Inkontinenzversorgung

TK schüchtert Patienten ein

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Berlin -

Vier Millionen Deutsche leiden unter Inkontinenz. Die von den Krankenkassen gestellten Hilfsmittel sind oft so schlecht, dass der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), bessere Windelqualität gesetzlich vorschreiben will. Derweil arbeitet der GKV-Spitzenverband an der ersten Novellierung des Hilfsmittel-Verzeichnisses seit 1993. Anders als die Barmer hat die Techniker Krankenkasse (TK) Anfang Februar noch schnell neue Hilfsmittelverträge aufgesetzt. Damit sollten Patienten in eine Falle gelockt werden, kritisiert Stefan Süß vom Selbsthilfeverband Inkontinenz.

Hilfsmittelverträge stehen in der Kritik, Hersteller dazu zu bringen, schlechte Ware anzubieten. Süß hatte der DAK vorgeworfen, den Zuschlag an den billigsten Anbieter zu vergeben und bewusst in Kauf zu nehmen, dass Versicherte das teurere Produkt aus eigener Tasche bezahlen müssen.

Nun kritisiert er die TK: Deren jüngste Verträge sehen eine monatliche Pauschale für Inkontinenz-Hilfsmittel von 18,45 Euro vor. Das liege deutlich unter einem realistischen Wert, so Süß. Am Fallbeispiel einer leichten Inkontinenz hat sein Verband den Bedarf ausgerechnet: Bei sechs Urinvorlagen pro Tag und einem Festbetrag von 21 Cent pro Vorlage kämen im Monat knapp 40 Euro für eine ausreichende Versorgung zusammen. „Von der Pauschale sollen auch schwere Fälle mitfinanziert werden – das geht nicht einmal in Ansätzen“, kritisiert Süß.

Bislang konnten Patienten in medizinisch begründeten Ausnahmefällen die Produkte ihrer Wahl erhalten: Der Arzt konnte einen konkreten Anbieter verordnen und „aut idem“ ankreuzen. Die Produkte konnten auch von einem Leistungserbringer geliefert werden, der nicht TK-Vertragspartner war. Die Kasse habe die Ausnahmen nach Einreichung der entsprechend erforderlichen Anträge akzeptiert, so Süß.

Die TK versuche nun, sich gegen derartige Ausnahmen zu sperren, sagt Süß. Betroffene hätten ihm die Vorgehensweise des Fachzentrums übereinstimmend geschildert: Legten Versicherte gegen Ablehnungsbescheide Widerspruch ein, würden sie von Mitarbeitern angerufen und eingeschüchtert, berichtet Süß. „Einer Patientin wurde gesagt, dass die entsprechenden Hilfsmittel doch auch bei dm oder Rossmann im Sortiment seien.“

Den Betroffenen sei zudem vorgeworfen worden, sich schlecht informiert zu haben. Nur noch Vertragspartner der TK seien zur Versorgung berechtigt. „Das stimmt nicht“, betont Süß. Stattdessen vernachlässige die Kasse ihre Versorgungspflicht, wenn sie die Kosten der Hilfsmittel nicht übernehme oder nicht konkret einen vertraglichen Leistungserbringer benenne, der die geforderten Windeln anbiete.

Schriftlich sei von der TK bisher kein Bescheid zu den Widersprüchen der Versicherten gekommen. „Die TK will das aussitzen“, vermutet Süß. Denn ein Bescheid könne rechtlich angefochten werden. Wird der Widerspruch nicht bearbeitet, hängen die Patienten in der Luft. Zudem sind sie auf die Hilfsmittel angewiesen – und sie müssen die Kosten bis zur Entscheidung der TK selbst vorschießen. „Das können sich viele Inkontinenzpatienten nicht leisten, daher steigen sie doch in die Verträge der TK ein“, so Süß.

Aus seiner Sicht will die TK möglichst viele Versicherte in die zweijährigen Verträge zwingen, bevor ein Gesetz zur besseren Hilfsmittelqualität durchgebracht wird: „Die TK will den Sack zumachen.“ Süß hofft, dass die Krankenkassen den politischen Vorstoß nicht aushebeln.

Die geplante Neuregelung könne zudem nur erfolgreich sein, wenn die Kassen bei den Patienten verpflichtend abfragen müssten, ob sie ausreichend versorgt würden und wie viel sie aufzahlen müssten. „Die Ergebnisse müssten vom GKV-Spitzenverband veröffentlicht werden, so dass die Patienten die Unterschiede zwischen den Versicherungen vor Augen haben.“

Bei der Überarbeitung des Hilfsmittelverzeichnisses steht die Produktqualität im Vordergrund, doch künftig sollen in allen Produktgruppen auch Anforderungen an die Dienstleistungen, die mit einer Hilfsmittelabgabe einherzugehen haben, definiert werden, die in den Verträgen der Krankenkassen zu beachten sind. Diskutiert wird auch über neue gesetzliche Vorgaben für die Ausschreibungen: So sollten Qualität und Preis bei den Zuschlägen gleichwertig berücksichtigt werden.

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