BMG-Datenaffäre

Die Jagd nach der roten Synopse

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Berlin -

Im Prozess um die Datenaffäre des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) werden heute zwei weitere Zeugen aus dem Ministerium befragt. Am Vormittag hat eine Mitarbeiterin aus dem Referat 114 ausgesagt, die seinerzeit an der Novellierung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) beteiligt war.

Die Referentin wurde vor allem zu jener Anhörung befragt, die im Juli 2010 im Ministerium in Bonn stattgefunden hatte. Dabei waren Vertreter zahlreicher Verbände der Apotheker, im Ganzen zwischen 20 und 30 Personen, erinnerte sich die Zeugin. Die Gesandten der ABDA sollen angeblich die vom BMG erstellte Synopse dabei gehabt haben. Laut Anklage ist dies ein Beweis für den mutmaßlichen Datenhandel zwischen dem ehemaligen IT-Beauftragten des BMG und dem damaligen ABDA-Sprecher und heutigen Herausgeber von APOTHEKE ADHOC, Thomas Bellartz.

Die Zeugin konnte allerdings nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, ob die ABDA dieselbe Synopse hatte wie die BMG-Vertreter. Die zwei oder drei Vertreter der ABDA hätten am anderen Ende des Tischs gesessen. Ihr sei auf die Entfernung das Dokument aber ähnlich vorgekommen.

In einer anschließenden Besprechung hätten Kollegen darauf hingewiesen, dass die Synopse der ABDA-Vertreter in Aufbau und Farbgebung der eigenen Aufstellung entspreche. Das Ministerium hatte zur ApBetrO eine dreispaltige Synopse erstellt, bei der die bisherige Fassung schwarz gedruckt war, in der Mitte die Änderungen rot und die Begründung in der linken Spalte blau.

Auf die Entfernung habe die Synopse der ABDA „genauso ausgesehen wie die, die wir erstellt hatten“, so die Referentin. Dagegen hätten die Vertreter des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) eine Synopse mit anderer Farbgestaltung gehabt. Kollegen von ihr seien von anderen Verbandsvertretern angesprochen worden, warum die ABDA die Synopse des BMG vorab bekommen habe. Mit den ABDA-Vertretern habe sie selbst nicht gesprochen.

Das Gericht interessierte sich auch dafür, wer die Synopse schon vorab hatte. Der Referentin zufolge wurde schon „Monate vorher daran gearbeitet“. Demnach hatten ihre Chefin und sie das Dokument in verschiedenen Versionen auf dem Referatsserver abgelegt, auf den auch andere Mitarbeiter des BMG Zugriff hatten. Die Leitungsebene des Ministeriums habe Informationen dagegen telefonisch angefragt, die Dokumente seien dann per Mail verschickt worden. Was dann damit passiert sei, entziehe sich ihrem Blickfeld, so die Zeugin.

Bereits in der vergangenen Woche war mit einem anderen Zeugen aus dem BMG lange über diesen Vorfall gesprochen worden. Auch dieser Mitarbeiter aus dem Referat 114, der heute Abteilungsleiter im BfArM ist, will bei der Verbändeanhörung auf dem Tisch der ABDA ein Dokument gesehen haben, dass der internen Synopse geähnelt haben soll. An die genauen Farben – blau oder grün – konnte er sich nicht erinnern, er sei auch zu weit weg gewesen und hätte näher herangehen müssen, „um das mit Sicherheit zu bestätigen“.

Er berichtete von verschiedenen Fällen, in denen man sich im BMG über Indiskretionen geärgert habe. So habe APOTHEKE ADHOC bereits vom Entwurf der ApBetrO berichtet, bevor Rösler als Ressortchef die für ihn bestimmte Ministervorlage gekannt habe. Immer wieder hätten ihn die Durchstechereien zur Weißglut getrieben. Nur innerhalb der Abteilung seien Dokumente sicher gewesen; sobald Unterlagen hausintern verteilt worden seien, habe es entsprechende Berichte und Kommentare bei APOTHEKE ADHOC und anderen Fachmedien gegeben. Diese hätten teilweise das Ziel gehabt, das Vorhaben ins Lächerliche zu ziehen. Letztendlich seien bei der ApBetrO dann auch erhebliche Nachbesserungen im Sinne der ABDA erfolgt.

