Apothekerin muss nach zwölf Jahren schließen

„Ich habe versagt“

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Berlin -

Anfangs lief die Apotheke gut, später schlechter, irgendwann gar nicht mehr. Den Todesstoß gab ihr der heiße Sommer. Die Kunden blieben mehr und mehr aus. Da stand für Apothekerin Dorothea P. fest: Das war‘s. Die seit 150 Jahren existierende Offizin hat sie gerade für immer geschlossen.

An der Tür der Apotheke hängt ein Zettel: „Vielen Dank für Ihre Treue über all die Jahre!“ Viele Kunden klopfen erstaunt an die Scheibe. Drinnen räumt die Apothekerin gerade die Einrichtung aus. Die Kunden können gar nicht glauben, dass „ihre“ Apotheke nie wieder aufschließen wird. „Eine alte Dame, die Stammkundin war, nahm immer 20 Minuten Busfahrt auf sich“, erzählt die Apothekerin, „sie stand in der Offizin, weinte und fragte, wo sie denn nun hingehen solle. Dabei liegen mindestens 20 Apotheken auf ihrem Weg.“ Viele Ältere gehörten hier zum Stammkundenkreis. Manche sorgten auch für Überraschungen: „Kürzlich stand eine 90-Jährige mit ihrem Smartphone vor mir und las mir vor, was es online alles billiger gibt.“ Erklärungsversuche in Sachen Beratung und der Bedeutung der Apotheke vor Ort fruchteten bei der alten Dame nicht. „Die Bedrohung durch die Online-Apotheken hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, sagt die Apothekerin.

Bei ihr gab es neben der guten Beratung auch Menschlichkeit. „Vor kurzem kam ein Stammkunde, dessen Lebenspartner überraschend verstorben war. Er war völlig hilflos und wusste überhaupt nicht, wie es weitergehen sollte.“ Wo geht man in so einer Situation hin? In die liebgewonnene Apotheke. Dorothea P. setzte sich mit einem Beerdigungsinstitut in Verbindung, tröstete den Kunden. Dabei hätte sie selbst jemanden gebraucht, der ihr Trost spendet. Das Ende ihres Unternehmens stand da nämlich schon so gut wie fest. Erschwerend kommt hinzu: Menschlichkeit gibt es nicht auf Rezept und Geld verdient man damit leider auch nicht.

Die Apothekerin möchte ihren richtigen Namen nicht öffentlich machen. Sie schämt sich angesichts ihres vermeintlichen Misserfolges. Was werden die Kollegen sagen, fragt sie sich. Ihre Geschichte hat sie uns trotzdem erzählt. Weil es vielen Apothekern im Land derzeit so geht: Sie können nicht mehr, der Betrieb wirft nicht mehr genügend Gewinn ab. Existenzängste schleichen sich ein und werden mehr und mehr zur Würgeschlange.

Eine eigene Apotheke war nicht immer ihr Traum. Viele Jahre hat sie als Vertretungsapothekerin gearbeitet, reiste durchs Land, sammelte Erfahrungen. Eines Tages las sie dann von einer Apotheke in einer großen Stadt, die zum Verkauf stand. Und die Lust, selbstständig zu sein, erwachte. Sie hat sich nicht blauäugig auf das Abenteuer Apotheke eingelassen, hatte durch ihre reisende Tätigkeit viel Erfahrungen gesammelt, gesehen, wie andere Apotheke machen.

„Ich habe das Angebot von zwei unabhängigen Experten prüfen lassen“, erzählt sie. Nach deren OK unterschrieb sie hat den Kaufvertrag. Aus heutiger Sicht sagt sie: „Viele Apotheken, die vor rund zehn Jahren verkauft wurden, hatten einen Preis, der viel zu hoch angesetzt war. Vor zehn Jahren lief eine Apotheke mit einer Million Euro Jahresumsatz noch als gut gehender Betrieb. Heute würde das niemand mehr kaufen.“ Diese Kalkulation rächte sich und wird sich, so glaubt sie, bei anderen Kollegen künftig noch bemerkbar machen. Nicht sofort, aber mit der Zeit. Sie kennt Kollegen, denen es gerade ähnlich ergeht wie ihr. „Heute weiß ich, dass der Kaufpreis in Relation zum Umsatz nicht okay war. Aber für die Apotheker, die damals verkauft haben, war es natürlich ein gutes Geschäft. Aber irgendwann waren die Kreditraten und die steigenden Betriebskosten bei sinkenden Einnahmen erdrückend.“ Heutzutage werden Apotheken wie diese zuweilen schon als „kostenlos“ angepriesen. Weil sich niemand mehr findet, der sie übernehmen möchte.

