Ihr Körper sendete Warnsignale

22 Jahre Dauerstress – Apothekerin gibt auf

, Uhr
Berlin -

Vor 22 Jahren hat Janna-Luise Dickmann ihre Jade-Apotheke in Friedeburg eröffnet. Personelle Engpässe ließen sie rund um die Uhr arbeiten – was zu körperlichen Warnsignalen führte. Nun schließt die Apothekerin Ende Februar die Offizin im ostfriesischen Erholungsort. Ihren Beruf wird sie aber weiterhin ausüben: als Vertretungsapothekerin.

Die gebürtige Hamburgerin war in Berlin ins Berufsleben gestartet. Allerdings sei die Hauptstadt schon damals mit Apotheken „gesättigt“ gewesen, wie sie sagt. Daher sei es eine bewusste berufliche Entscheidung gewesen, der Metropole den Rücken zu kehren und in eine strukturschwache Gegend zu ziehen: nämlich nach Friedeburg. Das „grüne Tor zur Nordsee“ wird die kleine Gemeinde auch genannt, die jeweils eine halbe Autostunde zwischen Aurich und Wilhelmshaven liegt.

„Den Fachkräftemangel auf dem Land habe ich damals nicht einkalkuliert“, gibt Dickmann rückblickend zu. In den 22 Jahren ihrer Selbstständigkeit hätten sich diese Schwierigkeiten dann noch verschärft. Bereits seit vielen Jahren habe sie als Inhaberin am Limit gearbeitet: Da es auf dem Land keine Approbierten mehr gebe, habe sie die gesamten Öffnungszeiten selbst abdecken müssen.

Dazu kamen ausnahmslos alle Nacht- und Notdienste – regelmäßig musste sie 35 Stunden am Stück arbeiten. „Das, was man keinem Angestellten zumuten kann, stand für mich als Selbstständige niemals in Frage.“

Alleine in der Offizin

Den Entschluss zu schließen, fasste sie letztendlich, weil ihr Körper Warnsignale sendete: Stressbedingte Magenschmerzen plagen sie seit geraumer Zeit. Im Sommer wurden die Anzeichen noch deutlicher: Dickmann stand aufgrund krankheits- und urlaubsbedingter Ausfälle komplett alleine am HV-Tisch – mit mehr als 100 Kund:innen allein am Vormittag. Eine plötzliche Blockade im Fuß zwang sie, an Krücken zu gehen. „Ich konnte nicht mehr laufen“, berichtet sie.

Ihre PKA half, so gut es ging: Sie eilte und brachte die Medikamente in Dickmanns Auftrag an den HV-Tisch, die so die Kund:innen versorgen konnte. Dennoch sei das ein unhaltbarer Zustand gewesen. „So geht es nicht, irgendwann kommen schlimmere Signale,“ fürchtete die Inhaberin.

Urlaub? Kaum möglich!

Mal eine Auszeit nehmen, Urlaub – all das sei kaum möglich gewesen. Denn eine Vertretung hätte sie schon buchen müssen, bevor überhaupt der Notdienstplan geschrieben war. Nicht selten sei es vorgekommen, dass der Notdienst ausgerechnet in die Urlaubszeit gefallen sei und den die Vertretung nicht zu übernehmen bereit war. Folglich habe es für sie nur sehr kurze Auszeiten gegeben.

Krankenstand trifft Personalnot

Gleich mehrere Mitarbeiter:innen hätten sich in der letzten Zeit in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Drei weitere sind aus dem Betrieb ausgeschieden, weil sie den Bereich oder gar den kompletten Beruf gewechselt haben. Die Pandemie habe eine große Unzufriedenheit beim pharmazeutischen Personal mit sich gebracht, weshalb sich immer mehr Angestellte einen Job außerhalb der öffentlichen Apotheken suchten, so Dickmann. So habe sich auch ihre Belegschaft drastisch ausgedünnt.

Ein bezahlter Suchauftrag, in der Hoffnung, Personal zu finden, sei ohne jede Resonanz verlaufen. Über soziale Medien sei es ihr schließlich gelungen, eine Mitarbeiterin zu gewinnen. Die sei zwar nicht pharmazeutisch ausgebildet gewesen, habe ihr aber sehr viel Verwaltungstätigkeiten abgenommen.

Den hohen Krankenstand während der Pandemie konnte sie überhaupt nicht mehr abpuffern. Dickmann berichtet über reges Infektionsgeschehen in den eigenen Reihen: „Ich habe Mitarbeiterinnen mit Kindern. Die Situation an den Schulen war nicht mehr kalkulierbar.“

Am Anfang noch Idealismus

In die Selbstständigkeit sei sie mit viel Idealismus gegangen: Ihr Ziel sei es gewesen, einen eigenen Stil zu entwickeln und sich vom Standard abzuheben. Und das habe auch gut funktioniert, wie ihre Kund:innen ihr stets zurückgemeldet hätten. Es sei ihr nie darum gegangen, „dass einfach nur der Rubel rollt“. Eine gute Zusammenarbeit habe es auch mit dem mikroökologischen Institut Herborn gegeben. Der Mikrobiomspezialist erstellt Antibiogramme und habe nach deren Auswertung entsprechende Rezepturen durch die Jade-Apotheke anfertigen lassen: beispielsweise Sitzbäder, Zäpfchen und Tropfen. Antibiotisch austherapierten Kund:innen hätten dadurch neue Heilungschancen eingeräumt werden können, berichtet sie stolz.

Fassungslosigkeit im Notdienst

Auch von den Ärzt:innen sei sie enttäuscht. Während sie im Notdienst wegen der Engpässe verzweifelt nach Lösungen für die Patient:innen gesucht habe, hätten diese in der – telefonisch oft nicht erreichbaren – Notfallpraxis zuletzt mitunter den Hinweis bekommen, in eine andere Apotheke zu fahren. „Ich bin erschüttert, wie miteinander umgegangen wird. Das sind unerträgliche Situationen.“

Im Einsatz für Kolleg:innen

22 Jahre lang hat Dickmann viel Herzblut und Arbeit in ihren Betrieb gesteckt. Jetzt zieht sie die Reißleine. Und auch wenn es nicht immer einfach gewesen sei, gehe sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Immerhin: Sorge um ihre Angestellten habe sie nicht. „Sie sind glücklicherweise alle versorgt.“ Sie sei froh, dass ihr Team sie bis zur letzten Minute unterstütze.

Sie selbst bleibt auch nach der Schließung selbstständig – allerdings als Vertretungsapothekerin. Sie will jetzt ihren Kolleg:innen helfen, denn sie weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, wenn jemand in der Not einspringt und unterstützt. Sie ist also weiter mit Idealismus bei der Sache. Der Bedarf sei groß: Die ersten Buchungen haben sie bereits entgegengenommen.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch
Neuere Artikel zum Thema

APOTHEKE ADHOC Debatte