Insbesondere habe ihn die Geschwindigkeit umgetrieben, mit der die Informationen nach außen drangen: Oft nur wenige Stunden, „manchmal nur zwei bis vier, nachdem eine Entscheidung getroffen wurde“, seien entsprechende Veröffentlichungen aufgetaucht. Details nennen konnte er nicht mehr. Er habe den Eindruck gehabt, dass sich teilweise die Bälle zugespielt worden seien. Doch auch andere Medien hätten über Interna aus dem BMG berichtet, darunter die Berliner Zeitung und die Nachrichtenagentur dpa.

Das Leck habe er damals im Leitungsbereich vermutet, einem Kreis von 30 bis 40 Personen. Bis heute halte er es für unwahrscheinlich, dass es nur eine undichte Stelle gab. Ganz konkret nannte er einen ehemaligen Pressesprecher als mögliche Quelle; auch vom Großhandelsverband Phagro sei diese Person ins Spiel gebracht worden. Nachforschungen habe es im BMG aber nicht gegeben. Generell sei es um die Vertraulichkeit schlecht bestellt, sobald Unterlagen das Haus verließen. Nach Bekanntwerden der Ermittlungen seien seltener Interna veröffentlicht worden; allerdings räumte er ein, dass es in dieser Zeit weniger brisante Vorhaben gegeben habe.

Am Nachmittag sagt ein weiterer Zeuge des BMG aus, der zur fraglichen Zeit als Systemadministrator im Ministerium tätig war – also ein ehemaliger Kollege des angeklagten IT-Mitarbeiters H. Dessen Anwalt hatte zu Beginn der Verhandlung in einer Stellungnahme auf die „Schwierigkeit einer Verurteilung“ seines Mandanten nach der Vernehmung des Zeugen am vorherigen Sitzungstag aufmerksam germacht. Demnach habe es im Referat 114 nämlich fünf Speicherorte für die fraglichen Dokumente gegeben, auf die acht Mitarbeiter des Referats sowie die Unterabteilungsleiter und Abteilungsleiter Zugriff hatten. Zusätzlich seien alle Daten auf DVD in einem ungesicherten Archiv abgelegt gewesen. Hier einen Diebstahl im Sinne des Strafgesetzbuchs nachzuweisen, erscheint den Anwälten als schwierig.

Gegen die Vorwürfe aus der Anklage spricht der Verteidigung zufolge auch, dass laut dem damaligen BMG-Mitarbeiter Informationen aus dem Ministerium mehrfach mit wenigen Stunden Verzögerung in verschiedenen Medien aufgetaucht seien. Das passe nicht zum von der Staatsanwaltschaft vorgetragenen vermeintlichen Tathergang mit übergebenen CDs.

Zudem habe der Zeuge ausgesagt, dass es mehrere Datenlecks im BMG gegeben habe. Das sei „ein weiteres Grundproblem der Anklage“, so Rechtsanwalt Nikolai Venn. Da das BMG auch nach Bekanntwerden der Vorfälle keine Änderungen bei den Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen habe, sei schon das Geheimhaltungsinteresse des BMG fraglich.

Bellartz’ Anwalt Professor Dr. Carsten Wegner zufolge ist noch immer nicht klar, was genau seinem Mandanten zur Last gelegt wird. Denn bei den Durchsuchungen im Jahr 2012 sei kein einziges Dokument gefunden worden, dass Bellartz nicht hätte besitzen dürfen.

In einem Fall aus der Anklage heißt es, dass die E-Mail-Postfächer des damaligen Bundesgesundheitsministers Philipp Rösler (FDP) und der Staatssekretäre Daniel Bahr (FDP), Annette Widmann-Mauz (CDU) und Stefan Kapferer ausgespäht worden seien. Um überhaupt die Relevanz für eine vermeintliche Straftat belegen zu können, beantragte Wegner die Beiziehung der Inhalte der Postfächer für den betroffenen Zeitraum zwischen dem 18. und 23. November 2009. Das Gericht will über diesen Antrag später entscheiden.

Wegner wies noch darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Berlin „wegen des Vorwurfs der verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“ ein Strafverfahren gegen Unbekannt eingeleitet habe. Der Rechtsanwalt hatte Strafanzeige gestellt, da Details aus der Anklage an die Öffentlichkeit gelangt waren, lange bevor diese überhaupt im Verfahren verlesen worden war.

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