Abholbox im Edeka

„Warum darf DocMorris Rezepte sammeln und wir nicht?“

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Berlin -

Marcus Petzokat ist wütend. Er und seine Frau Kerstin Boje-Petzokat, Inhaberin der Pinguin-Apotheke in Herne, unterlagen vergangene Woche vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) im Rechtsstreit um die Sammelbox, die sie in einem nahe gelegenen Edeka-Markt aufgestellt haben – aus seiner Sicht, weil das Gericht das Apothekengesetz falsch interpretiert. Und auch auf die zuständige Amtsapothekerin ist er nicht gut zu sprechen.

Kein Rezeptsammelkasten, sondern eine Bestellbox – auf diesen Unterschied legt Petzokat größten Wert. „Wir bieten damit ja nicht nur Bestellmöglichkeiten für Rx-Medikamente, sondern auch für OTC-Produkte und sämtliche apothekenüblichen Waren“, beteuert er. „Wir müssen ganz andere Regularien erfüllen als eine Rezeptsammelstelle. Trotzdem versucht man, uns damit gleichzusetzen.“ Seit 2015 beschäftigt der Fall nun schon die Gerichte, ob die Pinguin-Apotheke in einem Edeka-Supermarkt in Herne eine Box aufstellen darf, mittels der Kunden rezeptpflichtige Arzneimittel bestellen dürfen.

Seit Dezember 2014 hatte die Pinguin-Apotheke in Herne versucht, mit einem zwei Meter großen Aufsteller im Eingangsbereich eines Edeka-Marktes in Herne-Holsterhausen Rezepte und Bestellungen einzusammeln. Nachdem eine konkurrierende Apothekerin gegen das Konzept vorging, verbot das Oberlandesgericht Hamm (OLG) den Service im Eilverfahren: Es handele sich um eine nicht genehmigte Rezeptsammelstelle im Sinne der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und eben nicht um eine Pick-up-Stelle, da es keine Stelle zum Abholen von Medikamenten sei, urteilten die Richter 2015.

Daraufhin passte Boje-Petzokat das Modell an: Da die Apothekerin über eine Versanderlaubnis verfügt, konnten die Kunden seit Juni 2015 zwischen Lieferung durch den Botendienst oder Versand durch einen externen Dienstleister wählen. Die Konkurrentin beantragte vor bei Gericht die Festsetzung eines Ordnungsgeldes wegen des vermeintlichen Verstoßes gegen die frühere Entscheidung. Doch die Richter lehnten dies ab und erklärte das Modell für zulässig. Parallel dazu kam es jedoch zum Rechtsstreit mit der Stadt Herne. Apothekerin Petzokat klagte gegen das behördliche Verbot, verlor aber nun in zweiter Instanz vor dem OVG Nordrhein-Westfalen.

Nicht nur widerspricht Marcus Petzokat dem Urteil der Richter, er ist auch erbost über das Vorgehen der Stadt. Denn eigentlich sei alles ganz anders abgesprochen gewesen. Die Initiative zur Aufstellung der Box sei nicht einmal von ihm ausgegangen, sondern auf eine Anfrage des Marktleiters hin. Dieser sei an ihn herangetreten, weil es im Stadtteil keine Apotheke mehr gab – die Idee für die Box habe er vor dem Hintergrund der Bestellterminals bei dm und bei Rossmann gehabt.

Zusammen mit seinem Rechtsanwalt erarbeiteten Petzokat und seine Frau dann ein Konzept und legten es der zuständigen Amtsapothekerin der Stadt Herne vor. „Daraufhin hat sie mir grünes Licht gegeben“, sagt er. Doch dann kam doch das Verbot. „Dieselbe Stadt, die das Projekt vorher abgesegnet hatte“, so Petzokat. Vor Gericht habe die Amtsapothekerin dann angegeben, sie sei überrascht gewesen, als sie die Vorrichtung in echt gesehen hat. Sie habe zuvor gedacht, es handele sich um ein digitales Bestellterminal, wie man es in vielen Drogeriemärkten findet.

Während das Oberlandesgericht der Pinguin-Apotheke recht gab, sehen die Verwaltungsrichter einen Verstoß gegen die ApBetrO. Denn die Box erfülle die Rolle einer Rezeptsammelstelle und Rezepte zu sammeln sei nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erlaubt, unter anderem, wenn es im Umkreis von sechs Kilometern keine Apotheke gibt. Tatsächlich handhabt die Pinguin-Apotheke es so, dass bei Bestellungen innerhalb von Herne der Botendienst ausliefert, bei den wenigen Bestellungen von außerhalb der Versand.

