Jetzt wackelt der Festpreis!

Holland-Versender dürfen billiger einkaufen

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Berlin -

Seit dem Boni-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dürfen ausländische Versandapotheken Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gewähren. Die in diesem Verfahren beteiligten deutsche Gerichte gehen in einem aktuellen Streit um Botox-Mittel noch einen Schritt weiter: Demnach müssen sich auch Hersteller nicht mehr an den einheitlichen Abgabepreis halten, wenn sie an Holland-Versender verkaufen. Begründung: Wie sollen diese sonst Rabatte gewähren?

Auslöser des Grundsatzstreits sind ausgerechnet Schönheitsbehandlungen, beziehungsweise der Einsatz von Botulinumtoxin-Präparaten. Auf dem Selbstzahler-Markt stehen sich maßgeblich Galderma mit dem Azzalure und Merz mit Bocouture gegenüber. Zwei Durchstechflaschen bei Galderma kosten 175,33 Euro, bei Merz 285 Euro. Im Juni 2018 fiel dem Key Accounter von Galderma jedoch auf, dass die Europa Apotheek das Merz-Präparat für 180 Euro direkt an Ärzten verkaufte. Für Galderma war damit klar, dass die niederländische Versandapotheke ihrerseits Einkaufsrabatte bei Merz erhielt.

Die Abmahnung blieb erfolglos, man traf sich vor dem Landgericht Düsseldorf. Das erklärte sich zwar wortreich für örtlich nicht zuständig, da die vermeintlichen Verstöße nicht in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen wurden, sondern in anderen Bundesländern. Doch die Düsseldorfer Richter hatten auch in der Sache etwas beizusteuern und wiesen Galderma am 6. Dezember mit Verweis auf das EuGH-Urteil zu den DocMorris-Boni zurück. Bei der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) wurde dieses Urteil jetzt bestätigt.

Die Begründung liegt noch nicht vor. Doch gegenüber APOTHEKE ADHOC teilte ein Sprecher des Gerichts mit, die beanstandete Werbung sei nicht unlauter, weil das beworbene Geschäftsmodell legal sei. Nach der EuGH-Entscheidung „Deutsche Parkinson Vereinigung“ sei die niederländische Apotheke nicht hinsichtlich des Abgabepreises gebunden. An diese Bindung knüpfe aber der Grundsatz des einheitlichen Herstellerabgabepreises an. Daher sei § 78 Abs. 3 AMG dahin auszulegen, dass er die Lieferung an ausländische Apotheken nicht erfasse. Mit anderen Worten: Hersteller dürfen ihren eigenen Listenpreis umgehen, indem sie billiger an die ausländische Versandapotheke verkaufen und diese die Ware in Deutschland mit Rabatt verkauft.

Der zuständige Richter am OLG Düsseldorf ist derselbe, der den DocMorris-Fall seinerzeit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Insofern erscheint es naheliegend, dass er den Spruch aus Luxemburg auch jetzt nutzt, um der Preisbindung einen weiteren Tiefschlag zu verpassen. Die Argumentation kam in diesem Fall aber von Merz selbst: Schon im Eilverfahren hat der auch für Tetesept bekannte Hersteller sich auf das Boni-Urteil gestützt. Die Entscheidung biete „nunmehr keine Rechtfertigung mehr für die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit der pharmazeutische Unternehmen durch einheitliche Herstellerabgabepreise, soweit diese ausländische Versandhandelsapotheken belieferten“, wird der Hersteller in der Begründung zitiert.

Das EuGH-Urteil sei daher, so argumentiert Merz weiter, konsequenterweise auf diesen Fall übertragen werden: EU-Versender könnten nur über den Preiswettbewerb mit Vor-Ort-Apotheken konkurrieren. Das setze gerade voraus, dass sie ihrerseits die Arzneimittel von den Herstellern günstiger erhielten, da sie nicht dauerhaft ihre Einkaufspreise unterschreiten könnten. DocMorris hatte vor dem EuGH dagegen noch vorgetragen, die Boni aus der eigenen Marge zu bezahlen, die man ja nicht vereinnahmen müsse.

Doch das Argument von Merz verfing vor Gericht, wie das Statement des OLG-Sprechers zeigt. Und auch das LG führt in seiner Urteilsbegrünung aus: „Die Bindung an den deutschen Herstellerabgabepreis, wie er in der Lauerliste festgelegt ist, begründet einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit.“ Die Preisbindung finde „bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts keine Anwendung“.

Die einfache Logik: Wenn das Boni-Verbot eine Einfuhrbeschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung gemäß Artikel 34 der europäischen Verträge sei, müsse das entsprechend für die Ausfuhrbeschränkungen nach Artikel 35 gelten. Denn beide dienen dem freien Warenverkehr im Binnenmarkt. Und dass die Preisbindung nicht mit dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung – Stichwort: flächendeckende Arzneimittelversorgung – zu rechtfertigen sei, habe der EuGH im DocMorris-Verfahren überzeugend ausgeführt.

Der einheitliche Abgabepreise ist demnach mehr als eine Verkaufsmodalität, sondern eine Regelung, die ausländische Versender behindern könne. „Folglich sind die im EU-Ausland ansässigen Versandapotheken, um auf dem deutschen inländischen Markt für verschreibungspflichtige Medikamente konkurrieren zu können, auf den Preiswettbewerb angewiesen, weil sie nur so Zugang zum deutschen Markt finden und dort konkurrenzfähig sein können.“ Und dieser Wettbewerb sei nur möglich, wenn der einheitliche Herstellerabgabepreis im Einkauf nicht gelte.

Wenn die Urteilsgründe vorliegen, will man bei Galderma darüber entscheiden, ob weitere Rechtsmittel eingelegt werden sollen. Vor Gericht hatte der Hersteller die Auffassung vertreten, dass das Boni-Urteil eben nicht übertragen werden könne, da es rechtlich belanglos sei, an wen Konkurrent Merz sein Botox-Präparat verkaufe. In Wahrheit handele es sich um eine „Umgehung“ des einheitlichen Abgabepreises.

Und bei der Nestlé-Tochter sieht man durchaus die weitreichenden Konsequenzen, die dieser Fall haben könnte: „Die Entscheidung, wird sie denn rechtskräftig, bedeutet unserer Meinung nach einen erheblichen Nachteil unserer inländischen Apotheken, da diese – im Gegensatz zu den ausländischen Versandhändlern – noch immer an die Preisbindung gebunden sind. Zudem hat dieses Urteil Auswirkungen auf sämtliche verschreibungspflichtige Arzneimittel: So könnten inländische Pharmaunternehmen bestimmte Ware für den deutschen Markt mit Rabatten an ausländische Versandhandelsapotheken verkaufen, die bestehende Preisbindungen inländischer Pharmaunternehmen kurzerhand umgehen.“ Und das hätte letztlich „einen Preiskampf bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zur Folge“, so eine Galderma-Sprecherin.

Die ausführliche Stellungnahme von Galderma finden Sie hier. Merz hat auf eine Anfrage zu dem Verfahren bislang nicht reagiert.

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