Kommentar

Nächster Stopp: Fremdbesitzverbot

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Berlin -

Als Anfang der 1970er Jahre die Preisbindung für Drogeriewaren fiel, begann der Siegeszug von Rossmann, dm & Co. Im Apothekenmarkt droht sich die Geschichte jetzt zu wiederholen. Ein kleiner Umweg über die niederländische Grenze genügt, um alle Vorschriften, die für den Betrieb einer Apotheke in Deutschland gelten, hinter sich zu lassen. Um einen vermeintlichen Nachteil auszugleichen, hat der EuGH Kapitalgesellschaften wie DocMorris einen massiven Wettbewerbsvorteil verschafft. Nächster Stopp: Fremdbesitzverbot.

Wenn eines nach 16 Jahren DocMorris klar ist, dann das: Frechheit siegt. Jahrelang wurden Rezepte mit Krankenkassen abgerechnet, ohne dass es eine rechtliche Grundlage dafür gab. Boni wurden gewährt, lange nachdem sie doppelt und dreifach verboten worden waren. Ordnungsgelder wurden geprellt. Man muss Nerven haben, um so zu zocken. Auch diesmal ist die Wette aufgegangen – zum Nachteil der Versorger und der Patienten, aber zur Freude der Aktionäre und Investoren.

Auch wenn die DocMorris-Truppe gestern in Luxemburg feierte: Die Gewinner des Vabanque-Spiels werden auf Dauer andere, weitaus mächtigere Kräfte sein. Ralf Däinghaus und seine unternehmerischen Erben haben über die Jahre viel Arbeit geleistet und die Festung sturmreif geschossen. Jetzt kann das Großkapital in den Markt einbrechen.

Lange galt der Apothekenmarkt als zu komplex, zu anspruchsvoll und vor allem als zu schlecht skalierbar, um für Megakonzerne wie Bertelsmann, Amazon & Co. interessant zu sein. Jetzt wird er von den EU-Richtern auf dem Silbertablett serviert: Wer keinen Kittel anziehen, sondern maximalen Profit erzielen will, braucht nur nach Holland zu kommen. Hier gelten keine Gemeinwohlpflichten, hier wird Kasse gemacht.

So ähnlich wie ein Arzt, der Patienten mit für ihn wenig lukrativen Erkrankungen wegschickt, können die EU-Versender nach rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten agieren und über ihre Boni die Patientenströme lenken. Man kaufe sich eine Klitsche hinter der Grenze und schon ist man im Geschäft. Den aufwändigen und wenig einträglichen Hokuspokus mit den individuellen Bedürfnissen der Patienten überlässt man denen, die sich qua Approbationsurkunde dazu berufen fühlen und die mit ihrer gesamten Existenz dafür einstehen.

Die Arzneimittelversorgung wird so zum reinen Logistikauftrag mit angeschlossenem Call Center. Über gezielte Ansprache kann man lukrative Kunden gewinnen – zum Beispiel alle Diabetiker. Über Rabatte und Gutscheine kann man die Käufer binden. Die Preisvarianz ist im Bereich der Zuzahlung geringer als bei Haushaltswaren, wo die Kunden in der Regel zum nächsten Schnäppchen weiterziehen. Chroniker sind dagegen meist Stammkunden – hier haben die Apotheken vor Ort die entsprechende Aufbauarbeit geleistet.

Von den Patienten kann man sicher nichts erwarten. Wer aufgrund einer schweren Erkrankung bei jedem Apothekenbesuch zur Kasse gebeten wird, der kann es sich schlichtweg nicht leisten, sich von strukturellen Erwägungen leiten zu lassen. Zumal er ja immer noch seinen Arzt hat, wenn er mit dem Mitarbeiter im Call Center doch nicht zufrieden sein sollte. Allenfalls ein Poststreik könnte die Versicherten zurück in ihre ehemalige Stammapotheke treiben. Das hätten übrigens auch die EU-Richter verstehen müssen.

So geht es auch gar nicht um die Frage, ob die Angestellten der Versandapotheken einen guten oder schlechten Job machen. Was die Richter in Luxemburg nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollten: Es geht um die grundsätzliche Entscheidung darüber, wie und durch wen die Gesundheitsversorgung organisiert wird und ob ein heilberuflicher oder ein kapitalgetriebener Ansatz aus gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer – nicht juristischer! – Sicht der bessere ist.

Zurück bleibt jetzt ein Zwei-Klassen-System mit Anbietern, die anonym aber billig sind, und Nahversorgern, die zum Luxus werden – umso mehr, wenn wirklich einmal akuter Bedarf besteht. Pick-up könnte eine Renaissance erleben, von Chronikerprogrammen ganz zu schweigen. Handelsketten, Investoren und Hedgefonds haben das Modell bereits vor Jahren erkannt und können ihre Konzepte jetzt einfach aus der Schublade holen.

Wie kann die Politik das Problem lösen? Neben dem Rx-Versandverbot kursierten gestern im Internet bereits die wildesten Ideen: Die Apotheken vom Inkasso der Zuzahlung freistellen – wenn die Rechnung am Monatsende direkt von der Kasse kommt, entfällt der Anreiz für die Patienten, so das Argument. Ob die Kassen dann attraktiven Angeboten widerstehen könnten, steht auf einem anderen Blatt.

Ein anderer Vorschlag, für den sich unter anderem bei SPD-Fraktionsvize Professor Dr. Karl Lauterbach erwärmen kann, ist ein Switch des Honorars weg von der Packungspauschale hin zu einer Vergütung der ureigensten Leistungen der Vor-Ort-Apotheken wie Notdienst, Rezepturen und Beratung. Die Krux an der Sache: Hier wird das Leistungsangebot der Apotheken aufgeschnürt; schon bei der Erhöhung des Rezepturhonorars stand die ABDA mit einem Fuß auf der Bremse, um die Entstehung von Herstellbetrieben und Zentralapotheken zu verhindern.

So gab es denn auch Stimmen, die eine Liberalisierung als einzigen Ausweg sehen: Warum noch Notdienst, warum Gemeinwohlpflichten, wenn die Konkurrenz stattdessen Köder für Patienten auslegen darf? Wozu die persönliche Haftung, wenn Kapitalgesellschaften über einen kleinen geografischen Umweg den perfekten Zugang zum deutschen Markt haben? Wozu Steuern in Deutschland zahlen und Arbeitsplätze schaffen, wenn es im Gewerbegebiet hinter der Grenze so locker zugeht?

Die entscheidende Frage ist, ob es eine Alternative zur Nivellierung nach unten gibt und wie schnell eine strukturelle Gegenbewegung einsetzt. Solange das deutsche Apothekenwesen weiter provinziell verwaltet wird, haben die Investoren leichtes Spiel gegen die Versorger vor Ort. Wenn nur noch der Weg zur Kette bleibt, hätten fünf Richter sich über den Willen des deutschen Gesetzgebers hinweg gesetzt – und über die europäischen Verträge.

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