Großbritannien

Kampagne: Fragen Sie nicht Ihren Arzt, sondern Apotheker

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Berlin -

Der britische Gesundheitsdienst NHS versucht derzeit, die Bürger in England zum Gang in die Apotheke zu motivieren. Bei kleineren Beschwerden solle man nicht die Arztpraxis aufsuchen, sondern sich an seinen lokalen Apotheker wenden, so der Tenor der Kampagne „Stay Well Pharmacy“. Bis zu 850 Millionen Britische Pfund im Jahr könnte der Steuerzahler so laut NHS sparen.

„Halsentzündung? Husten? Erkältung? Magenprobleme? Wir können helfen!“ Derzeit lächeln in tausenden britischen Apotheken zwei augenscheinliche Pharmazeuten von grünen Postern. Sie raten den Betrachtenden dazu, bei kleineren gesundheitlichen Problemen nicht den Hausarzt zu konsultieren, sondern den lokalen Apotheker. „Wir sind Gesundheitsexperten, die Ihnen medizinischen Rat geben können, hier und jetzt.“ Damit spielt die Kampagne auf die chronische Überlastung in weiten Teilen des britischen Gesundheitssystems an. Und wenn die Symptome ernster seien, „dann stellen wir sicher, dass Sie die Hilfe kriegen, die Sie brauchen.“

Die vom NHS initiierte Kampagne richtet sich insbesondere an Eltern mit Kindern unter fünf Jahren und soll das Vertrauen in örtliche Apotheken als erste Adresse für medizinischen Rat stärken. „Als Vater kann ich sehr gut verstehen, dass einem die Apotheke nicht als erste Anlaufstelle in den Sinn kommt, wenn das eigene Kind krank ist“, zitiert das Apothekenportal „Pharmacy Business“ den Pharmazeuten Nick Thayer. „Aber Apotheker studieren fünf Jahre, um Experten in der Gesundheitsversorgung zu werden. 95 Prozent aller Einwohner Großbritanniens wohnen in fußläufiger Entfernung von einer Apotheke, wo Kinder sofort und ohne Termin untersucht werden können.“

Unterstützt wird die Kampagne vom Apothekerverband PSNC, der Royal Pharmaceutical Society (RPS) und der National Pharmacy Association (NPA). Der PSNC verhandelt die Vergütungsverträge, die der NHS mit rund 11.700 britischen Apotheken schließt, und setzt sich für die Belange der Branche ein. „Wir hätten gern, dass der NHS in der Gesundheitsversorgung mehr auf die Apotheken setzt“, erklärt eine Sprecherin. Kampagnen wie Stay Well Pharmacy sollen deshalb dazu beitragen, Bewusstsein für die Rolle der Pharmazeuten zu schaffen.

Dazu trägt auch der Großhandelsverband HDA seinen Teil bei. Er hat ein 12.000 Toolkits mit Postern, Flugblättern und Informationsbroschüren an alle Apotheken des Landes verschickt sowie weitere 7.500 an Hausarzt- und 7.600 an Zahnarztpraxen. Außerdem wird die Botschaft über die sozialen Netzwerke verbreitet: Allein über Facebook habe man 6,6 Millionen Menschen erreicht, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Zwischenbericht. Das Gesundheitsministerium hat deshalb noch weiteres Kampagnenmaterial zur Verfügung gestellt, das sich vor allem für die Nutzung in sozialen Medien eignen soll, darunter vorgefertigte Facebook-Posts und Werbebanner.

Bisher 1,1 Millionen Menschen haben der Zwischenauswertung zufolge auch die Werbevideos wahrgenommen, die der NHS zusätzlich hat produzieren lassen. Diese werden noch bis zum 31. März auch landesweit im Fernsehen ausgestrahlt. Unter anderem wird der Gedanke der Kampagne darin von einer Gruppe Kindern erklärt. Sie wollen Doktor spielen, doch eines der Kinder will lieber Apothekerin sein. Als es gefragt wird, warum man denn zum Apotheker statt zum Arzt gehen sollte, erklärt das Mädchen seinen Freunden, dass Apotheker Ärzten in nichts nachstehen. Wenn man leicht krank ist, solle man doch lieber in die Apotheke statt zum Hausarzt. Dann sei man schneller wieder zu Hause und kann sich um die Kuscheltiere kümmern.

Die Reduzierung der Wartezeiten ist ein weiteres Argument des NHS für die Apothekerkampagne. Das größtenteils steuerfinanzierte Gesundheitssystem, einst der Stolz der Nation, befindet sich seit Jahren in der Krise. Vergangenen Winter kochte die Debatte erneut hoch: Lange Wartezeiten, Versorgungslücken und verschobene Operation nährten Sorgen über einen möglichen Kollaps des Systems.

Noch im Januar erregte es international Aufsehen, dass der NHS zehntausende Operationen verschieben musste, selbst Krebspatienten waren damals betroffen. Premierministerin Theresa May war gezwungen, sich öffentlich zu entschuldigen: „Ich weiß, es ist schwierig. Ich weiß, es ist frustrierend.“ Ärzte von dutzenden Kliniken kritisierten in einem Brief „nicht mehr akzeptable Zustände“ in Notfaufnahmen.

Laut einer Studie des britischen Think Tanks „The King‘s Fund“ ist die Schließung vieler Hausarztpraxen in den letzten Jahren maßgeblich mitverantwortlich für die Krise des Gesundheitssystems. Die verbliebenen Praxen sind nun zusehends überlastet und wer dort keinen Termin mehr erhält, muss notfalls auf Krankenhäuser ausweichen. Dort wiederum wurde die Lage vergangenes Jahr immer kritischer.

Der Ärztegewerkschaft British Medical Association (BMA) zufolge mussten 2017 mehr Patienten auf Krankenhausbetten liegend auf eine Behandlung warten als 2012, 2013 und 2014 zusammen – die Wartezeiten seien die längsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Bereits 2016 war eine vom NHS in Auftrag gegebene Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Förderung der Apotheker im Land überlastete Arztpraxen entlasten könnte.

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