Pharmaziestudium

Trainingsapotheken: 100 Prozent Praxisbezug

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Berlin -

Oft wird der Vorwurf laut, dass Studieren nicht praxisbezogen genug sei und wenig auf das Berufsleben vorbereite. In einigen Pharmazie-Fakultäten soll das besser gemacht werden: So beraten beispielsweise in Mainz und Halle Studenten in Rollenspielen ihre „erkrankten“ Kommilitonen in Übungsapotheken.

Ob Nagelpilz, eine Erkältung oder Diabetes: Die Leiden von Apothekenkunden sind vielfältig. Gute Beratung ist daher eine Hauptaufgabe der Apotheker. Etwa 90 Prozent der Pharmaziestudenten werden später in einer Apotheke arbeiten. Daher sei es unerlässlich, dass die Studierenden auf die Gespräche mit Kunden vorbereitet werden, sagt Dr. Bettina Stollhof von der Universität Mainz.

Die Trainingsapotheke in Mainz gibt es bereits seit Wintersemester 2010. „Eine Kollegin hat die Idee aus England mitgebracht. Dort ist die Lehre sehr praxisbezogen“, erklärt Stollhof, die seit dem Wintersemester 2011 das Seminar zur Trainingsapotheke leitet. Das Konzept erhielt von der Universität eine Förderung für innovative Lehrprojekte; aus den Mitteln konnte eine Apotheke samt Kassensystem nachgebaut werden.

Seither belegen alle Pharmaziestudenten im sechsten Semester den Pflichtkurs Klinische Pharmazie I, der in der Übungsapotheke stattfindet. Der Jahrgang wird dabei in Gruppen von etwa 15 Studierenden geteilt. Die meisten haben zuvor keine einschlägigen Erfahrungen gesammelt. „Natürlich gibt es ein paar Teilnehmer, die bereits eine PTA-Ausbildung absolviert haben und daher sicherer sind, doch die Mehrheit betritt Neuland“, sagt Stollhof. In der ersten Doppelstunde gebe eine professionelle Kommunikationstrainerin eine Einführung, auch in nonverbale Kommunikation: Denn diese sei in der Patientenberatung nicht zu unterschätzen.

In den folgenden Seminaren spielen die Studierenden Fallbeispiele aus Stollhofs eigener Erfahrung als Apothekerin nach. Jede Stunde widme sich dabei einem anderen Thema, auf das sich die Teilnehmer zu Hause vorbereiteten. Dazu gehören etwa die Schwerpunkte Asthma und Diabetes. Stollhof verteilt Karteikarten mit Informationen zur Erkrankung an die „Patienten“ als Skript – der „Apotheker“ muss improvisieren. „Die Patienten bekommen außerdem einen Hinweis, ob ihre Figur eher schüchtern oder aufmüpfig ist“, fügt sie hinzu. Denn auch das beeinflusse die Beratungssituation.

Jeder Student nimmt in allen Unterrichtseinheiten aktiv an einem Rollenspiel teil. Die Kommilitonen bewerten sich gegenseitig: „Mit einer Checkliste prüft ein Student Punkte wie die Wortwahl, das Nachfragen und auch den Blickkontakt und die Körpersprache seiner Kommilitonen“, erklärt Stollhof.

„Am häufigsten haben die Studenten Schwierigkeiten damit, alle wichtigen W-Fragen abzuklopfen“, sagt Stollhof. Oft werde anfangs eine entscheidende Frage vergessen. Auch der Umgang mit dem Kassensystem sorge für Probleme. „Alles dauert erst einmal etwas länger“, so die Dozentin. Doch genau dafür gebe es schließlich diese Lernphase. Fachwörter seien eine weitere Hürde: „Es fällt den Studenten schwer, Fachbegriffe so zu erklären, dass sie auch für Laien verständlich sind.“ Am Ende des Semesters seien die Studenten dann insbesondere in ihrer Ausdrucksweise und in der Beratung bedeutend sicherer, berichtet Stollhof.

Der Kurs werde mit einer praktischen Prüfung abgeschlossen. „Wie beim Zirkeltraining durchlaufen die Studenten dann verschiedene thematische Stationen und absolvieren auch ein Rollenspiel“, sagt Stollhof. Von den Studenten erhalte sie positives Feedback: „In den ersten Stunden ist für sie zwar alles etwas ungewohnt, aber dann finden sie den Kurs super, weil er so praxisrelevant ist.“

Auch in Halle wurde im vergangenen Jahr eine Trainingsapotheke eingerichtet. Professor Dr. Ralf Benndorf hatte mit seinem Antritt an der Universität auch das Projekt der Übungsapotheke initiiert. In diesem Semester werden erstmals Kurse in der Apotheke stattfinden, die vom Hexal-Werk in Barleben bei Magdeburg gesponsert wurde.

Benndorf wird zusammen mit Dr. Bernd Rattay einen Seminarblock des Fachs Pharmakotherapie in der nachgebildeten Apotheke durchführen. Den Kurs belegen alle 110 Studierenden des achten Semesters. „Wir werden den Jahrgang in vier Durchgängen in der Übungsapotheke unterrichten, so dass nur knapp 25 Studenten an einem Seminar teilnehmen“, sagt Rattay.

Derzeit erarbeite er mit Benndorf einen großen Pool mit Patientenfällen, die von den Studenten in Rollenspielen gelöst werden sollen. Rattay plant, etwa zwei bis drei Kundenbesuche pro Unterrichtseinheit vorspielen zu lassen und anschließend durchzusprechen. „Wir wollen die Fälle anfangs nicht zu schwer machen, immerhin ist es für die meisten der erste Einsatz als Apotheker“, so Rattay.

Nach dem Losverfahren sollen Studenten für die Rollen Apotheker und Patient bestimmt werden. Dabei möchte Rattay vor allem vermitteln, welche Fragen dem Patienten gestellt werden sollten. „Wie verhalte ich mich, wenn ich zunächst gar nichts weiß? Den Umgang mit solchen Situationen sollen die Studenten kennenlernen“, sagt Rattay. Zugleich sollen die angehenden Apotheker im Seminar lernen, mit einer Software umzugehen. Die Leistung der Studenten werde zunächst nicht benotet.

In der Saale-Stadt üben die angehenden Apotheker auch einmal im Jahr in einer Teddybären-Apotheke den Umgang mit jungen Patienten. Ähnliche Aktionen bieten auch die Unis in Heidelberg und Münster an. Übungsapotheken gibt es auch für die Studenten in Braunschweig und Leipzig.

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