Großbritannien

„No-Deal-Brexit“: Angst vor Engpässen bei Medikamenten

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Berlin -

Bei einem ungeregelten Brexit rechnet die britische Regierung einem Bericht zufolge mit einem Mangel Medikamenten, Lebensmitteln und Benzin. Darüber hinaus werde von einem mehrmonatigen Zusammenbruch in den Häfen, einer harten Grenze zur Republik Irland und steigenden Sozialkosten ausgegangen, berichtete die „Sunday Times“ unter Berufung auf bislang geheimgehaltene Regierungsdokumente.
 

Zollkontrollen und Megastaus von Lastwagen in Südengland hätten demnach zur Folge, dass weniger frische Lebensmittel vom europäischen Festland nach Großbritannien eingeführt werden könnten. Britische Patienten müssten länger auf Arzneimittel wie Insulin und Impfstoffe gegen Grippe warten. Ein ungeregelter Ausstieg würde auch zu Verzögerungen für Passagiere an EU-Flughäfen, im Eurotunnel und in der Hafenstadt Dover am Ärmelkanal führen. An der Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland wird mit starken Protesten gerechnet, wie die Zeitung weiter berichtete.

Es handele sich um eine „realistische Einschätzung“ dessen, was die Öffentlichkeit im Falle eines No Deal erleben werde, zitierte die Zeitung eine nicht näher genannte Regierungsquelle. Diese Szenarien seien sehr wahrscheinlich und „nicht der schlimmste Fall“.

Das Dossier wurde nach Angaben der „Sunday Times“ vom Cabinet Office zusammengestellt. Das Büro unterstützt Premierminister Boris Johnson und die Minister in ihrer Arbeit. Es wird immer wahrscheinlicher, dass Großbritannien an Halloween (31. Oktober) ohne Abkommen aus der Europäischen Union ausscheidet. Das Parlament ist im Brexit-Kurs nach wie vor heillos zerstritten und eine Lösung nicht in Sicht.



Mehr als 100 Abgeordnete riefen am Wochenende in einem Brief Johnson eindringlich dazu auf, das Parlament umgehend aus der Sommerpause zu holen. Das Unterhaus tagt erst wieder im September.

Der Premierminister fordert Nachverhandlungen des Brexit-Abkommens, das seine Vorgängerin Theresa May noch mit Brüssel ausgehandelt hat. Notfalls will er sein Land ohne Deal aus der Staatengemeinschaft führen. Änderungen lehnt die EU aber ab. May war dreimal mit dem Abkommen im Parlament in London durchgefallen und gab ihr Amt auf.

Johnson wird in den kommenden Tagen ins Ausland reisen und trifft am Mittwoch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Die Bundesregierung bedauere die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Aber wir müssen auch die Realitäten zur Kenntnis nehmen.“ Am Donnerstag ist nach Angaben der Downing Street ein Treffen Johnsons mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron geplant. Es wird davon ausgegangen, dass der Premier nicht von seiner Haltung abrückt.

Auch beim G7-Gipfel vom 24. bis 26. August im französischen Seebad Biarritz werden die Staats- und Regierungschefs Gelegenheit haben, über die Scheidung Großbritanniens von der EU zu reden.

Eine Mehrheit der Abgeordneten im Unterhaus will den No-Deal-Brexit verhindern, doch es herrscht keine Einigkeit darüber, wie das gelingen soll. Labour-Chef Jeremy Corbyn hatte sich selbst als Interims-Premier vorgeschlagen und wollte eine Revolte gegen Johnson anzetteln. Sein Vorschlag stieß jedoch auf viel Kritik. Am Wochenende warnte er, Großbritannien steuere auf eine „Katastrophe“ zu.

Fast jeder zweite Brite würde sich einer Umfrage zufolge lieber für einen ungeregelten Brexit entscheiden, als dass Corbyn Übergangspremier wird. Nur ein Drittel der Befragten (35 Prozent) sprach sich für Corbyn aus. 48 Prozent würden der YouGov-Umfrage zufolge einen EU-Austritt ohne Abkommen bevorzugen. 17 Prozent der insgesamt 1968 Befragten waren unschlüssig.

Um einen No-Deal-Brexit noch zu verhindern, wäre es auch denkbar, dass die Abgeordneten der Regierung die Kontrolle über den Parlamentskalender entreißen und eine Verlängerung der Brexit-Frist per Gesetz erzwingen. Aber auch bei dieser Option wäre es nötig, dass sich die zerstrittene Opposition mit Rebellen aus der Regierungsfraktion auf ein gemeinsames Vorgehen einigt.

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