Wirkstoffkontamination

Valsartan: Rückrufe angekündigt – Patienten verunsichert

, Uhr aktualisiert am 05.07.2018 10:24 Uhr
Berlin -

Droht die nächste Rückrufwelle? Valsartan-haltige Arzneimittel könnten demnächst EU-weit vom Markt genommen werden müssen. Ursache ist eine Verunreinigung mit einer potenziell krebserregenden Substanz. In den Medien tauchen die ersten verunsicherten Patienten auf, Antworten gibt es noch nicht.

Betroffen sind Produkte, bei denen der Wirkstoff vom chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical produziert wurde. Der blutdrucksenkende Wirkstoff sei mit N-Nitrosodimethylamin verunreinigt. Die Substanz steht laut der Internationalen Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Verdacht krebserregend zu sein.

Noch sei nicht bekannt, ob und in welcher Konzentration die Verunreinigung in den Fertigarzneimitteln enthalten ist. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat daher gestern Abend vorsorglich angekündigt, dass es demnächst einen europaweiten Rückruf aller betroffenen Chargen geben könnte, bis der Sachverhalt aufgeklärt ist. Das Gefährdungspotenzial wurde und wird weiterhin auf europäischer Ebene bewertet.

Patienten werden gebeten, valsartan-haltige Arzneimittel nicht eigenmächtig abzusetzen, ohne mit dem Arzt zuvor Rücksprache zu halten. Laut BfArM ist das gesundheitliche Risiko bei Absetzen der Arzneimittel höher als das potenzielle Risiko der Verunreinigung. „Ein akutes Patientenrisiko besteht nicht“, so das BfArM.

In anderen Ländern wie Ungarn, Dänemark und Finnland gab es gestern bereits erste Rückrufe, betroffen waren Mono- und Kombipräparate unter anderem von Ratiopharm/Teva, Sandoz, Stada, Zentiva und Actavis. Beim Jour fixe zum Thema Lieferengpässe in Bonn wurde auch über die Probleme gesprochen. Alle Teilnehmer – auch die Vertreter aus den Ländern, deren Behörden für das Thema zuständig sind – waren sich einig, noch am Abend über das BfArM eine Meldung herauszugeben – wohlwissend, dass die verfügbaren Informationen noch beschränkt sind.

Die ersten Medien haben das Thema bereits aufgegriffen, in den Apotheken stehen bereits verunsicherte Patienten, die nicht wissen, wie sie sich weiter verhalten sollen. Antworten gibt es nicht, auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) wartet derzeit auf weitere Vorgaben. Bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) war am Morgen noch niemand für Nachfragen zu erreichen, erwartet wird eine offizielle Verlautbarung innerhalb der nächsten Stunden. Anders als bei früheren Rückrufwellen geht es aber nicht um den Entzug der Zulassung, sodass formal die für die jeweils ansässigen Hersteller zuständigen Aufsichtsbehörden in den Ländern zuständig sind. Die Generikahersteller evaluieren die Angelegenheit gerade und hoffen, am Abend mehr Klarheit zu haben.

Valsartan ist seit 1996 auf dem Markt und seit 2011 patentfrei. Mit 4,3 Millionen Verordnungen gehört der Blutdrucksenker laut Arzneiverordnungsreport zu den am häufigsten eingesetzten Arzneimitteln. 2016 gaben die Kassen 95 Millionen Euro für entsprechende Produkte aus. Auf die Kombination mit Hydrochlorothiazid entfallen weitere 2,5 Millionen Verordnungen und 85 Millionen Euro.

Als Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonist wird Valsartan zur Behandlung von Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und zur Vorbeugung nach einem Herzinfarkt eingesetzt. Eine mögliche Rückrufwelle könnte die Versorgungslage weiter verschlechtern. Den Apotheken fehlt es aktuell an Valsartan 160 mg von Abz und Heumann; seit Anfang Juni stehen die Arzneimittel auf den Defektlisten. Der Arzneistoff besitzt eine selektive Wirkung auf den AT1-Rezeptor-Subtyp, der für die bekannten Effekte von Angiotensin II verantwortlich ist. Die Affinität für den AT1-Rezeptor ist zirka 20.000 mal höher als für den AT2-Rezeptor.

Dimethylnitrosamin zählt zu den Nitrosaminen und kann möglicherweise Krebs erzeugen. Im Tierversuch an Nagetieren wurde eine kanzerogene Wirkung auf Leber, Niere, Lunge und Blutgefäße bereits bei einer Gesamtdosis von 1 mg/kg Körpergewicht festgestellt. Bei oraler Gabe entwickelten sich vorwiegend Lebertumore. Zwar gibt es keine Daten zur Wirkung am Menschen, jedoch könne aufgrund der Gewebeähnlichkeit auf eine kanzerogene Wirkung geschlossen werden.

Zhejiang Huahai Pharmaceutical wurde 1989 gegründet und dominiert nach eigenen Angaben die weltweite Produktion von Captopril und Enalapril. Außerdem könne Zhejiang Huahai Pharmaceutical als einziger Hersteller der Welt die Produktion von Captopril, Enalapril und Lisinopril zur gleichen Zeit realisieren.

In den vergangenen Jahren hatte es mehrfach Rückrufwellen in den Apotheken gegeben. 2010 ging es bei Clopidogrel holprig zu, denn zunächst wusste niemand, bei welchen Chargen der indische Lohnhersteller Glochem involviert war. So wurde je nach Zulassung in mehreren Runden zurückgerufen.

2014 hatte das BfArM kurz vor Weihnachten das Ruhen von 80 Zulassungen angeordnet, Grund waren mutmaßlich gefälschte Bioäquivalenzstudien des indischen Dienstleisters GVK Biosciences. Quasi über Nacht durften die Präparate nicht mehr abgegeben werden. Betroffen waren auch Wirkstoffe, die auf der Aut-idem-Liste standen. Die Liste änderte sich mehr als eine Woche lang werktäglich – an manchen Tagen sogar zweimal. Denn die Hersteller konnten Unterlagen nachreichen oder Widerspruch gegen die Ruhensanordnung einlegen. Die Bonner Behörde musste sich wegen ihrer Informationspolitik viel Kritik von Apothekern anhören. Später gab es mit Alkem und Semler ähnliche Fälle.

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