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Das Schatten-Generalalphabet

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Berlin -

Drittes Staatsexamen, Approbation, voller Elan an den HV-Tisch. Und plötzlich verlangen Kunden Präparate, von denen der Apotheker noch nie etwas gehört hat. Selbst nach dem Büffeln sämtlicher Namen der Originalpräparate sowie des gesamten OTC- und Freiwahlsortiments wird es nicht besser. Bis die erfahrene Approbierte den jungen Kollegen zur Seite nimmt und einführt in die hohe Kunst des Schatten-Generalalphabets.

Werdende Eltern kennen die Herausforderung: dem Kind einen Namen geben. Klang, Bedeutung, mögliche Spitznamen, die Kombination mit dem Nachnamen und prominente oder verwandte Namensträger – alles will bedacht sein. Seit Soziologen das Phänomen des Kevinismus belegt haben, ist der Druck sogar noch größer geworden. Scherze bei der Taufe machen nur besonders böswillige oder besonders einfältige Eltern.

Nomen est omen gilt auf dem Schulhof und in der Sichtwahl gleichermaßen. Und eine starke Marke ist für den Hersteller oft schon die halbe Marge. Daher betreibt die Industrie einen irrsinnigen Aufwand, um geeignete Namen für ein neues Präparat zu finden. Beauftragte Agenturen wissen um die Wirkung jedes einzelnen Buchstabens, welche Suggestionen diese bei der Mehrheit der Verbraucher auslösen und welches Gefühl zu welcher Indikation passt – Patienten lassen sich kein X für ein U vormachen.

Aber was nützt der ganze Aufwand, wenn sich die Patienten am Ende ihre eigenen Namen machen? Dann war nicht nur die Mühe des mütterlichen Herstellers für die Katz – auch der arme Apotheker versinkt hoffnungslos in der Buchstabensuppe. Da wird plötzlich Schittegol bestellt und Raggefänk und Umbalumba. Und niemand ist sicher. Bei aller Planung und Analyse bleibt der Prozess der Spitz- und Spottnamenbildung unvorhersehbar und ist niemals abgeschlossen.

Da kann man schon mal die Nerven verlieren bei der Namenssuche: Die ABDA hat ihre neue „Mediengruppe Deutscher Apotheker“ nicht MDA genannt, sondern Avoxa. Das wurde eigens entwickelt, abgeleitet von lateinisch „vox“ für Stimme, weil sich die Apotheker Gehör verschaffen wollen. Wer schon mit seinem großen Latinum angibt, sollte um die Bedeutung der Vorsilbe a- wissen (asozial, asymmetrisch, aseptisch). Vielleicht ist Avoxa gar kein Fall von Kevinismus, sondern Ausdruck eines tiefen inneren Bedürfnisses, nicht laut sprechen zu müssen. Nicht so poltern wie die Ärzte, lieber mit gedämpfter Stimme die eigenen Forderungen vortragen.

Zu den aktuellen Forderungen zählt eine bessere Vergütung für die Herstellung von Rezepturen, wenigstens den Festzuschlag soll es geben. Mit 8,35 Euro hätte jener Kölner Apotheker seinen Aufwand kaum decken können, als er einer Familie mit herzkrankem Kind half. Er recherchierte die Krankengeschichte und mixte aus dem dosierten Fertigarzneimittel eine passende Rezeptur. Abends um acht brachte er die Kapseln in die Flüchtlingsunterkunft. Für ihn selbstverständlich und trotzdem nicht nicht der Rede wert.

Sehr schnell und leicht kommt man regelmäßig auch bei ebay an Arzneimittel. Da verkauft eine Händlerin Teile der Apotheken-Aktionsbox und bietet Hustensaft Ambroxol und Pelargonium per Kleinanzeige an. Ein anderer Nutzer vertickt Mittel gegen chronische Lebererkrankungen aus einem Nachlass, statt 220 Euro für nur 98 Euro (VB). Der Marktplatz bekommt das Problem einfach nicht in den Griff, das Ausmaß der Anstrengungen dagegen ist unbekannt.

Andere verkloppen ihre Restposten an Hilfsorganisationen, jedenfalls scheinbar. Wenn dann auffliegt, dass die Ware zurück in den deutschen Markt gelangt ist, will keiner der Schuldige sein. Der Fall liegt einige Jahre zurück, vor dem Bundesgerichtshof (BGH) stritten Klosterfrau und die Firma MTI noch über etwaige Vertragsstrafen. Der Hersteller verlor den Prozess um die Vertragsstrafenabrede.

