Kommentar

Wagenburg auf der Verliererstraße

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Berlin -

Wagenburgen taugten vor Jahrhunderten im Wilden Westen als probates Mittel gegen äußere Gefahren und Angriffe. In Zeiten der Globalisierung ist dieses Mittel überholt. Im Gegenteil: Der Fortschritt entwickelt sich so lange an den Eingekreisten vorbei, bis die Wagenburg ihren Zweck verloren hat. Wer sich selbst einkesselt, gerät über kurz oder lang auf die Verliererstraße. Apotheker und Ärzte laufen mit ihrer abwehrenden Politik in Gefahr, die Zukunft zu verpassen, kommentiert Lothar Klein.

Am Beispiel des in der AMG-Novelle verankerten Verbot von Fernbehandlung mit Rezeptausstellung lässt sich exemplarisch beobachten, wie sich solche Dinge entwickeln: Weil die deutsche Gesetzgebung nicht an die Ärzte von DrEd herankommt, hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den deutschen Apothekern verboten, deren Online-Rezepte anzunehmen. Damit sollten die Online-Sprechstunden von DrEd in Deutschland ausgehebelt werden.

Die Konsequenzen dürften den Apothekern jetzt aber vor die Füße fallen: Wer sich im Internet oder am Telefon über den Umweg in Großbritannien beraten und ein Rezepts ausstellen lässt, hat sicher keine Skrupel, dieses zur Versandapotheke nach Holland zu schicken.

Deutschen Apotheken könnten damit 200.000 Kunden verloren gegen – Tendenz steigend. Und DocMorris & Co. geraten als die bösen Buben wieder in die politische Schusslinie. Das DrEd-Verbot in der AMG-Novelle ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Es geht an der Zeit vorbei und wird wirkungslos verpuffen.

Dabei hat die Globalisierung im Gesundheitswesen erst begonnen. Nach den Finanzdienstleistungen und anderen Wirtschaftsbereichen hat das Einreißen der bisher weitgehend national organisierten Gesundheitsmärkte gerade erst begonnen. Gute Prognostiker warten zwar den Verlauf der Ereignisse ab. Aber bereits jetzt lässt sich erkennen, wohin die Reise geht: Der rasante und revolutionäre Fortschritt beispielsweise in der Onkologie zeichnen den Weg. Die Ärzte werden ihren Nimbus als „Götter in Weiß“ verlieren. „Dr. Computer“ und „Big Data“ übernehmen in absehbarer Zeit einen Teil der Aufgabe bei Diagnose- und Therapieentscheidungen.

Solche Entwicklungen werden sich auch für weitere Volkskrankheiten wie Diabetes und Rheuma in ähnlicher Weise zutragen. Das ist für die betroffenen Ärzte und ihre dominierende Position im System schmerzhaft, aber unvermeidlich. Und auch die Apotheker stehen an einer vergleichbaren Weggabelung: Die Digitalisierung des Datenflusses medizinischer Informationen steht erst am Anfang, der Kampf um das Rx-Versandverbot ist symbolisch für die Sorgen der Pharmazeuten.

Früher oder etwas später wird das elektronische Rezept kommen. Was geschieht dann eigentlich mit den Apothekenrechenzentren? Werden die Rezeptdaten erst elektronisch übertragen, entfällt das umständliche Handling der Papierzettel. Sekundenaktuell lassen sich Abrechnungssalden jeder Apotheke ablesen. Das können dann auch Geldinstitute wie die Apobank und andere. Wie und wohin sich das Geschäftsmodell der Apothekenrechenzentren entwickeln wird, lässt sich nicht vorhersagen. Veränderungen aber sind unvermeidlich.

Das gilt auch für die Apotheken selbst: Werden erst Patientenakte und Medikationsdaten elektronisch zusammengeführt, entstehen mit Sicherheit neue digitale Angebote. Medikationsmanagement per App gibt es heute schon und dürfte zum Regelfall werden. Die Apotheker laufen auch hier Gefahr, sich selbst von der Zukunft abzukoppeln. Der letzte Apothekertag hat beschlossen, den ABDA-Arzneimitteldatenschatz nur zu vermarkten und nicht für eigene Apothekenangebote zu nutzen.

Auch wenn es nachvollziehbare wirtschaftliche Gründe für diese defensive Entscheidung gibt: Die ABDA schließt sich selbst von einem voraussichtlich wichtigen Zukunftsmarkt aus. Das könnte noch schwerwiegende negative Folgen haben.

Zugegeben: Die ABDA hat mit ihrer Beharrungspolitik in der Vergangenheit große Erfolge erzielt. Das Apothekenmonopol hat ebenso alle Angriffe überlebt wie das Mehr- und Fremdbesitzverbot. Damit sind die Startvoraussetzungen für Apotheker immer noch deutlich besser als für viele andere Berufe. Aber der Globalisierung kann man nicht dauerhaft mit nationalen Wagenburgen entgegentreten. Entweder man geht mit der Zeit oder man geht mit der Zeit. Der DrEd-Fall und der Kampf um das Rx-Versandverbot sind Menetekel.

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