Kommentar

Tempo-Limit für Rx-Boni

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Berlin -

Die Kritiker der Preisbindung für Arzneimittel sehen darin ein überkommenes Relikt zur Bereicherung der Apotheken, ihre Verteidiger den Garanten einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung. Man kann dazu stehen wie man will, aber die aktuelle Gesetzeslage ist für keine Seite wirklich befriedigend, kommentiert Alexander Müller.

In der Anwendung des Preisrechts in der Praxis wird regelmäßig über § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) gestritten – auch juristisch wenig interessierte Apotheker kennen den Zugaben-Paragrafen. Von Juristen wird er in seiner verschachtelten Komplexität kritisiert und auch die Gerichte tun sich schwer mit der Auslegung. So befasst sich der Bundesgerichtshof (BGH) beinahe schon hobbymäßig mit Rx-Boni.

Jüngst haben die Karlsruher Richter entschieden, dass Patienten unsachgemäß beeinflusst werden, wenn sie nach dem Einlösen ihres Rezeptes in der Bäckerei nebenan ein Ofenkrusti geschenkt bekommen. Das ist konsequent durchgeurteilt und der BGH hat die von ihm früher gezogene Spürbarkeitshürde selbst wieder eingerissen. Weil es der Gesetzgeber so wollte.

Die Botschaft: Rx-Boni sind verboten, keine Bagatellen, keine Kamellen. Das Problem: § 7 HWG kennt selbst vereinzelte Ausnahmen, die geradezu willkürlich wirken. Dass Auskünfte und Ratschläge zulässig sind, leuchtet jedem ein. Aber erlaubt sind eben auch der Fahrtkostenzuschuss zum öffentlichen Nahverkehr und die Kundenzeitschrift mit Rätselheft und TV-Programm. Der BGH hat jetzt zum Glück festgestellt, dass die kostenlose Abgabe von Tempo und Traubenzucker den Festpreis noch nicht aushöhlen, weil das als „Ausdruck von Kundenfreundlichkeit“ aufgefasst wird.

Und wieder stehen die Apotheker halb dankbar, halb verzweifelt da und können vermutlich auf das nächste BGH-Verfahren warten. Denn wenn Traubenzucker kundenfreundlich ist, was ist dann mit einer kleinen Flasche Fruchtsaft? Es ist fast unmöglich, hier eine exakte Grenze zu ziehen zwischen Bonbon, Handcreme und Eiskratzer.

Das zeigt die aktuelle Mitteilung einer Apothekerkammer, die ihre Mitglieder vor der Abgabe des so heiß begehrten Kalenders warnt – sofern der analog terminplanende Kunde zuvor sein Rezept eingelöst hat. Denn das wäre eine unzulässige Zugabe und würde das preisgebundene Arzneimittel günstiger erscheinen lassen. Ist irgendwie konsequent, aber irgendwie auch kaum in Einklang zu bringen mit den zulässigen Ausnahmen. Mit der Zeitschrift werden ganz legal alle zwei Wochen die Rentner in die Offizin gelockt – einen Kalender benötigt man nur einmal im Jahr. Ist die flächendeckende Versorgung im Kalenderverteilmonat Dezember besonders gefährdet?

Und diese ganzen Debatten um Taschentücher und Kalender finden vor einer Kulisse statt, in der EU-Versender bis zu 30 Euro Rabatt auf Rezept geben. Dafür kann man sich 100 Ofenkrusti kaufen. Dass das ungerecht ist, weiß auch der BGH, nur rechtsprechend eingreifen will er erst, wenn der Marktanteil der Hollandversender zu groß ist. Zur Rose hat gestern einen Halbjahresumsatz allein in Deutschland von 377 Millionen Franken ausgewiesen. Der Rx-Anteil wird auch auf Nachfrage nicht verraten – Geschäftsgeheimnis.

Ob sich die Bundesregierung dafür interessiert? Denn die will die Preisbindung erhalten. Nach der Logik: Der Verkehrsminister hebt ja auch nicht das Tempolimit in Städten auf, um zu sehen, ob das gefährlich ist. Dieses Bild übertragen auf die Frage der Inländerdiskriminierung: Aktuell dürfen nur Autos einer Marke in der Innenstadt rasen und erst wenn es zu viele Autos dieser Marke und in der Folge zu viele Verkehrstote gibt, macht Tempo 50 keinen Sinn mehr.

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