würde er dreckiges Material verwenden oder würde der Entzug ihm weitere Schäden zufügen? Sarah hadert zum zweiten Mal in dieser Nacht mit sich. Schließlich atmet sie tief durch und holt ihm die „Rotkäppchen“ aus der Schublade.

„Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?“, fragt sie sichtlich bestürzt. Der Mann fragt nach einem Becher Wasser und einer Packung Taschentücher. Sarah will sich nicht im Detail vorstellen für was er die Hilfsmittel braucht, gibt sie ihm aber mit. „Danke für ihr Verständnis.“ Er lächelt müde und geht weg. Verständnis hat Sarah nicht für die Situtation. Mitleid trifft es eher. Ihr hängt die Begegnung noch lange nach in dieser Nacht. „Schlimm, was solche Substanzen mit Menschen anrichten können“, seufzt sie und lässt sich auf das Schlafsofa fallen.

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