Pflege

Streit um Zwangsverkammerung

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Berlin -

Für die Apotheker ist die Kammermitgliedschaft vorgegeben – egal ob sie die Mitgliedschaft begrüßen oder nicht. Viele Pflegekräfte in Deutschland stehen derzeit aber genau vor dieser Frage: Überwiegen die Vor- oder die Nachteile einer Berufskammer? In zahlreichen Bundesländern wird über die Schaffung von Pflegekammern diskutiert. Befürworter hoffen auf mehr Anerkennung, Gegner warnen vor der Zwangsmitgliedschaft. In der Diskussion halten sie sich etwa die Waage.

Zuletzt wurden etwa Pflegekräfte in Berlin nach ihrer Meinung befragt. Knapp 60 Prozent sprachen sich für die Gründung einer Pflegekammer aus, 17 Prozent waren dagegen. Die übrigen Teilnehmer wollten kein Urteil abgeben, oder ihnen war es egal. Für das Stimmungsbild befragte die Alice Salomon Hochschule Berlin von November bis März knapp 1200 Pflegekräfte.

Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) wertete das „klare Votum“ als „eindeutigen Auftrag, um die weiteren Schritte zur Gründung einer Pflegekammer zu gehen“. Dafür werde er in den kommenden Wochen zu einem öffentlichen Fachdialog einladen. Dieser Dialog solle auch dazu dienen, Erfahrungen aus anderen Bundesländern zu sammeln, in denen bereits Gründungsprozesse liefen.

Andererseits sehen viele eine Kammer für Pflegekräfte kritisch. Der Arbeitgeberverband Pflege etwa befürchtet eine Spaltung der Pflegekräfte: Die Pflegefachkräfte würden zur Zwangsmitgliedschaft verpflichtet, während die vielen Pflegehilfskräfte keine Mitglieder werden könnten. Zudem sei ordnungspolitisch höchst umstritten, Pflegekräfte zu zwangsverkammern, die Arbeitnehmerstatus hätten und – anders als Ärzte, Rechtsanwälte oder Architekten – keinen freien Beruf ausübten.

Aus Sicht der Gewerkschaft Verdi können die Aufgaben, die Pflegekammern zugedacht sind, bereits heute durch die entsprechenden Organisationen wie Gewerkschaften, staatlichen Behörden und Berufsverbänden erfüllt werden. Eine Aufwertung des Berufs sei zwar möglich, dazu bedürfe es aber keiner Kammer, denn die könne nichts an den bestehenden Arbeits- und Einkommensbedingungen ändern – und würde stattdessen die Beschäftigten Geld kosten.

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hingegen unterstützt die Einrichtung von Kammern. Mehr als 100 Jahre habe man versucht, auf Basis einer freiwilligen Mitgliedschaft den Pflegenden politisch und gesellschaftlich Gehör und Einfluss zu verschaffen. „Solange allerdings der Organisationsgrad auf diesem Wege nicht deutlich über die heutigen 10 Prozent hinauskommt, stößt die Interessenvertretung der Pflegeberufe dauerhaft an Grenzen“, heißt es beim DBfK. Daher setzt sich der Verband „mit aller Konsequenz“ für die Errichtung von Pflegekammern in allen Bundesländern und einer Bundespflegekammer ein.

Derzeit werden in drei Bundesländern Pflegekammern aufgebaut: In Rheinland-Pfalz wurde die Kammer im Sommer 2014 beschlossen. Derzeit ist der Gründungsausschuss mit dem Aufbau der Kammer beschäftigt, Anfang 2016 soll die erste Sitzung der Vertreterversammlung stattfinden.

Auch in Niedersachsen wird derzeit eine Kammer aufgebaut. Bei einer Umfrage hatten sich 67 Prozent für die Einrichtung einer Pflegekammer ausgesprochen, aber nur 42 Prozent befürworteten eine Pflichtmitgliedschaft mit Beitragspflicht. Auf dieser Grundlage wurde über die Ausgestaltung der Kammer diskutiert, im Februar wurde das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Der Landtag soll im kommenden Jahr über den Entwurf beraten. Wird die Kammer beschlossen, soll ein Einrichtungsausschuss einberufen und die Kammer bis 2017 errichtet werden.

In Schleswig-Holstein hat der Landtag bereits 2012 beschlossen, eine Pflegekammer einzurichten, die Landesregierung stimmte im September zu. Seit Oktober bereitet ein Arbeitskreis die Arbeit des Errichtungsausschusses vor. Im Januar demonstrierten rund 1000 Pflegekräfte in Kiel noch gegen die Einrichtung einer Kammer.

In Bayern gab es bereits 2011 einen Vorstoß des damaligen Gesundheitsministers Dr. Markus Söder (CSU). Er scheiterte aber an der bayerischen FDP. Zuletzt legte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) ein Konzept vor, „eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zu bilden, in der Pflegeverbände und einzelne Pflegekräfte freiwillig Mitglied werden können“.

Der Arbeitgeberverband Pflege lobte den Vorschlag als „vernünftige und tragfähige Lösung“. „Anders als in Rheinland-Pfalz setzt sie auf das Prinzip der Freiwilligkeit und hat sich für Bayern gegen Zwangsmitgliedschaft und Zwangsbeiträge entschieden“, so der Verband. Die Pflegeberufsverbände lehnen den Kompromissvorschlag hingegen ab. „Nur mit einer verpflichtenden Registrierung werden wir eine starke Interessensvertretung der Pflege erreichen“, so Dr. Marliese Biederbeck, DbfK-Geschäftsführerin für den Bereich Südost.

In Hamburg hatte eine Befragung der Pflegekräfte keine Mehrheit für eine Pflegekammer ergeben. Dort wird deren Einrichtung politisch nicht verfolgt. Auch in Mecklenburg-Vorpommern setzt man auf eine Befragung.

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