Interview Professor Dr. Volker Amelung (BMC)

Selektivvertrag sticht freie Apothekenwahl

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Berlin -

Selektivverträge sind eine Glaubenssache: Sie werden gefeiert oder verteufelt. Professor Dr. Volker Amelung ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Managed Care (BMC) und sitzt im Aufsichtsrat der Schweizer Ärzte-AG „Zur Rose“. Mit APOTHEKE ADHOC sprach er über den Sinn von Selektivverträgen, die legitime Einschränkung der freien Apothekenwahl und warum Apotheken aus seiner Sicht keine federführende Rolle einnehmen.

ADHOC: Warum braucht das Gesundheitssystem Selektivverträge?
AMELUNG: Der entscheidende Punkt ist, dass Selektivverträge keine Alternative zum Kollektivvertrag darstellen. Es geht nicht um ein „Entweder – Oder“, sondern darum, die kollektivvertragliche Versorgung um Selektivverträge zu ergänzen oder zu modifizieren. Zum einen gibt es Teilbereiche, in denen wir Differenzierung gut gebrauchen können und auch haben wollen, weil Patienten unterschiedliche Bedürfnisse haben. Selektivverträge sind also ein Instrument, um Versorgung patientenorientierter zu gestalten. Zum anderen sind Selektivverträge das beste Instrument, um Wettbewerb im Gesundheitswesen auszuprobieren.

ADHOC: Was steht dabei im Vordergrund: Qualität oder Wirtschaftlichkeit?
AMELUNG: Qualität und Wirtschaftlichkeit stehen aus meiner Sicht gar nicht im Widerspruch zueinander. In diesem Punkt unterscheidet sich das Gesundheitswesen von vielen anderen Branchen. Es gibt nichts Günstigeres als gute Versorgung und nichts Teureres als schlechte Versorgung. Denken Sie beispielsweise an die Kosten, die ein schlecht versorgter psychisch Kranker oder ein schlecht eingestellter Diabetiker im System verursachen. Wenn man diesen Zusammenhang betrachtet, hat es höchste Priorität, sich um gute Versorgung zu kümmern. Die günstige Versorgung resultiert daraus in vielen Fällen automatisch.

ADHOC: Aber die Anbieter wollen auch an den Verträgen verdienen.
AMELUNG: Wir dürfen nicht in die Falle tappen, Krankheitskosten losgelöst von gesellschaftlichen Gesamtkosten zu betrachten. Geld, das wir in die Hand nehmen, um eine gute Versorgung für Menschen mit chronischen Erkrankungen zu gewährleisten, zahlt sich volkswirtschaftlich betrachtet um ein Vielfaches wieder aus – sei es, weil wir dadurch Krankenhauseinweisungen vermeiden oder weil Menschen durch gute Versorgung in die Lage versetzt werden, ihrer Berufstätigkeit ganz oder teilweise wieder nachzugehen.

ADHOC: Was rechtfertigt die Einschränkung der freien Apotheken- und Arztwahl?
AMELUNG: Bei Selektivverträgen geht es ja vor allem um eine sinnvolle Steuerung: Man kann Qualitäts- oder Verhaltensstandards festlegen, durch die bessere Ergebnisse erzielt werden. Diese besseren Ergebnisse rechtfertigen die Einschränkung. Natürlich darf die Einschränkung nicht willkürlich erfolgen, sondern muss versorgungsrelevante Gründe haben. Das kann beispielsweise die Nutzung bestimmter Technologien oder der Nachweis besonderer Qualifikationen sein.

ADHOC: In welchen Fällen wäre das vorstellbar?
AMELUNG: Gerade bei komplexen Krankheitsbildern gibt es in der Regel eine Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient. Durch die Einschreibung in selektivvertragliche Programme kann der Patient sicher sein, auf einem hohen Niveau versorgt zu werden, eben weil an seiner Versorgung nur diejenigen beteiligt sind, die sich in besonderer Weise dafür qualifiziert haben.

ADHOC: Welche Rolle spielen Apotheken bei der integrierten Versorgung?
AMELUNG: Wenn man den Gesamtprozess betrachtet, spielt der Apotheker in der Integrierten Versorgung eine unterstützende, durchaus auch mitgestaltende Rolle, aber sicherlich wird er keine federführende Rolle einnehmen. Das trifft übrigens auf den Großteil der Leistungserbringer zu. Es liegt ja in der Natur einer koordinierten Versorgung, dass es einen Koordinator gibt und alle anderen Beteiligten ihren Beitrag im Sinne des Gesamtprozesses und zum Wohl des Patienten leisten.

