Kommentar

Retax gegen Apothekenwahl

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Berlin -

Die AOK Hessen spielt Alles oder Nichts: Sie will ihre Selektivverträge in der Versorgung mit Sterilrezepturen erzwingen und mit Retaxationen den Markt planieren. Was dahinter steht, ist eindeutig: Macht und Geld. Aber die AOK übersieht offenbar die eigenen Risiken.

Bei Rabattverträgen zu Generika sind die Apotheken seit dem unseligen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zu Null-Retaxationen den Kassen ausgeliefert – der Durchgriff auf das Generalalphabet gilt demnach beinahe absolut. Aber kann mit Selektivverträgen auch die freie Apothekenwahl ausgehebelt werden? Die AOK Hessen versucht genau das.

Die Kasse hat Zyto-Apothekern sechsstellige Retaxationen angekündigt, wenn sie ohne Zuschlag weiterhin Krebspatienten versorgen. Weil es bei Zytostatika um große Summen geht, ist das eine sehr vernehmliche Drohung. So manche Apotheke wird sich überlegen, ob sie jetzt noch im Widerstand bleibt.

Im Extremfall geht eine Apotheke durch die horrenden Retaxationen in die Knie und meldet Insolvenz an. Und was, wenn das Bundessozialgericht irgendwann entscheidet, dass die Kasse im Unrecht war? Muss sie dann Schadenersatz zahlen und die Apotheke wiederbeleben?

Die Rechtslage ist keinesfalls so eindeutig, wie die AOK vorgibt. Apotheken haben einen Versorgungsauftrag und dürfen Patienten oder in diesem Fall deren behandelnde Ärzte nicht einfach wegschicken.

Gerade für Krebspatienten, die nach Erstellung des Blutbild in der Praxis auf die Lieferung und ihre Behandlung warten, ist ein Rücksicht auf Vertragspartner der Kasse inakzeptabel. Um Reibungsverluste zu verhindern, wurde in diesem Bereich sogar das Zuweisungsverbot gelockert.

Wenn die Apotheken sich nicht einschüchtern lassen, droht der AOK neben dem Rechtsstreit auch ein mediales Desaster. Vor einigen Jahren mussten die Pharmazeuten lernen, wie es in der Öffentlichkeit ankommt, wenn man auf die besondere Situation von Krebspatienten keine Rücksicht nimmt. Die Rollen dürften diesmal genau andersherum verteilt sein.

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