Integration

Vom Migranten zum Großapotheker

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Berlin -

Vom Vollwaisen aramäischer Abstammung zum Chef der größten Apotheke von Mainz: Aryo Kourie hat einen spannenden Karriereweg absolviert und noch viele Pläne. Außerhalb der Offizin engagiert er sich stark für Integration und Bildung.

Mit 18 kam Kourie aus der Türkei nach Deutschland. Das Rhein-Main-Gebiet wurde zu seiner neuen Heimat. „Ich wollte unbedingt die Schule abschließen und dann studieren. Eine Beraterin hat mich an die Hand genommen und mir die Möglichkeiten aufgezeigt, die es gab.“ Von ihr ermuntert nahm Kourie das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg in Angriff. „Abends ging ich in die Schule, in den Stunden davor arbeitete ich in verschiedenen Jobs.“ Erst als er in ein Tageskolleg wechselte, nahm er ein Stipendium in Anspruch.

Endlich an der Universität Mainz eingeschrieben, schlug Kourie zunächst einen kleinen Umweg ein und belegte Mathematik und Physik auf Lehramt. Doch bald fand er seine wahre Bestimmung in der Pharmazie. „Schon im ersten Semester habe ich meinen Kommilitonen gesagt, dass ich mal eine eigene Apotheke haben will.“ Nach der Approbation 2014 arbeitete er unter anderem als Filialleiter in Rüsselsheim. Im Oktober erfuhr er durch Zufall, dass die Europa-Apotheke in Mainz leer stand.

Mit 428 Quadratmetern gilt sie als die größte der Stadt. „Die Apotheke war neu, doch es hieß, dass sie umgebaut werde“, so Kourie. Die Wahrheit sei eine gänzlich andere gewesen. Nachdem die Apotheke Mitte Juni schloss, nahm Kourie Kontakt mit der Besitzerin auf. „Wir wurden uns bald handelseinig.“ In den folgenden Wochen machte er sich an eine Neugestaltung, unter anderem wich das verspielte Lavendel der Wände einem nüchternen Weiß.

Sorgen bereitete dem frisch gebackenen Selbstständigen eine Baustelle direkt vor der Tür, die schon seiner Vorgängerin zu schaffen gemacht machte: „Die Arbeiten sollten nur vier Wochen dauern und zogen sich dann über acht Monate hin.“ Doch das Timing klappte haarscharf: Zwei Tage vor Eröffnung erhielt Kourie die erlösende Nachricht, dass die Arbeiten abgeschlossen waren.

Mit an Bord in der Europa-Apotheke ist auch seine Frau Rama, wie er aramäischer Abstammung. „Wir lernten im Studium kennen und sind mittlerweile seit zehn Jahre zusammen.“ Die Apothekerin betreut den großen Kosmetikbereich. Auch eine Blutanalyse und eine Vitamin-D-Messung bietet das Ehepaar an. „Die Beratung ist für mich das A und O, dafür nehme ich mir viel Zeit“, sagt der Apotheker.

Einen besonderen Schwerpunkt legt er auf das Arzneimittelmanagement. Mit seinen Kunden untersucht er die eingenommenen Medikamente nach möglichen Wechselwirkungen. „Wenn da etwas unstimmig ist, empfehle ich den Kunden zum Arzt zu gehen.“ Für ein gutes Arzneimittelmanagement ist Kourie kein Weg zu weit. Dazu übernimmt er den kostenlos angebotenen Botendienst selbst und fährt dazu nach Feierabend bis zu einem Umkreis von zehn Kilometern ins Rhein-Main-Gebiet hinein.

Stillstand kommt für Kourie nicht infrage, ständig bildet er sich weiter: „Ich bin bereits Fachapotheker für Geriatrie, Wundversorgung und demnächst auch für Allgemeinpharmazie“, berichtet er. „Ich habe freiwillig alle Weiterbildungen absolviert und ein Praktikum im Katholischen Klinikum Mainz absolviert.“ Dabei sammelte Kourie fleißig Punkte für das Fortbildungszertifikat der Apothekerkammer. 150 Punkte aus anerkannten Veranstaltungen müssen in drei Jahren dafür zusammen kommen, der Mainzer kam auf 600. Sein Studium der Gesundheitsökonomie in Wiesbaden gab er mit Übernahme der Europa-Apotheke auf. „Diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen.“

Seinem Wahl-Heimatland, das ihm so viele Bildungschancen eröffnet hat, will der Pharmazeut etwas zurückgeben. „Deshalb halte ich für die Apothekerkammer Rheinland-Pfalz ehrenamtlich Vorträge an Schulen zu Themen wie Drogen- oder Magersucht, zum einen für die Kinder und Jugendlichen, zum anderen für Lehrer und Eltern.“ Doch auch außerhalb der Apothekenwelt bleibt der nach eigenen Worten überzeugte Europäer und politisch denkende Mensch aktiv. So engagiert er sich in der aramäischen Gemeinde und in der Flüchtlingsarbeit des Deutschen Roten Kreuzes. „In meiner Zeit als Angestellter habe ich mir dafür den Mittwoch frei gehalten.“ Er begleitet die Neuankömmlinge etwa zu Arztbesuchen. Dabei kam ihm sein Sprachtalent zugute. „Neben aramäisch und natürlich deutsch beherrsche ich auch syrisch, arabisch und ganz gut französisch.“

Die Eingliederung von studierten Fachkräften ist ihm ein besonderes Herzensanliegen. „In den letzten Jahren sind viele Ärzte oder Pharmazeuten aus Ländern wie Syrien oder Ägypten ins Land gekommen, die in Deutschland dringend gebraucht werden.“ Er wolle so gut wie möglich bei der Integration der Kollegen helfen. „Es macht sich stolz, dass ich dabei dem einen oder anderen zum Erfolg verholfen habe. Vor wenigen Tagen erst hat eine Afghanin ihre Pharmazieprüfung bestanden.“

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