Wenn es ganz schlecht läuft, läuft die Kamera, während man sich eigentlich vertraulich unterhalten möchte. Anscheinend gibt es auch heute noch im Bereich der Zyto-Versorgung solchen Gesprächsbedarf. Jedenfalls haben der „Stern“ und das TV-Magazin „Panorama“ über einen Onkologen berichtet, der sich zum Schein auf einen Deal einließ – und alle Welt zuschauen ließ. Einer von diesen Fällen, in denen die Anwälte der Betroffenen präventiv in anderen Redaktionen anrufen, um auf die Folgen einer Verbreitung der Verdachtsberichterstattung freundlich hinzuweisen.

Eine positive Nachricht aus dem Zyto-Bereich kann die BA Unternehmensgruppe (Berg-Apotheke) vermelden. Nach dem Großbrand Ende 2014 liefen der Wiederaufbau und die Erweiterung der Sterilherstellung im vergangenen Jahr so erfolgreich, dass die Umsätze kräftig gesteigert werden konnten. Bis Ende des Jahres sollen die Mitarbeiterzahl um weitere 60 steigen, auf dann 430.

Ein Unterstützer der Apotheker und ihrer Belange ist seit jeher Professor Dr. Justus Haucap. Früher, als Chef der Monopolkommission, forderte er leidenschaftlich Apothekenketten, freie Rx-Preise und ein Ende des Apothekenmonopols (gemeint sind die rund 20.000 Monopole). Jetzt hatte Haucap einen anderen Blickwinkel: Er verteidigte die Ärzte gegen die Übermacht der Kliniken. Wer den niedergelassenen Medizinern helfen soll? Sie ahnen es, die Apotheker. Es gibt auch in der Welt der Ideen Monopole.

Ebenso Meinungsmonopole: Dass die Krankenkassen bei der Versorgung von Inkontinenzpatienten auf unwürdige Weise sparen, darüber gibt es keine zwei Meinungen. Und so hat das ARD-Magazin „PlusMinus“ schwungvoll auf die DAK eingedroschen. Die Hamburger Kasse hat schon entspanntere Zeiten erlebt.

Aber die DAK holt es sich auch ab, wo sie nur kann: Jetzt startet die Kasse einen Medikationsplan light auf eigene Faust und schreibt den Versicherten, der Hausarzt wisse schon, welche Arzneimittel nicht zueinander passten. Die Apotheker, hieß es auf Nachfrage, die bräuchte man nicht in diesem Modell.

Manchmal braucht aber einen Apotheker jemanden, um zu wachsen: Aponeo hat sich einen Investor besorgt und baut mit dem „Großhändler“ zusammen ein neues Lager. Das mag juristisch einwandfrei sein, politisch ungefährlich ist es nicht. Wer ist der Herr im eigenen Lager? Die Haucaps dieser Welt hören zu.

Eine andere Versandapotheke wollte sich verlorenes Geld zurückholen: Die Europa Apotheek Venlo (EAV) hat ihre Rx-Boni-Verfahren bekanntlich verloren. Weil man sich nicht immer „selbstverständlich an deutsches Recht“ gehalten hat, hagelte es Vertragsstrafen. Als der Streit mit dem Bayerischen Apothekerverband (BAV) dann im Herbst 2013 vor dem BGH für erledigt erklärt wurde, wollte die EAV besonders clever sein: Das gelte doch sicher auch für die Vertragsstrafen, oder? Nein, sicher nicht, entschied jetzt nachsichtig lächelnd der BGH. Der Staat darf die 600.000 Euro behalten.

Almased-Chef André Trouillé hat 100.000 Dosen seines Diätpulvers bei Netto und Kaufland gefunden und war darüber not amused. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt er, wen er hinter den Graumarktgeschäften nicht vermutet und wen vielleicht eher. Und sonst im Markt: Bionorica streicht die Bündelpackung, Noweda hat Unruhen in Leipzig und Olaf Klose wechselt von der Deutschen zur Apobank. Was sonst noch wichtig war in dieser Woche, wurde vergessen. Das könnte am Omeprazol liegen. Schönes Wochenende.

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