Für die Richter wiederum ist jedoch der „tatsächlich praktizierte Vertriebsweg des Versandhandels“ entscheidend für die Einordnung, nicht die Versanderlaubnis der Apotheke. Typisch für den Versand sei, dass sich Kunde und Apotheker nicht persönlich begegneten und der Kundenkreis nicht örtlich abgegrenzt sei. „Das persönliche Einsammeln von Rezepten durch den Apotheker beziehungsweise sein Personal ist dagegen untypisch“, heißt es in der Urteilsbegründung. Das Gericht gab an, es könne nicht einordnen, ob es sich um eine Präsenz- oder eine Versandapotheke handelt – dabei ist das Petzokat zufolge gar nicht der entscheidende Punkt.

Denn er hält diese Grenzziehung für willkürlich und ungerechtfertigt. Die Nähe zur Präsenzapotheke spräche laut Gericht dafür, dass nur Kunden in der Umgebung angesprochen werden sollen. „Die Verwaltungsrichter sagen, die Box sei zu nah an der Präsenzapotheke. Aber wo ist denn der Unterschied zu einer Versandapotheke?“, fragt er. Laut Verwaltungsgericht sei es nicht üblich für eine Versandapotheke, dass sie über den Boten der Präsenzapotheke ausliefert. „Aber was nicht üblich ist und was verboten ist, sind doch zwei Paar Schuhe! Es ist doch auch anderen Versandapotheken nicht verboten, im selben Ort zu versenden.“

Seine grundlegende Kritik ist, dass es im Gesetz keine eindeutige Aussage gebe, wo und wie eine Apotheke Bestellungen annehmen darf. „Wo ist denn der Unterschied, ob ich auf einer Webseite ein Rezept inklusive aller erforderlichen gesetzlichen Angaben eingebe, es dann in einen Umschlag stecke und in eine Postbox stecke oder ob ich es in eine Pick-up-Box werfe?“, so Petzokat. „Warum darf denn DocMorris Rezepte 'sammeln'? Wenn überhaupt, dann wäre es konsequent, wenn man ein Rx-Versandverbot einführt, dann würde sich die Frage erst gar nicht stellen.“

Mit seinem Versuch, sich über die bisherige Rechtspraxis hinwegzusetzen, macht er sich bei vielen Apothekern nicht gerade beliebt, das weiß er. „Wenn mir einer sagt, dass ich damit rechtliche Wände einreiße, sage ich, dass ich erstens keine rechtlichen Wände einreiße, weil wir der Überzeugung sind 'rechtens zu handeln' und zweitens: dann soll es halt so sein, dass jeder seine Box aufstellen kann.“ Es würde ja dann nicht so weit kommen, dass in jedem Supermarkt mehrere Apotheken ihre Kästen stehen haben. „Dazu müsste erst einmal jede Apotheke eine Versandhandelsgenehmigung erhalten. Und wenn die das für wirtschaftlich sinnvoll halten, warum denn nicht?“

Außerdem wirft er vielen Apothekern Doppelmoral vor: „Viele von den Apothekern, die sich darüber beschweren, spezialisieren sich doch ebenfalls innerhalb ihres Umfeldes, sei es fachlich auf die umliegenden Ärzte bezogen, durch Erweiterung der Offizin mit Randprodukten oder durch 'Drive-in-Schalter'.“ Die Erwartungen an die Branche seien schlicht widersprüchlich. „Wir sind zum einen Gesundheitsdienstleister, zum anderen wird von uns verlangt, Kaufleute zu sein. Da versuche ich natürlich, jeden Vertriebsweg in meiner Branche zu nutzen.“

Dass das Oberverwaltungsgericht „wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache“ die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen hat, zeigt Petzokat, dass sich die Richter bewusst waren, dass sie sich gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gestellt haben: „Den Richtern beim OVG hat ganz offensichtlich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht gefallen. Nun versuchen Sie es auszuhebeln – und dies auf unserem Rücken.“

Ob er und seine Frau den Fall vor das Bundesverwaltungsgericht tragen wollen, haben sie noch nicht entschieden. Zuerst einmal müssten sie sich das Urteil genau anschauen und sich mit ihrem Anwalt beraten. „Wenn wir schlüssig widerlegbare juristische Argumente in dem Urteil finden, dann werden wir in Revision gehen.“ Außerdem müssten sie Kosten und Nutzen abwägen. „Wenn es sich rechnet, gehen wir weiter.“

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