Schadenersatzklagen

Nebenwirkungen: EuGH begnügt sich mit Indizien

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Berlin -

Die EU-Mitgliedstaaten dürfen Patienten in Schadenersatzprozessen gegen Pharmaunternehmen die Beweisführung erleichtern. Ein „Bündel ernsthafter, klarer und übereinstimmender Indizien“ kann ausreichen, um die Haftung für ein Arzneimittel zu begründen, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch in Luxemburg.

Hintergrund ist ein Fall aus Frankreich. Dort war 2011 ein Mann an Multipler Sklerose erkrankt und gestorben, der 1998 und 1999 insgesamt drei Impfdosen gegen Hepatitis B erhalten hatte. Seine Familie verklagte den Hersteller Sanofi Pasteur MSD.

In der EU-Richtlinie 85/374/ wird eigentlich gefordert, dass der Geschädigte den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang nachzuweisen hat. Das französische Recht erleichtert Patienten jedoch die Beweisführung in solchen Fällen. Auch in Deutschland gibt es eine Beweiserleichterung für Patienten nach dem Arzneimittelgesetz.

Aus Sicht der Luxemburger Richter ist das mit EU-Recht vereinbar, solange ein Indizienbündel gefordert wird, das einen Zusammenhang zwischen Medikament und einer späteren Erkrankung mit „einem hinreichend hohen Grad an Wahrscheinlichkeit“ nahelegt.

Die Begründung liegt noch nicht vor. In seinen Schlussanträgen hatte Generalanwalt Michal Bobek erklärt, dass Gerichte auch „ernsthafte, klare und übereinstimmende Vermutungen“ berücksichtigen können, wenn die allgemeine medizinische Forschung keinen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und dem Auftreten der Krankheit herstellt. Dabei dürfe die Beweisführung allerdings nicht de facto zu einer Umkehrung der Beweislast führen.

Bei einer solchen Art und Weise der Beweisführung dürfen insbesondere nur Vermutungen herangezogen werden, die auf Beweismitteln beruhen, die sowohl relevant als auch streng genug sind, um die gezogenen Schlussfolgerungen zu stützen, und die widerleglich sind. Auch dürften sie den Richtern nicht verwehren, relevante Beweismittel etwa aus der medizinischen Forschung zu berücksichtigen, oder als abschließender Beweis gelten.

Bereits 2014 hatte der EuGH entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Hersteller zur Auskunft verpflichten können. Im deutschen Haftungsrecht für Arzneimittel besteht ein Auskunftsanspruch für mutmaßlich geschädigte Patienten: Der stellt sicher, dass betroffene Patienten von Pharmafirmen die Informationen erhalten, die sie für eine Schadensersatzklage brauchen.

In dem Streit, den der Bundesgerichtshof (BGH) in Luxemburg vorgelegt hatte, ging es um eine Diabetikerin, bei der es in Folge der Behandlung mit Levemir (Insulin detemir) zu einer Lipoatrophie gekommen war. Der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk musste die geforderten Unterlagen liefern.

In einem zweiten Fall verpflichtete der BGH die Teva-Tochter AbZ zur Offenlegung: Ein Patient hatte wenige Tage nach Beginn der Therapie der Therapie mit Allopurinol grippeartige Symptome entwickelt; trotz Therapieabbruch hatte sich sein Gesundheitszustand verschlimmert. Später wurde eine toxisch epidermale Nekrolyse (TEN) mit Augen- und Schleimhautbeteiligung diagnostiziert – aufgrund der Erkrankung fielen ihm alle Finger- und Fußnägel sowie sämtliche Zähne aus. Zudem sei eine starke Sehschwäche zurückgeblieben, die zur Fahruntüchtigkeit geführt habe, so die Anwälte.

Bei Behandlungsfehlern durch Ärzte gilt laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) sogar eine Beweislastumkehr: „Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.“ Nicht der Patient muss also nachweisen, dass der Fehler zum gesundheitlichen Schaden geführt hat. Vielmehr muss der Behandelnde belegen, dass es keinen kausalen Zusammenhang gibt. Der Paragraf gilt streng genommen nur für Ärzte, soll im Fall des Bottroper Pfusch-Skandals nun aber erstmals auf Apotheker übertragen werden.

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