ADHOC: Können Sie die Scheu vieler Apotheker vor Selektivverträgen nachvollziehen?
AMELUNG: Ich finde diese Zurückhaltung eigentlich verwunderlich. Denn Selektivverträge stellen ja nur für den ein Problem dar, der nicht mitmacht. Für diejenigen, die sich daran beteiligen, sind sie in der Regel von Vorteil, auch finanziell.

ADHOC: Das Bundessozialgericht hat allerdings 2008 in Sachen Barmer-Hausapothekenvertrag einen Selektivvertrag mit Apothekenbeteiligung verboten.
AMELUNG: In dem Urteil ging es ja lediglich darum, dass die Kooperation von Hausärzten und Apotheken allein noch keine Integrierte Versorgung darstellt. Das Urteil ist aber nicht an sich ein Argument gegen die Einbindung von Apothekern. Es besagt ja nicht, dass man keine Apotheker einbinden sollte, sondern dass noch weitere Akteure hinzugezogen werden sollen.

ADHOC: Stehen die Apotheker mit dem neuen Paragrafen zur Besonderen Versorgung besser da als vorher?
AMELUNG: Der § 140a SGB V ist für alle Beteiligten besser, Apotheker eingeschlossen. Er ist eins der wenigen Beispiele, wo die Politik die Forderungen der Akteure aus dem Gesundheitswesen ernst genommen hat, Bürokratie abzubauen und rechtliche Vorgaben zu verschlanken. Inhaltlich ändert sich nichts, aber man hat einfach mal aufgeräumt, was die Regulierungsvielfalt angeht, und man hat die Rolle der Aufsicht klargestellt.

ADHOC: Wo könnten Patienten von einer besseren Einbindung der Apotheken profitieren?
AMELUNG: Die Patienten profitieren vor allem davon, dass es einen Experten gibt, der den Überblick über die gesamte Medikation hat. Kein Patient hat ein Interesse daran, dass sich sein Gesundheitszustand wegen unerwünschter Arzneimittelereignisse verschlechtert oder dass er deswegen sogar ins Krankenhaus eingewiesen werden muss. In der Praxis passiert das aber viel zu häufig. Wir verzeichnen ja eine immense Zunahme an Patienten mit multimorbiden Krankheitsbildern. Daraus folgt, dass Polymedikation und die damit verbundenen Risiken ebenfalls stark zunehmen. Die Kompetenz des Apothekers ist also mehr gefragt denn je.

ADHOC: Müssen die Apotheker besser werden?
AMELUNG: Den Patienten interessiert nicht die Qualität einzelner Versorgungsmodule, sondern die Qualität des gesamten Versorgungsprozesses. Und an diesem Versorgungsprozess ist der Apotheker nun einmal beteiligt. Nehmen wir beispielsweise einen Diabetiker. Er braucht ärztliche Leistungen, Heil- und Hilfsmittel, Ernährungsberatung und Arzneimittel. Er profitiert am meisten, wenn alle diese Leistungen aufeinander abgestimmt sind und jeder der Beteiligten seinen Beitrag in qualitätsgesicherter Weise leistet.

ADHOC: Und welchen Anreiz haben Apotheker, sich an Selektivverträgen zu beteiligen?
AMELUNG: Die Versorgung mit Medikamenten ist aus Sicht des Patienten ein wesentlicher Bestandteil der Versorgungskette. Deshalb ist es absolut notwendig, dass der Apotheker in den Prozess einbezogen ist – mit all seinem Wissen und seiner Erfahrung. Die Beteiligung an Selektivverträgen macht den Beruf des Apothekers aus meiner Sicht attraktiver, weil er die beratende Rolle, in der sich viele Apotheker ja selbst eigentlich sehen, tatsächlich ausfüllen und den Versorgungsprozess mitgestalten kann.

ADHOC: Wie könnten Apotheker besser eingebunden werden?
AMELUNG: Man kann die Frage so stellen. Man könnte aber auch fragen: Wie bringen Apotheker sich aktiv ein? Welche Rolle wollen sie zukünftig spielen? Der Ball liegt ja auch bei ihnen. Wenn Apotheker aufzeigen, in welcher Weise es für den Patienten und die anderen Leistungserbringer sinnvoll ist, sie als Partner stärker einzubeziehen, dann wird man sie sicher nicht abweisen.

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