Pro Generika legt Machbarkeitsstudie vor

Antibiotika wieder in Deutschland produzieren

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Berlin -

In Zeiten der Hoechst AG galt Deutschland als Apotheke der Welt, heute werden Wirkstoffe für Arzneimittel kostengünstiger im Ausland produziert. Der Großteil der aktiven Substanzen kommt aus Indien und China. Die Geiz-ist-geil-Mentalität ist längst in der Arzneimittelversorgung angekommen, die Folgen sind Lieferengpässe und Qualitätsmängel. Denn können die Fabriken aus Fernost nicht liefern, fehlen in Deutschland lebensrettende Arzneimittel. Der Ruf wird laut, sich aus der Abhängigkeit zu begeben und die Produktion wieder nach Deutschland und Europa zu verlagern. Der Verband Pro Generika hat heute die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie vorgestellt.

Die letzen Monate waren von verschiedenen Arzneimittelskandalen und Lieferengpässen geprägt. 2017 fehlten mit Piperacillin und Tazobactam antibiotische Arzneistoffe. Weil am 10. Oktober 2017 in Dongia in der chinesischen Provinz Shandong eine Fabrik des Lohnherstellers Qilu explodierte, fehlten die in der Klinikversorgung unverzichtbaren Arzneimittel – der damalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe musste einen Versorgungsmangel ausrufen. In diesem Jahr fehlt es an Ibuprofen, Allergiker mussten ohne Adrenalin-Pens auskommen. Den Höhepunkt in diesem Jahr ist der Skandal um den verunreinigten Blutdrucksenker Valsartan – auch der Angiotensin-2-Rezeptoblocker wird zum Großteil in China und Indien produziert.

Experten mahnen seit Längerem: Der gestiegene Kostendruck auf Generikahersteller – die mit etwa 80 Prozent den Großteil der Arzneimittelversorgung stemmen – habe längst zu einer Verlagerung der Wirkstoffproduktion in Schwellenländer geführt. Generika verursachten jedoch nur etwa 9 Prozent der Arzneimittelkosten. Pro Generika wollte wissen, ob zumindest die Produktion versorgungskritischer Medikamente wie beispielsweise Antibiotika wieder nach Europa zurückverlegt werden kann und ob es für die Unternehmen wirtschaftlich sein kann. Mit der Machbarkeitsstudie „Versorgungssicherheit mit Antibiotika: Wege zur Produktion von Antibiotikawirkstoffen in Deutschland beziehungsweise der EU“ wurde die Unternehmensberatung Roland Berger beauftragt.

Fazit in Kurzform: „Eine Rückverlagerung von Teilen der Antibiotikaproduktion wäre mit Hilfe einer gemeinschaftlichen Initiative aller betroffenen Stakeholdergruppen (Industrie, stationäre und ambulante Versorger, Politik, Krankenkassen) grundsätzlich möglich.“

Vier Fragen galt es im Rahmen der Machbarkeitsstudie zu beantworten: Warum besteht eine Notwendigkeit? Wie sieht der Prozess der Umverlagerung aus? Wie ist die Wirtschaftlichkeit zu bewerten? Welche Betreibermodelle gibt es? Die Notwendigkeit lässt sich mit zwei Hauptfaktoren erklären: Zum einen wurde in den 80er-Jahren in China eine Subventionspolitik gefahren. Die Antibiotikaproduktion wurde hochgefahren, die Effizienz wurde gesteigert und eine Überkapazität geschaffen, die sich der zweite Faktor – der lokale Faktor Preisdruck – zunutze machte. Die Cephalosporin-Produktion am deutschen Standort in Frankfurt Hoechst wurde eingestellt: 2015 hatte Corden Bioscience noch 1300 Tonnen hergestellt, als die Chinesen mit einer Preissenkung darauf reagierten, musste Corden kapitulieren und die Produktion 2017 einstellen. Seitdem hängt Deutschland am Tropf, denn vier von sechs Produktionsstätten der Vorstufen für Cepahlosporine und Penicilline sind in China.

