Studie Bertelsmann Stiftung

Lauterbach: GKV-Pflicht für alle

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Berlin -

Während alle Arbeitnehmer verpflichtet sind, sich gesetzlich krankenzuversichern, nutzen neben Selbstständigen vor allem Beamte die private Krankenversicherung. Für die Beamten-Beihilfe muss der Staat immer tiefer in die Tasche greifen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung schätzt, dass sich die Ausgaben bis 2030 auf geschätzte 20,2 Milliarden Euro verdoppeln könnten. Die Experten machen einen radikalen Vorschlag. Der SPD-Bundestagsfraktion geht er jedoch nicht weit genug.

Stellvertretender Fraktionsvorsitzende der SPD, Professor Dr. Karl Lauterbach, nutze die Ergebnisse der Studie, um erneut für eine Bürgerversicherung zu werben. „Das Gutachten der Bertelsmann Stiftung zur Überführung von Beamten in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) bestätigt im Großen und Ganzen die bereits vorliegenden Berechnungen“, teilte er mit.

Weder verfassungsrechtliche noch finanzielle Gründe würden gegen einen solchen Schritt sprechen. Geholfen würde außerdem vielen Beamten, die sich Sorgen machen, die im Alter hohen Prämien der Privaten Krankenversicherung nicht bezahlen zu können.

Für die SPD geht der Vorschlag der Experten allerdings nicht weit genug. „Wenn nur Beamte das Recht des Wechsels in die GKV bekommen und somit sowohl der Staat als auch die Beamten vor höheren Kosten geschützt werden, stellt sich die Frage, weshalb die anderen Privatversicherten in dem teureren und weniger effizienten System verbleiben sollten“, so Lauterbach. Sie müssten dann die wahrscheinlich noch stärker steigenden Kosten eines wegschrumpfenden Systems tragen, warnt er. Der SPD-Fraktionsvize kündigte zudem an, dass das Thema Bürgerversicherung im Bundestagswahlkampf eine große Rolle spielen soll.

Der Untersuchung der Bertelsmann Stiftung zufolge würde eine gesetzliche Krankenversicherungspflicht für Beamte die Haushalte von Bund und Ländern in Milliardenhöhe entlasten. Die öffentlichen Haushalte könnten dadurch bis 2030 mehr als 60 Milliarden Euro sparen.

In Deutschland sind 85 Prozent der berufstätigen und pensionierten Beamten und damit rund 3 Millionen Menschen privat krankenversichert. Im Krankheitsfall zahlen Bund und Länder eine steuerfinanzierte Beihilfe, die 50 bis 70 Prozent der Kosten – je nach Familiensituation sowie Bundes- und Landesrecht – abdeckt. Den Rest zahlt die Krankenversicherung. Der Studie zufolge kostet die private Krankenversicherung die Beamten dank der Zuschüsse im Schnitt 6,4 Prozent ihres Einkommens. In der GKV müssten sie die vollen 14,8 Prozent zahlen.

Der Bund gab im Jahr 2014 laut Bertelsmann-Stiftung 4,5 Milliarden Euro für Beamtenbeihilfe aus, in den Ländern lagen die Ausgaben bei 7,4 Milliarden Euro. Die Studie prognostiziert, dass die jährlichen Ausgaben des Bundes bis 2030 auf 6,6 Milliarden und diejenigen der Länder auf 13,6 Milliarden Euro steigen werden.

Der Grund: Beamte fallen nicht unter dieselbe Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse wie Arbeitnehmer, die ab einem Jahresbruttoeinkommen von 57.600 Euro (2017) befreit sind. Durch die geforderte Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht müssten zwei Drittel der bislang 3,1 Millionen privatversicherten Beamten und Pensionäre in eine gesetzliche Krankenkasse wechseln, weil sie unter der Einkommensgrenze liegen, so die Stiftung. Weitere 21 Prozent würden den Berechnungen zufolge aus finanziellen Gründen freiwillig wechseln. Insgesamt wären dann neun von zehn Beamten gesetzlich versichert.

Für seine gesetzlich krankenversicherten Beamten müsste der Staat zwar den üblichen Arbeitgeberbeitrag zahlen. Das wäre aber für den Bund und die meisten Länder weniger als was sie derzeit für die Beihilfe ausgeben. Und: Je mehr pensionierte Beamte in der GKV, desto größer die Einsparungen, denn in dieser Altersgruppe fallen die meisten Krankheitskosten an. Der Bund würde laut Bertelsmann-Stiftung bereits im ersten Jahr um 1,6 Milliarden Euro, die Länder um 1,7 Milliarden Euro entlastet. Bis 2030 würden die öffentlichen Haushalte insgesamt mehr als 60 Milliarden Euro einsparen.

Auf lange Sicht könnten 13 von 16 Bundesländer Milliarden einsparen. Nur Sachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern würden "geringfügig belastet". Dagegen summierten sich die Einsparungen bis 2030 in Nordrhein-Westfalen auf 9,9 Milliarden Euro, in Bayern auf 7,7 Milliarden Euro, in Baden-Württemberg auf sechs und in Rheinland-Pfalz auf 3,5 Milliarden Euro.

Für die gesetzliche Krankenkassen und ihre Versicherten würde sich die Systemänderung ebenfalls rechnen. Der Studie zufolge würden den zusätzlichen Ausgaben für die Versorgung der Beamten und Pensionäre in Höhe von knapp zwölf Milliarden Euro Mehreinnahmen durch Beiträge von mehr als 15 Milliarden Euro gegenüber stehen. Der Beitragssatz könnte so um 0,34 Prozentpunkte gesenkt werden.

Die Verlierer der Umstellung wären die privaten Krankenversicherer, die Gutverdiener unter den Beamten und die Ärzte. Knapp die Hälfte der rund 8,8 Millionen PKV-Vollversicherten sind Beamte, Pensionäre und deren Familienangehörigen. Die Arzthonorare für Beamte, die privat versichert sind, richten sich nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), die bei allen Privatpatienten Anwendung findet. Die ärztlichen Leistungen sind damit im Durchschnitt 2,6-mal so teuer wie die gleichen Leistungen bei gesetzlich Versicherten.

Niedergelassene Ärzte, Chefärzte und auch Krankenhäuser profitieren somit in erheblichem Umfang vom System der Beamtenversorgung. Der Studie zufolge handelt es sich um Mehreinnahmen von gut sechs Milliarden Euro jährlich.

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