BGH begründet Boni-Urteil

Taschentuch und Traubenzucker: Apotheken dürfen kundenfreundlich sein

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Berlin -

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat seine Urteilsbegründung in den beiden schon entschiedenen Boni-Verfahren – Ofenkrusti und 1€-Gutschein – veröffentlicht. Die Karlsruher Richter verfolgen bei Zugaben jetzt eine sehr strenge Linie. Apotheken dürfen aber weiterhin kleine Zugaben spendieren, wenn dies nicht an die Rezeptabgabe gekoppelt ist. Der BGH wiederholt seine Auffassung, dass eine Boni-Verbot erst dann eine Inländerdiskriminierung gegenüber ausländischen Versandapotheken darstellt, wenn diese mit maßgeblichem Marktanteil die Versorgung gefährden.

Der BGH hatte im Juni in zwei Fällen entschieden: In einer Apotheke in Darmstadt gab es zum Rx-Medikament einen Brötchen-Gutschein für die nahe Bäckerei. Die Gerichte der Vorinstanzen hatten den Gutschein für unzulässig erklärt. Im zweiten Fall hatten Kunden einer Berliner Apotheke einen Ein-Euro-Gutschein für den nächsten Einkauf bekommen. Das Berliner Kammergericht hielt dies nicht für wettbewerbswidrig. Der BGH hat beide Modelle für unzulässig erklärt.

Nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung auch geringwertige Zugaben wie Taschentücher oder Traubenzucker angesprochen hatte, hatte es in dieser Frage viel Unsicherheit im Markt gegeben. Dürfen Kinder jetzt kein Traubenzucker mehr bekommen, wenn die Eltern das Rezept über Fiebersaft einlösen? In der Urteilsbegründung hat sich der BGH zu solchen Fragen nicht im Detail geäußert, weil es in den verhandelten Fällen nicht darum ging. Und in diesen war die Sache jeweils recht klar, weil die Boni beim Einlösen von Rezepten gewährt wurden.

Nur an einer Stelle bezieht sich der BGH auf Taschentücher, als er im Ofenkrusti-Verfahren die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt. Das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) habe zurecht angenommen, dass ein Brötchen-Gutschein den Erwerb eines Arzneimittels günstiger erscheinen lasse. Die Auslobung eines konkreten Sachwerts sei sogar ein größerer Anreiz als ein Gutschein über einen entsprechenden Centbetrag. „Sofern die Sachangabe für den Kunden einen wirtschaftlichen Wert habe, an den Erwerb des Arzneimittels gekoppelt sei und nicht nur – wie etwa die Überlassung eines Traubenzuckers oder einer Packung Taschentücher – als Ausdruck von Kundenfreundlichkeit aufgefasst werde, unterlaufe die Apotheke damit ebenfalls die Preisbindung.“ Der BGH zitiert hier die Vorinstanz, macht sich mit der Zurückweisung der Revision das Urteil aber auch zu eigen: „Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.“

Allerdings machen die Karlsruher Richter klar, dass es aus ihrer Sicht keinerlei Bagatellschwelle mehr gibt, sobald es um die Abgabe preisgebundener Arzneimittel geht. Auch der Gutschein im Gegenwert von 30 Cent verstoße gegen das Preisrecht. Der Brötchen-Gutschein sei auch kein „handelsübliches Zubehör“ oder „handelsübliche Nebenleistung“. Maßgeblich dafür sein eine „funktionale Beziehung zur Hauptware“.

Es bestehen laut BGH keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei der Ergänzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG mit Wirkung zum 13. August 2013 abhängig von der Motivation des Werbenden bestimmte Werbegaben vom Verbot hatte ausnehmen wollen. „Die Passage in den Gesetzgebungsmaterialien, wonach eine Differenzierung zwischen der zwischen der Bewertung von Barrabatten und geldwerten Rabatten, die zu einem späteren Zeitpunkt eingelöst werden können, sachlich nicht gerechtfertigt ist, meint mit dem Begriff der geldwerten Rabatte nicht allein betragsmäßige Werbegaben in Form von Wert-Gutscheinen. Dies wird insbesondere durch die nachfolgenden Ausführungen deutlich, nach denen der Verbraucher ‚in keinem Fall‘ durch die Aussicht auf Zugaben und Werbegaben unsachlich beeinflusst werden soll.“

Die Wettbewerbszentrale hatte sich in beiden Verfahren gegen die Apotheker durchgesetzt hat und begrüßt, dass der BGH das seit der gesetzlichen Klarstellung im Jahr 2013 bestehende absolute Boni-Verbot in den Urteilen nun bestätigt hat. Gegen Traubenzucker und Taschentücher wird zumindest die Wettbewerbszentrale auch künftig nicht vorgehen. Apotheker sollten allerdings aufpassen, Geschenke nie an die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu koppeln.

Der Einkaufsgutschein über einen Euro im anderen Fall hatte laut BGH-Urteil eindeutig einen Produktbezug – es handelte sich demnach nicht um zulässige Imagewerbung. Ein Produktbezug kann laut Urteil auch bestehen, wenn die Werbung das gesamte Sortiment der Apotheke umfasst. Da der Berliner Apotheker den Gutschein auch bei der Einlösung eines Rezepts für Rx-Arzneimittel gewährte, erkannte der BGH einen Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung.

Dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) ausländische Versandapotheken von der Preisbindung freigesprochen hat, spielt laut BGH hier keine Rolle. Denn es handele sich um eine rein innerstaatliche Angelegenheit und der Gesetzgeber halte auch nach dem EuGH-Urteil an der Preisbindung fest. Da diese „vernünftigen Gründen des Gemeinwohls“ diene, liege auch kein Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit vor.

Wie in einem früheren Urteil hat der BGH zudem eine Inländerdiskriminierung verneint. Solange der Gesetzgeber das gewählte Mittel – die Preisbindung – für erforderlich hält, um die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln zu gewährleisten, habe er hier einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum. Dieser sei erst überschritten, wenn „vernünftigerweise keine Grundlage“ dafür mehr besteht. Die Preisvorschriften wären demnach erst in Frage gestellt, „wenn der Gesetzeszweck infolge des Umfangs der Tätigkeit ausländischer Versandapotheken im Bereich der preisgebundenen Arzneimittel nicht mehr allgemein erreicht werden kann oder die gesetzliche Regelung angesichts des Konkurrenzdrucks aus dem europäischen Ausland nicht mehr zumutbar ist“, heißt es im Urteil. Es müsse erst eine „ernsthafte Existenzbedrohung inländischer Präsenzapotheken eintreten“ und das finanzielle Gleichgewicht im GKV-System gefährdet sein, damit das Gericht selbst eingreifen könne.

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