„Noch mehr Regulation bringt nichts“

Lieferengpässe: Mehr Freiheiten für Apotheken!

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Berlin -

Seit Monaten sind hunderte gängige Arzneimittel nicht lieferbar. Die Bundesregierung will dieser Entwicklung mit einem Maßnahmenbündel begegnen, die ABDA hat einen 8-Punkte-Katalog vorgelegt. Das alles wird keinen durchschlagenden Erfolg bringen, urteilt Dr. Frank Diener, Generalbevollmächtigter der Treuhand Hannover Steuerberatungsgesellschaft. Statt mit neuer Bürokratie müsse man dem Problem mit dem Abbau von Überregulierung zu Leibe rücken, analysiert der Volkswirt in einem Betrag für den Fachdienst „Observer Gesundheit“.

Wenn man Lieferengpässe in Deutschland wirklich angehen wolle, so Diener, sollte man nicht darüber nachdenken, wie man mit Zusatzregulation die Negativfolgen von Überregulierung vermeiden kann, „sondern darüber, wie man sicherstellt, dass die notwendigen Arzneimittel, die man für seine Menschen haben will, auch bekommt“. Güterarbitrage werde durch ein Gefälle auf der Herstellerstufe möglich. Die Lieferengpässe seien jedoch vor allem ein Problem auf der Endverbraucherstufe – „nämlich dort, wo die Menschen versorgt werden“. Diener: „Es geht darum, Überregulierung zurückzudrehen und die Mittelbereitstellung für Arzneimittel nicht per se zu verteufeln.“

Deshalb hält Diener zweierlei für notwendig: Bei durch das BfArM absehbaren oder bestehenden Lieferengpässen sollte den Apothekern erlaubt werden, verfügbare Alternativprodukte ohne 24-Stunden-Wartefristen an die Patienten abzugeben, auch wenn sie teurer als das verordnete Präparat sind. „Und: Es muss klargestellt werden, dass in diesen Fällen Retaxationen ausgeschlossen sind“, fordert Diener. Außerdem müsse die Zuteilungsmechanik à la „The winner takes it all“ bei den Rabattverträgen durch Ausschreibungen ersetzt werden, bei denen so viele Anbieter zum Zuge kommen, dass eine angemessene Marktversorgung realistisch und auch ein Versorgungspuffer berücksichtigt sei. Genau das werde bei der Festsetzung der Arzneimittelfestbeträge seit Jahrzehnten rechtssicher praktiziert.

Diener zu den Konsequenzen seiner Vorschläge: „Ja, das bedeutet bei Lieferengpässen Mehrausgaben für Arzneimittel und Verzicht auf Einsparungen durch Rabattverträge. Doch die Perversion von Einsparung ist Nichtversorgung. Oder anders gesagt: Für Arzneimittelmarktregulierung gilt, was auch jeder Handwerker beim Anziehen einer Schraube weiß: Nach ‚zu‘ kommt ‚ab‘“.

Alle anderen Vorschläge setzten dagegen nur neue Zusatzregulierungen auf bisherige Überregulierungen. „Im Grunde wären sie nichts anderes als intensivierte, hoheitlich organisierte Mangelverwaltung und Mangelumverteilung“, so Diener. Das Problem dieser Vorschläge sei, dass wesentliche Ursachen und fundamentale Marktmechanismen verkannt würden, „vor allem die Kombination von Pharmaregulation und Güterarbitrage“.

1988 habe die deutsche Pharmapolitik mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) die in den beiden vorangegangen Jahrzehnten nach Patentabläufen entstandene Herstellervielfalt im „Alt-Arzneimittelmarkt“ genutzt, um Festbetragsgruppen zu bilden und innerhalb der Festbetragsgruppen Festbeträge als Erstattungshöchstgrenzen festzusetzen. Binnen eines Jahrzehntes seien daraufhin in den Festbetragssegmenten die deutschen Arzneimittelpreise im europäischen Vergleich von der Spitze in den Keller gefahren worden. Ökonomische Konsequenz: Akteure in Ländern mit höheren Herstellerabgabepreisen kamen auf die Idee, die in Deutschland billigen Arzneimittelpreise zu nutzen. „Und das Ganze ist sogar europarechtlich völlig legal“, so Diener.

2003 seien mit dem Arzneimittel-Versorgungs-Wirtschaftlichkeits-Gesetz (AVWG) Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern ermöglicht worden, bei denen Pharmahersteller sich mit Rabattzusagen bei einer bestimmten Festbetragsgruppe den Exklusivlieferantenstatus für die Versicherten dieser Krankenkasse in einer Ausschreibung „ersteigern“ konnten. Mittlerweile haben laut Diener über 100 Krankenkassen mit fast 200 Herstellern insgesamt fast 30.000 Rabattverträge geschlossen: Das Prinzip sei: „The winner takes it all.“ Dies führe aber dazu, dass Hersteller, die nicht zum Zuge kommen, sich aus dem jeweiligen Wirkstoffsegment zurückziehen. Ökonomische Konsequenz: Die Märkte beginnen sich zu oligopolisieren, der Konkurrenzdruck unter den Herstellern steigt, die Herstellervielfalt reduziert und die Arzneimittelverfügbarkeit wird verknappt.

Parallel dazu seien Arzneimittelimporte nach Deutschland als Einsparinstrument mit dem GRG eingeführt und in der Folge mit Importabgabequoten für die Apotheken ausgebaut worden: „Dass wir die Arzneimittelkontingente, die für die in den Südstaaten der EU lebenden Menschen aufkaufen, nach Deutschland verfrachten, umkonfektionieren und für die deutschen GKV-Versicherten nutzen, wurde jahrzehntelang als grandios erfolgreiche Pharmaregulation gefeiert. Das ist – der Volkswirt lernt es im Grundstudium – klassische ‚beggar-my-neighbour-policy‘“, so Diener. Jetzt, wo man die Erfahrung mache, dass die Skandinavier oder sogar außereuropäische Schwellenländer, für Deutschland hergestellte Kontingente an sich ziehen, „finden wir das weniger lustig“. Und mehr: Es scheine bei einer zunehmenden Zahl von Wirkstoffen so zu sein, dass von vornherein die Lieferkontingente dort erhöht würden, wo die Herstellerpreise höher, und dort reduziert würden, wo sie niedriger seien. „Geradezu grotesk“ sei, dass aktuell wegen der Lieferengpässe bei Rabattvertragsarzneimitteln die Importabgabequoten in Deutschland massiv anstiegen.

Praktisch alle Industrienationen hätten die bis in die 1980er-Jahre übliche Mischkalkulation über das komplette Portfolio eines Pharmaherstellers unmöglich gemacht. „Heute muss jedes Arzneimittel als singuläres Profit Center gefahren werden. Das führt zu Fusionen, zu Spezialisierungen, aber auch zum Aussteigen aus weniger profitablen Produktlinien“, so Diener weiter. Weltweit habe sich die Pharmaproduktion in Billiglohnländer gen Osten verlagert, und viele Wirkstoffe würden von Lohnherstellern für die Pharmahersteller produziert.

Diener: „Es ist nicht möglich, Pharmaproduktion in Deutschland oder der EU aus dem Stand hochzufahren. Die weltweite Nachfrage übersteigt bei einer ganzen Reihe von Wirkstoffen die Produktionskapazitäten. Ökonomische Konsequenz: Güterarbitrage – einer der stärksten ökonomischen Wirkmechanismen – wird zukünftig nicht ab-, sondern zunehmen.“

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