Wiens vermutlich schönste Apotheke liegt am Stadtrand

7,5 Millionen Umsatz, 75 Prozent Stammkunden

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Berlin -

Apotheker sind meistens gesellige Menschen. Als der Wiener Apotheker Wilhelm Schlagintweit im Bus zufällig den Schriftsteller Wolf Wondratschek erblickte, lud er ihn kurzerhand zur Lesung in seine Apotheke ein. Er betreibt nämlich nicht irgendeine Apotheke, sondern einen Ort der Kultur.

Der deutsche Schriftsteller lebt seit 20 Jahren in Wien – und er sagte zu. Schlagintweit hat am Stadtrand von Wien eine Apotheke, zu der die Kollegen pilgern. Weil sie ebenso schön wie erfolgreich ist. Vor 16 Jahren übernahm der Pharmazeut die alteingesessene Apotheke „Zum Löwen von Aspern“, stellte aber bald fest, dass er einen neuen Standort brauchte. In unmittelbarer Nähe des alten kaufte er deshalb gemeinsam mit Phoenix ein Grundstück, beauftragte die renommierten Wiener Artec-Architekten und ließ sich seine Traumapotheke bauen. Entstanden ist ein eleganter Flachbau mit viel Glas, ein Ort des Ein- und Durchblicks.

Der Apotheke schließt sich ein grünes Paradies an. „Ich wollte bewusst einen Kontrapunkt setzen zu den Apotheken, die man so kennt. Als wir 2003 eröffnet haben, war das eine Sensation.“ Die Menschen waren zuerst ein bisschen skeptisch – so viel Beton, so viel Glas – aber bald siegte die Begeisterung. Mittlerweile hat Schlagintweit 75 Prozent Stammkunden. „Die Offizin ist 480 Quadratmeter groß. Wir haben vom ersten Tag an so viel zu tun gehabt, dass wir gar keinen Platz mehr für die bestellte Ware hatten. Wir mussten laufend neue Mitarbeiter einstellen.“

Der Apotheker hatte festgestellt, dass es in dem Stadtteil am Rande Wiens wenig Kultur gab. Das hat er konsequent geändert. „Wir machen Kleinkunstprojekte, meine Frau hat ein Kinderprogramm entwickelt.“ Es gibt Lesungen und als schlauer Apotheker macht Schlagintweit natürlich auch Werbung für morgen. „Wir erklären den Kindern in kleinen Workshops, was eine Apotheke ist und wie sie funktioniert. Sie können eine Salbe rühren oder einen Tee mischen und sehen die Arbeitsprozesse. In unserer Kräuterwerkstatt können die Kinder auch eine Kräutersuppe kochen oder einen Aufstrich herstellen.“ Wer begeistert ist, erinnert sich eines fernen Tages dann bei der Berufswahl an die tolle Apotheke. Für Erwachsene gibt es neben den Lesungen jedes Jahr im Sommer einen „Botanischen Malkurs“, bei dem unter fachlicher Anleitung Aquarelle entstehen.

Der 65-Jährige hat seinen Beruf rein nach strategischen Gesichtspunkten ausgewählt. „Ich komme aus der Steiermark aus einfachen Verhältnissen, mein Vater war Elektriker, meine Mutter Hausfrau. Ich wollte ein schnelles Studium, das eine gute Verknüpfung mit Theorie und Praxis bietet.“ Gesagt getan, auf Pharmazie traf das zu. Seine Apotheke macht heute rund 7,5 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Das Geld ist die beruhigende Seite der Löwen-Apotheke, die Freiheiten schafft. Der Apotheker sagt: „Geld anzuhäufen ist eigentlich nicht mein Ding. Aber es macht Spaß, zufriedene Kunden und Mitarbeiter zu haben.“

Zehn Mitarbeiter hat er beim Kauf der Apotheke übernommen. „Derzeit sind wir 24, die meisten arbeiten seit 2003 hier“, sagt er. Das freut ihn, spricht es doch dafür, dass die Apotheke ein guter Ort zum Arbeiten ist. „Bei uns ist zum Beispiel die Fortbildung für meine Mitarbeiter immer bezahlt und in der Arbeitszeit inbegriffen.“ Um seine Nachfolge muss er sich keine Sorgen machen – eine Mitarbeiterin steht bereits in den Startlöchern.

Schlagintweit möchte künftig nämlich weniger Zeit in der Offizin verbringen. „Ich höre demnächst im operativen Bereich auf und werde die ‚Apotheke 4.0‘ entwickeln.“ Dass sich Apotheken grundlegend ändern müssen, um für die Zukunft gewappnet zu sein, ist für ihn unausweichlich. „Die Apotheke wird sich künftig nicht über Arzneimittel oder den Freiverkauf finanzieren. Die Zukunft gehört der Dienstleistung.“

Und ohne Digitalisierung wird niemand überleben können. Auch wenn sich viele Kollegen noch sträuben, was Schlagintweit nicht nachvollziehen kann. Wobei es andererseits auch egal ist, ob man die Digitalisierung gut findet oder nicht: „Es ist nicht aufzuhalten. Ein Apotheker kann sagen, dass er das nicht will – verhindern kann er es nicht.“ Er sagt: „In Österreichs Apothekenszene ist vieles verstaubt. Es gibt konservative und fortschrittliche Apotheker.“ Die fortschrittlichen möchte er auf seine Seite ziehen, neue Wege bestreiten: „Ich will eine Plattform für innovative Apotheker gründen.“

Und er will zum Beispiel die Telemedizin in Österreich forcieren. „Ich arbeite mit einem Arzt zusammen, der eine App entwickelt hat, mit deren Hilfe Patienten mit einmaligem Blutdruckmessen täglich ihre Werte perfekt überwachen können.“ Zeigen die Messungen Unregelmäßigkeiten, informiert die App den Arzt und Apotheker. „Durch das tägliche Monitoring und die Bluetooth-Übermittlung der Werte sehen wir den Verlauf“, sagt Schlagintweit.

Für den Patienten würde das rund 20 Euro im Monat kosten, noch ist unklar, wer die Kosten – Patient oder Krankenkasse – übernehmen könnte. Der Apotheker ist überzeugt: „Das ist gut investiertes Geld.“ Wie immer möchte erstmal niemand bezahlen. Schlagintweit wird fleißig die Werbetrommel rühren. In seiner Apotheke beschäftigt er vier Mitarbeiterinnen, die sich nur um Marketing kümmern. „Damit sind wir einmalig, das macht sonst niemand in Österreich.“

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