Retaxationen

Hofferberth: Apotheker büßen für Arztfehler

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Berlin -

Der Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV) hat für seine Mitglieder im vergangenen Jahr fast 400.000 Euro an unberechtigten Retaxationen zurückgeholt. Geschäftsführerin Ina Hofferberth sprach mit APOTHEKE ADHOC über die häufigsten Retaxgründe, Absetzungen im Centbereich und peinlich berührten Mitarbeiter der Krankenkassen.

ADHOC: Was waren 2013 die häufigsten Retax-Gründe?
HOFFERBERTH: Jeder Apotheker weiß, wie vielfältig die Fehlerquellen sind, die zu Absetzungen durch die Krankenkasse führen können. Bei den von uns bearbeiteten Einsprüchen geht es besonders oft um Retaxationen von Betäubungsmittel-Rezepten – hier sind die formellen Anforderungen ja nochmal höher. Die Apotheker büßen dafür, dass sie in der Hektik des Alltags nicht alle Fehler der Ärzte beim Ausstellen der Verordnung bemerkt haben. Davon abgesehen sind die häufigsten Beanstandungsgründe das Überschreiten der Lieferfrist oder auch die Belieferung mit einer unrichtigen Menge. Hier sehe ich die Packungsgrößenverordnung mit unterschiedlichen Stückzahlen bei gleicher N-Bezeichnung im Zusammenspiel mit den Vorgaben aus Rabattverträgen als verantwortlich. Häufig betreffen die Beanstandungen auch Probleme beim Ausstellungsdatum des Rezepts. Im Hilfsmittelbereich geht es ganz oft um fehlende Genehmigungen.

ADHOC: Welche Kasse ist besonders negativ aufgefallen?
HOFFERBERTH: Intensive Rezeptprüfungen und entsprechende Retaxationen sind mittlerweile bei eigentlich allen Krankenkassen üblich. Unterschiede gibt es aber, wenn es um die Anerkennung von aus unserer Sicht berechtigten Einsprüchen im Einzelfall geht. Auffällig ist da aus unserer Praxis heraus vor allem die DAK. Eingereichte Arzt- oder Patientenbestätigungen, die aus unserer Sicht formale Nachlässigkeiten erklären und heilen können sollten, werden schlicht nicht berücksichtigt, geschweige denn anerkennt. Hier wird stur nach „Schema F“ gearbeitet und mit Standardschreiben agiert. Wir finden das wenig partnerschaftlich und auch in der Sache ungerecht.

ADHOC: Gibt es auch positive Ausnahmen?
HOFFERBERTH: Ja. Genauso stur, wie manche Kassen sich hier gebärden, gibt es Prüfzentren und Kassen, die wirklich den Einzelfall ernst nehmen, nachvollziehen und dann Heilungsmöglichkeiten bei Formfehlern zulassen. Hier wird kulant und im Sinne einer stabilen Patientenversorgung mit uns oder der betroffenen Apotheke umgegangen. Leider ist der Umgang mit den Apotheken nicht durchgängig so partnerschaftlich.

ADHOC: Stimmt es, dass die Kassen vor allem hochpreisige Arzneimittel retaxieren?
HOFFERBERTH: Es mag durchaus sein, dass die einzelnen Kassen und Prüfzentren unterschiedliche „Aufgriffskriterien“ anwenden. Aber rein statistisch kann ich diese Aussage nicht bestätigen. Für eine Apotheke haben wir zwar im letzten Jahr eine Retaxation mit drei Rezepten im Gesamtwert von 22.770 Euro erfolgreich abschließen können und aktuell kämpfen wir zum Beispiel für eine andere Apotheke um einen Retaxationswert von über 12.000 Euro. Aber insgesamt sind nicht nur die Hochpreiser von Retaxationen betroffen. Wir erhalten viele Retaxationen mit einer Retaxsumme unter einem Euro. Da muss man sich schon die Frage stellen, was so eine Retaxation die Krankenkasse kostet. Selbst, wenn die Kasse im Recht ist, kann ich mir nicht herleiten, wie so eine Retaxation kostendeckend sein soll. Übrigens legen wir schon aus Prinzip auch bei solchen Werten Einsprüche ein, wenn die Absetzungen unberechtigt sind.

