Apothekenstärkungsgesetz

Berliner Kammer legt vor: So sollen Dienstleistungen vergütet werden

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Berlin -

Womit verdient der Apotheker der Zukunft sein Geld? Wahrscheinlich nicht mehr nur mit der Abgabe, sondern mit komplexeren Dienstleistungen – für die es aber auch ein Honorar geben muss. Die Bundes- und die Berliner Apothekerkammer arbeiten daran, das auf den Weg zu bringen: Ein Katalog mit drei gestaffelten Dienstleistungskategorien soll die Grundlage für die Verhandlungen mit Politik und Kassen bieten. Die große Herausforderung sind Leistungen, die zwar vergütet werden, aber keine zusätzlichen Papierberge verursachen – und die retaxfest sind.

Die pharmazeutischen Dienstleistungen werden die Apothekerschaft ab dem kommenden Jahr umtreiben – nicht zuletzt, weil sie ein wichtiges Element des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG) sind, ist sich Kerstin Kemmritz sicher. „Deshalb wollen wir jetzt schon eine Diskussion darüber anstoßen“, sagt die Präsidentin der Berliner Apothekerkammer. Denn unter den Kollegen muss noch einiges an Widerstand gebrochen werden: „Es ist definitiv noch dringend Überzeugungsarbeit zu leisten. Die bisherigen Diskussionen zeigen uns, dass da viele Kollegen sehr verunsichert sind.“ Und nur wenn der Berufsstand selbst überzeugt ist, dass und welche Leistungen er zu welchen Konditionen anbieten kann, könne er Politik und Patienten erklären, dass sie Geld wert sind.

Dabei handelt es sich um kein gänzlich neues Betätigungsfeld, schließlich weiß jeder gute Pharmazeut um die Bedeutung von Kundenberatung oder Medikationsanalyse. Was der Apotheker heute aber fast ausschließlich unbezahlt wegschafft, muss in feste Formen gegossen werden, wenn es vergütet werden soll. Daran arbeitet die Bundesapothekerkammer derzeit hinter den Kulissen. Die Berliner Kammer wiederum ist nun mit einem eigenen Entwurf vorgeprescht, dem „Berliner Modell“.

Dessen Kernpunkt ist eine Einteilung der pharmazeutischen Dienstleistungen in drei aufsteigenden Kategorien. Der einfache Grundgedanke: Je mehr zeitliche, sachliche und personelle Ressourcen die Apotheke für eine Dienstleistung aufbringen muss, desto mehr Geld erhält sie dafür aus dem Fonds, der mit dem VOASG eingerichtet werden soll. Gemeinsam haben alle drei Kategorien, dass sie unabhängig von der Arzneimittelabgabe sind und sowohl der Verbesserung der Gesundheitskompetenz und der Therapietreue, der Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit oder dem Aufdecken arzneimittelbezogener Probleme dienen sollen.

Kann die örtliche Offizin das mit einer niedrigschwellig realisierbaren Maßnahme erreichen, soll sie das nach Kategorie 1 abrechnen können: parameterbezogene einfache Medikationsgespräche mit klarer Zielsetzung zur Adhärenzförderung wie die Überprüfung des Einnahmezeitpunkts, der Anwendung, des Dosierungsintervalls oder der Eignung der Darreichungsformen, aber auch die Kontrolle auf eine eventuelle Doppelmedikation sind damit zum Beispiel gemeint. Aber auch die Begleitung bei neuer Medikation durch Follow-up-Gespräche oder die Beratung und Weiterleitung Betroffener in der Suchtberatung oder bei Beratungsangeboten für pflegende Angehörige würden darunterfallen. Prinzipiell kann diese Art von Dienstleistungen jede Apotheke ohne Fortbildungen, Zertifikate oder zusätzliche Anschaffungen umsetzen – und tut das heute bereits.

Ebenfalls in jeder Apotheke sind die Leistungen aus Kategorie 2 umsetzbar – wenn dafür auch gegebenenfalls eine Fortbildung nötig sein könnte. Dienstleistungen der Kategorie 2 sind solche, die Aufwand erzeugen, da sie mehr Zeit und Personal oder zusätzliche Ausstattungen erfordern oder eine Abstimmung mit weiteren Leistungserbringern notwendig machen – beispielsweise Medikationsanalysen oder Erstellung eines Medikationsplanes, Brown-Bag-Analysen inklusive Überprüfung der Lagerung, sowie Anbruch- und Verfalldaten, die Reiseimpfberatung, Screenings, Labor- und Analyseleistungen oder das individualisierte Stellen von Arzneimitteln für die ambulante Pflege. Noch darüber hinaus sollen die Dienstleistungen der dritten Kategorie gehen: komplexe, auch interdisziplinäre Angebote, für die zusätzliche Ressourcen, Fortbildungen und Zertifizierungen notwendig sind: komplexes, auch interdisziplinäres Medikationsmagement à la ATHINA oder ARMIN, zertifizierte Präventions- und Beratungsangebote, die Spezialkenntnisse erfordern oder auch Modellprojekte im Zusammenhang mit innovativer Leistungserbringung wie das Impfen in der Apotheke.

