Nachtdienstgedanken

Unerwarteter Besuch im Notdienst

, Uhr
Berlin -

Im Notdienst kann es hektisch oder ruhig sein – jeder Dienst ist anders. Einmal kommen nur diejenigen, die eigentlich keine Notfälle sind und manchmal ist der Nachtdienst der letzte Strohhalm, an den sich die Kranken noch klammern können. Doch es gibt auch Nächte, in denen die dienstbereiten Apotheker noch mehr tun können, als ihre Aufgabe es eigentlich vorsieht.

Sarah sitzt mit frischer Kraft nach ihrem Urlaub in der Rezeptur und erzählt Max der Fantaschale, was sie so alles erlebt hat. Sie konnte am Meer ein wenig Kraft tanken und die Gedanken schweifen lassen. Einmal ganz frei vom täglichen Apothekenalltag hatte es sie auf eine kleine und malerische Nordseeinsel verschlagen. „Weißt du Max, die Menschen dort müssen mit dem Rhythmus der Natur leben. Und die Nachbarn sind quasi wie eine Familie. Da ist einer auf den anderen angewiesen – so eigenbrötlerisch wie man denkt sind die Nordlichter gar nicht.“ Und schon klingelt die Nachtdienstglocke und unterbricht sie rüde. Richtig zum Erzählen kommt Sarah erst einmal nicht, Max muss warten bis alle Kunden bedient wurden. Mückenstiche, Erkältungen und ein Hexenschuss beschäftigten Sarah eine Weile, bis sie es sich wieder in der Rezeptur gemütlich machen kann.

Da klingelt es wieder. Doch es ist nicht die Türglocke, die sie ruft: Es ist der Bewegungsmelder, der normalerweise tagsüber die Tür öffnen würde. Wieder und wieder meldet sich die Glocke und Sarah, die zunächst dachte es sei nur ein Passant, kommt neugierig um die Ecke. Wer will denn da mitten in der Nacht in die Apotheke hinein? Sie sieht eine alte Dame, die mit ihrem Rollator direkt vor der Automatiktüre steht und ihn vor und zurück schiebt. Sarah geht zu ihr nach vorne. „Hallo Sie!“ schallt es ihr schon entgegen. „Irgendwas stimmt nicht mit ihrer Türe! Sie geht einfach nicht auf, obwohl ich direkt davor stehe!“ Normalerweise öffnet Sarah im Notdienst nur ihre Klappe um die Medikamente herauszugeben. „Was meinst du Max? Soll ich ihr aufmachen? Vielleicht braucht sie Hilfe?“ Ihr Freund aus der Rezeptur ist ihrer Meinung. „Lass sie auf jeden Fall rein! Da stimmt etwas nicht“, ruft er ihr besorgt zu. Sarah lässt die alte Dame herein.

Diese plumpst erst einmal in die kleine Sitzgruppe und atmet hörbar durch. „Dankeschön, Fräulein. Ich bin schon ganz müde, sag' ich Ihnen. Ich setze mich nur einen Moment hin und Ruhe mich aus, dann geht es weiter. Hätten sie vielleicht ein Glas Wasser für mich?“ Sarah nickt und beeilt sich, etwas zu trinken zu beschaffen. Glücklicherweise stehen keine Kunden vor der Klappe und warten. „Max, was mache ich denn jetzt mit ihr? Ich kann sie doch nicht einfach wieder gehen lassen.“ . „Frag sie doch erst einmal, wer sie ist und woher sie kommt“, schlägt Max vor, „dann wissen wir schon mehr“. „Gute Idee, so machen wir es.“

Die Dame trinkt einen Schluck aus dem Becher, schaut Sarah an und antwortet hastig und getrieben: „Wissen Sie, ich habe es wirklich nicht leicht. Man hat mich einfach weggebracht in ein fremdes Haus. Ich habe noch nicht mal ein Telefon dort. Dabei möchte ich doch nur meine Mutter anrufen, und sagen, dass sie sich keine Sorgen machen soll. Auch mein Vater ist bestimmt ganz aufgebracht weil er nicht weiß wo ich bin. Ich bin einfach losgelaufen. Ich will jetzt nach Hause, aber ich finde die richtige Straßenbahn nicht. Vielleicht können sie mir ja helfen?“ Sarah schaut sie an: „Sagen sie mir, wer sie sind und wo sie wohnen? Dann kann ich bestimmt etwas für sie tun.“

„Ich heiße... mein Name ist... das gibt es doch nicht! Eben wusste ich noch alles, und jetzt ist es weg!“ Die Apothekerin beruhigt sie: „Das ist doch nicht schlimm, das kann doch jedem einmal passieren. Warten sie noch einen Moment, dann fällt ihnen sicher alles wieder ein.“ Sarah wirft einen Blick auf den Rollator und erkennt den Adressaufkleber. Er stammt aus dem Alten- und Pflegeheim ein paar Straßen weiter. „Wissen sie was? Ich mache uns einen Tee und sie denken noch kurz darüber nach, ja?“ Sie geht nach hinten und sucht die Telefonnummer des Heimes heraus, während sie versucht, die Dame zu beschäftigen, damit sie noch sitzen bleibt.

Nach dem kurzen Anruf kommt sie mit dem Tee und einer Rätselzeitschrift mach vorne. „Danke für den Tee, aber Rätsel sind doch eher etwas für alte Leute, oder?“ Eine Weile sitzen die beiden noch nebeneinander, bis die Glocke schrillt und ein Pfleger vor der Türe steht. „Frau Schmitt, da sind sie ja! Wir hatten uns schon große Sorgen gemacht!“ Sie geht widerstandslos mit, doch Sarah erntet einen langen und vorwurfsvollen Blick. Max beruhigt sie: „Du hast alles richtig gemacht Sarah, das weißt du hoffentlich?“ Sie nickt. „Das ist mir schon klar, aber sie tut mir dennoch leid. Sie ist so einsam in ihrem Vergessen, weil niemand mehr da ist, den sie kennt. Viel einsamer noch, als jeder Bewohner einer Hallig in der Nordsee.“

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