Dazu kam im Fall P. die Konkurrenzsituation. Es gibt zwar ein großes Ärztehaus in Laufnähe, leider aber auch drei weitere Apotheken. Schritt für Schritt wurde die Lage der kleinen Apotheke immer unerfreulicher. „Es war eine Abwärtsspirale.“ Zuerst glaubt man, dass es nur eine kurze Phase ist, die Umsätze sich wieder erholen werden. Dann erkennt man, dass es viele Faktoren sind, die irgendwann zu viel werden. Vor zwölf Jahren schien das Geschäft mit den Apotheken noch lukrativer zu sein als heute. Die Online-Konkurrenz war noch nicht so beängstigend und viele Produkte waren tatsächlich apothekenexklusiv. „Auf diesem Gebiet hat sich viel verändert, mit Nahrungsergänzungsmitteln oder Hustenbonbons, die es im Drogeriemarkt viel billiger gibt, kann man heute so gut wie gar nichts mehr verdienen.“

Beim Thema Apothekenexklusivität wird Dorothea P. wütend. „Die Unternehmen missbrauchen Apotheken mehr und mehr. Zuerst wird die Ware zu einem guten Preis in der Apotheke angeboten. Dann wird sie quasi mit diesem Qualitätssiegel im Drogeriemarkt verkauft. Und online mit Rabatten, bei denen wir nicht mithalten können. Wir Apotheker verdienen daran nichts mehr.“ Sie hat es mehrfach erlebt, zählt als Beispiele Nahrungsergänzungsmittel und etablierte Hustenbonbon-Marken auf. „Sogar wenn ich das Nahrungsergänzungsmittel unterm Einkaufspreis verkauft hätte, wäre es teurer als im Drogeriemarkt gewesen.“ Sie nahm es aus dem Angebot, auch wenn Kunden danach fragten.

Anfangs hatte die Apotheke sechs Mitarbeiter. Am Ende waren es zwei Teilzeitkräfte und die Apothekerin. „Ich habe 70 bis 90 Stunden pro Woche gearbeitet“, erzählt Dorothea P. In den vergangenen Wochen ging es ihr gesundheitlich so schlecht, dass Kunden besorgt fragten, was denn los sei. Ob es ihr schlecht gehe, ob man helfen könne. „Irgendwann fragt man sich: Was mache ich hier eigentlich noch?“, beschreibt sie das Gefühl. Sie erzählt von Kollegen, die in einer ähnlichen Situation waren. „Eine Apothekerin bekam mit Mitte 40 einen Herzinfarkt“, sagt sie. Und dass sie im Vergleich noch Glück gehabt habe. „Ich konnte eine Zeitlang nicht mehr richtig laufen.“ Die Beine gehorchten nicht mehr, jeder Schritt dauerte eine Ewigkeit.

„Das Ende ist nicht schön, aber ich fühle mich jetzt besser. Es ist wie eine Befreiung.“ Wenn nur das nagende Gefühl, versagt zu haben, nicht wäre. „Andererseits“, so sagt die Apothekerin, „wenn ich es nicht mit der eigenen Apotheke versucht hätte, hätte ich mir das mit 70 vielleicht vorgeworfen.“ Sie hat gespielt, lange mitgehalten. Nach der schwierigen Phase des vergangenen Jahres hat sie auch wieder Hoffnung: „Ich habe schon Angebote, als angestellte Apothekerin zu arbeiten.“ Doch vorher will sie sich eine Auszeit gönnen, irgendwo auf dem Land ein paar Wochen verkriechen, ausspannen, lesen, Kraft schöpfen.

Mit Hilfe von Inseraten hat sie in den vergangenen Monaten versucht, die Apotheke zu verkaufen. „Es kam keine Reaktion.“ Seitdem an der Tür das Schild steht, dass die Apotheke geschlossen ist, haben sich zwei Interessenten gemeldet. „Das ist einfach nur noch makaber“, sagt Dorothea P.

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