ADHOC: In Ihrer Taxations-Abteilung arbeiten sieben Mitarbeiter. Ist der Bedarf so groß?
HOFFERBERTH: Wahrscheinlich könnten wir doppelt so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier einsetzen. Im vergangenen Jahr haben wir mehr als 5200 Rezepte geprüft und Einsprüche eingelegt. Weitere knapp 1000 Einsprüche haben wir für Retaxationen gegen Rabattverträge bearbeitet. Im Jahr davor waren es, verursacht durch große Retaxationswellen bei einigen Krankenkassen, insgesamt mehr als 10.000. Unsere Fachabteilung leistet intensiven telefonischen Support im Tagesgeschäft unserer Mitglieder mit täglich etwa 150 Anrufen. Was die Retaxationen betrifft: Wir sind der Meinung, dass im gleichen Maße, in dem die Krankenkassen hier zulegen, auch der Verband agieren muss. Das sind wir unseren Mitgliedern schuldig, denn in diesem Bereich geht es um bares Geld, das den Apothekerinnen und Apothekern zusteht. Wo immer wir da helfen können, stehen wir parat.

ADHOC: Wie reagieren die Kassen auf die Einsprüche der Apotheker?
HOFFERBERTH: Ich habe aus vielen Telefonaten den Eindruck, dass es vielen Kassenmitarbeitern Hoch-Not-peinlich ist, trotz für sie nachvollziehbarer Begründungen zu Retax-Vorgängen ihre offenbar erteilten Unternehmensweisungen durchzuziehen. Andererseits kann ich bei den Bemühungen um entsprechende vertragliche Regelungen vor allem im Rahmenvertrag kein besonderes Bemühen der Kassenseite feststellen, hier dem Bürokratiewahnsinn ein Ende zu setzen. Mein Eindruck ist, dass hier einzelne Kassen den Weg absichtlich verbauen, den andere durchaus gehen würden. Entsprechende Rechtsprechungen machen hier die Sache nicht leichter.

ADHOC: Wie ist die aktuelle Lage?
HOFFERBERTH: Zur Jahresmitte 2014 haben wir bereits mehr als 4000 Einsprüche gestellt. Dabei sind Einsprüche von Retaxationen im Zusammenhang mit Rabattverträgen noch gar nicht mitgezählt. Insofern gehe ich davon aus, dass sowohl die Anzahl der Vorgänge als auch der dahinter stehende Gesamtbetrag der Retaxationen des vergangenen Jahres deutlich überschritten wird. Anders gesagt: Wir erkennen nicht, dass die Kassen ihre Retaxationswut eindämmen – eher im Gegenteil.

ADHOC: Glauben Sie, dass die Regierung eingreifen wird?
HOFFERBERTH: Wir müssen wieder zurück zu einer Kultur des Miteinanders, nicht des fortgesetzten Gegeneinanders. Das geht für mich einher mit einem Weniger an bürokratischen Fesseln und einem Mehr an gesundem Menschenverstand. Das sehen auch viele führende Gesundheitspolitiker so und sind dem Vernehmen nach gewillt, hier gesetzgeberisch zu handeln.

ADHOC: Was fordern Sie?
HOFFERBERTH: Dort, wo eine Leistung erbracht wird, muss auch die Entlohnung sichergestellt sein. Es kann doch nicht sein, dass man vor lauter Retax-Bedenken die pharmazeutische Leistung hintanstellt und mehr Aufwand bei der Rezeptprüfung betreibt als für die Patientenberatung. Auch das sehen unsere politischen Gesprächspartner so. Ich bin da also insgesamt sehr zuversichtlich, dass der Gesetzgeber hier handeln wird. Eine Bemerkung kann ich mir nun doch nicht verkneifen: viele Ausstellungsfehler auf den ärztlichen Verordnungen wären vermeidbar, wenn die Praxissysteme auf dem gleichen aktuellen Stand wären wie die Apothekensoftwaresysteme.

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