Im Prinzip sind auch die in jeder Offizin möglich – nicht jede wird sie jedoch anbieten können oder wollen. Neben einem deutlich höheren Aufwand an Zeit, Personal und Ausstattung werden dabei nämlich Erfahrung, Übung und spezialisiertes Fachwissen eine entscheidende Rolle spielen – und diese Dienstleistungen somit zur Spezialisierung der Apotheken beitragen. Ein durchaus umstrittenes Thema, wie sich auch Kemmritz bewusst ist. Sie sieht das jedoch nicht als Nullsummenspiel: „Unser Ansatz ist, dass jede Apotheke möglichst viel anbieten kann, denn wir brauchen die kleinen Standorte, um den niedrigschwelligen Zugang zu erhalten. Aber wir möchten, dass das System offenbleibt: Es soll eben auch neue Dienstleistungen geben, die nicht jede Apotheke machen will.“

Und noch etwas erschwert Leistungen der zweiten und dritten Kategorie: Der Faktor Zeit. Bei der Berliner Kammer will man sich da keinen Illusionen hingeben. „Die komplexeren Kategorien können wir erst dann verteilen, wenn die Bürokratie etwas abgebaut wurde und wir in den Apotheken wieder mehr Freiräume haben“, sagt Kemmritz. „Wenn ich jetzt schon keine Zeit habe, wird das nicht besser, wenn ich mehr Geld bekomme.“ Vor allem zwei Wege seien bei dem Thema gangbar. Einerseits solle der Bürokratieabbau eine größere Rolle in der standespolitischen Arbeit einnehmen. „Herr Spahn macht im Minutentakt Gesetze. Wenn wir ihm da ein paar vernünftige Vorschläge machen, könnte schon etwas erreicht werden“, so Kemmritz. Andererseits könne die neue Technik in Zukunft Prozesse derart umstrukturieren, dass Kapazitäten frei werden. „Wenn das mit der Digitalisierung mal stabil läuft – was noch nicht im kommenden Jahr sein wird – entstehen durch sie im Arbeitsalltag ganz neue Strukturen. Dann können aus Freiräumen auch wieder pharmazeutische 'Freuräume' werden.“

Die Gefahr scheint aber immanent: Kapazitäten werden entweder durch Entbürokratisierung oder durch die Digitalisierung frei, werden aber gleich wieder mit neuen Papiertigern in Form honorierter Dienstleistungen gefüllt. Denn die müssen ja auch abgerechnet werden. Das gelte es unbedingt zu verhindern, fordert Kemmritz. „Es darf nicht sein, dass wir für jede kleine Beratung 87 Seiten Dokumentation ausfüllen müssen“, sagt sie. Denkbar wären mehrere Möglichkeiten, relativ unbürokratisch abzurechnen, beispielsweise ein Vordruck mit Sonder-PZN, die der Patient nach der Beratung unterschreibt. Falls es die Technik hergibt, könne man auch über eine Abrechnung über die Versichertenkarte nachdenken. In anderen europäischen Ländern gebe es das schon. Sinnvoll wäre eine Abrechnung nach Kategorien, „aber wir könnten uns auch eine Einzelbepreisung vorstellen.“

Und dann ist noch die Gretchenfrage: Wie halten es die Apotheker mit dem Geld? Dass die jetzigen 150 Millionen aus dem VOASG nicht ausreichen werden, ist landläufiger Konsens. „Es kommt wirklich darauf an, welche Dienstleistungen wir in welcher Reihenfolge einführen. Dazu muss die Vergütung passen“, sagt Kemmritz. Die ABDA fordert in ihrer Stellungnahme zum VOASG eine Erhöhung auf 300 MIllionen Euro. „Wenn das gut klappt, ist da auch ein Vielfaches im Jahr denkbar und angemessen.“ Die Betonung liegt dabei auf irgendwann: Denn die Leistungen müssten peu à peu kommen. Nicht nur gebe es noch zu viele unbekannte Variablen wie die endgültige Struktur des Dienstleistungsfonds, auch haben die Apotheker im Moment schlicht zu viel um die Ohren. „Wir haben als Apotheker gerade so viele Implementierungen auszuhalten, dass wir den Kopf dafür gerade gar nicht frei kriegen.“

Außerdem berührt es das Thema Überzeugungsarbeit. Kemmritz plädiert deshalb dafür, behutsam vorzugehen und die Kategorien von unten nach oben nacheinander einzuführen. „Es macht Sinn, erstmal leise zu starten, die Kollegen mitzunehmen. Der normale Apotheker, der im Alltag steht und versucht, Lieferengpässe und den neuen Rahmenvertrag zu bewältigen, hat erst mal kein Interesse an neuen Aufgaben. Für den brauchen wir ein Einstiegslevel.“ Denn der frühe Einstieg in die vergüteten Dienstleistungen sei „essentiell wichtig“ für die Branche, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des VOASG.

Bis dahin bleibt aber noch es eine ganze Reihe ungeklärter potentieller Probleme zu besprechen – nicht zuletzt das Thema Retaxationen. Die Gefahr, retaxiert zu werden, könne man vor allem durch eine klare Definition von Strukturen und Bedarf verringern. Eine der Fragen: Wer kann alles eine Dienstleistung, an der die Apotheke verdient, auslösen – nur der Patient auf Nachfrage, der Arzt über die Verordnung oder darf der Apotheker diese Leistungen aktiv bewerben? Über solche Fragen müssen sich Kammern, Verbände und Vereine in den kommenden Monaten abstimmen.

Die BAK arbeitet derzeit an einem eigenen Dienstleistungskatalog, der Kemmritz zufolge dem „Berliner Modell“ recht ähnlich ist. „Da herrscht sehr viel Einigkeit und Überschneidung“, sagt Kemmritz. „Wir werden jetzt erst mal schauen, wie es mit dem VOASG weitergeht, das dann mit der BAK weiter diskutieren, uns dann mit dem DAV abstimmen und erst wenn alles steht, können wir mit den Kassen über das Geld reden.“ So oder so: Es wird wohl noch ein Weilchen dauern. „Kein Kollege muss befürchten, dass er ab dem 1. Januar 2020 fünf Medikationsanalysen am Tag machen muss“, versichert Kemmritz.

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