Roland Berger zeigt drei Szenarien, die Antibiotikaproduktion der Cephalosporine wieder nach Deutschland oder Europa zu verlagern:

  • Produktion des deutschen Bedarfs von 100 Tonnen Cephalosporinen pro Jahr
  • Produktion des europäischen Bedarfs von 500 Tonnen
  • wirtschaftliche Produktion von 1000 Tonnen

Profitabel sind laut Unternehmensberatung alle Szenarien drei nicht. Allein die Produktion des deutschen Bedarfs würde ein Minus von 55 Millionen Euro einfahren. Der Umsatz decke gerade einmal die Personalkosten. Um das Defizit auszugleichen, müsste eine Tagesdosis einen Cephalosporins 46 Cent mehr kosten oder die Kassen ihre Gesamtausgaben um 0,25 Prozent steigern – ausgehend von Gesamtausgaben von 22 Milliarden Euro.

Die Unternehmensberatung legt drei Modelle zur staatlichen Unterstützung vor. Die Erhöhung der Endpreise wäre eine Möglichkeit, wobei die Ausschreibungen und Rabattverträge ein Werkzeug wären. So könne beispielsweise die Bedingung eingeführt werden, dass ein Teil der Arzneistoffe in Deutschland oder Europa produziert werden muss. Die Rede ist vom Siegel „Made in EU“ oder „Made in Deutschland“. Eine zweite Möglichkeit ist die Subventionierung in Form einer Investitionsbezuschussung. Als dritte Möglichkeit wird die staatliche Vergütung von Kapazitätsbereitstellungen angesehen. Für die Unternehmensberatung der „sortenreinste Vorschlag“. Gangbar seien jedoch alle drei Modelle oder eine Mischform.

Laut Michael Hennrich, Arzneimittelexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist die Bereitschaft der Politik da. „Zuerst muss geklärt werden, ob und wenn ja welche Lösung man anstrebt.“ Außerdem müsse die Frage beantwortet werden, ob das Thema auf nationaler oder europäischer Ebene angegangen wird. Hennrich favorisiert Modell 3, schließlich habe sich dieses schon im Bereich der Kohle bewährt.

Wolfgang Späth, Vorstandsvorsitzender von Pro Generika, will weder einen „fairen Milchpreis“ noch „Kohle-Subventionen“. „Das System muss sich selbst justieren.“ Späth verweist auf das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) und fragt: „Wo ist denn die Sicherung der Versorgung? Es steht zwar drauf, ist aber nicht drin.“ Aktuell sieht Späth keinen Anreiz, die Antibiotikaproduktion wieder nach Deutschland zu verlegen. Einen Anreiz gebe es, wenn im Rahmen der Mehrfachvergabe bei Rabattverträgen eine Wirkstoffquelle in Europa liegen muss.

„Um die Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln zu erhöhen, ist auch eine Stärkung der heimischen Produktion notwendig. Dieser Weg ist hochkomplex und kann nicht von einem Akteur alleine getragen werden“, heißt es von Pro Generika. Auch wenn klar sei, dass „Autarkie“ angesichts der Globalisierung weder sinnvoll noch realistisch sei, wolle man zusammen mit der Politik Ansätze diskutieren, wie diese Herausforderung gemeistert werden kann. Mit der Studie sei man in Vorleistung gegangen. „Es gibt nun erstmals eine analytische Grundlage für diese Diskussion. Der Pharmadialog der Bundesregierung wäre dafür eine ideale Plattform.“

Hennrich sichert zu, das Thema mit in den nächsten Pharmadialog zu nehmen. Vor Weihnachten könne man das Thema nicht lösen. „Ambitioniert wäre eine Lösung bis Weihnachten 2019. Die Bereitschaft eine Lösung zu finden, ist da“, versichert Hennrich.

Für Professor Dr. Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), könnte die Verlegung der Produktion eine preiswerte Lösung sein, denn: „Engpässe, falsch verabreichte Antibiotika und daraus resultierende Resistenzen sind auf Dauer teurer und nicht günstiger. Wir brauchen eine intelligente Lösung.“ Von einem Subventionstopf für Antibiotika hält Broich nichts. Dann würde der Wunsch nach einer Subvention für Kinderarzneimittel oder geriatrische Arzneimittel laut. Eines ist für Broich jedoch klar: „Wir müssen die europäischen Kollegen mitnehmen.“

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