Inkontinenzversorgung

Kassen: Renaissance für Wohnortnah

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Berlin -

Der öffentliche Druck war wohl zu groß geworden. Der GKV-Spitzenverband hat das Hilfsmittelverzeichnis im Bereich der Inkontinenzprodukte komplett überarbeitet und zur Anhörung vorgelegt. In erster Linie geht es um die Produktqualität, doch auch für das Dienstleistungsniveau sollen erstmals konkrete Kriterien festgeschrieben werden. Die Patienten sollen wieder stärker wohnortnah versorgt werden.

Laut Sozialgesetzbuch (SGB V) müssen alle Hilfsmittel, die zum GKV-Leistungskatalog gehören, in einem systematisch strukturierten Verzeichnis aufgelistet werden. Für die Erstellung und Fortschreibung ist der GKV-Spitzenverband verantwortlich. Monatlich werden neue Hilfsmittel aufgenommen; auch die Zuordnung zu bestimmten Produktgruppen wird regelmäßig überprüft.

Zusätzlich soll der GKV-Spitzenverband festlegen, welche Kriterien die Produkte erfüllen müssen: „Soweit dies zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung erforderlich ist, können im Hilfsmittelverzeichnis indikations- oder einsatzbezogen besondere Qualitätsanforderungen für Hilfsmittel festgelegt werden“, heißt es im Gesetzestext.

Doch in der Produktgruppe 15 – Inkontinenzhilfen – ist seit 1993 nichts geschehen. Weder die Materialien noch die Rücknässungswerte entsprechend dem Marktstandard. Da die Ausschreibungen der Kassen sich aber nach dem Hilfsmittelverzeichnis richten, müssen die betroffenen Patienten oft mit Produkten zurecht kommen, die nicht zeitgemäß sind.

Auf den Missstand hatte im Juni sogar schon DAK-Chef Professor Dr. Herbert Rebscher hingewiesen: Produkt- und Qualitätsanforderungen seien für die einzelne Kasse nicht verhandelbar – alleine der GKV-Spitzenverband entscheide, welche Hilfsmittel in das Verzeichnis aufgenommen oder gestrichen würden, so der Kassenchef. Wie später auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), forderte Rebscher den GKV-Spitzenverband auf, das Hilfsmittelverzeichnis zeitnah zu aktualisieren. Sonst bestehe die Gefahr, dass „die Versorgungsqualität nicht dem aktuellen Stand des medizinischen und technischen Fortschritts entspricht“.

Beim GKV-Spitzenverband ergibt sich bei bestehenden Produktarten selten ein Änderungsbedarf in den Qualitätsanforderungen. Die Vorgaben seien zuletzt 2007 überprüft worden – dabei habe es keine Hinweise auf Anpassungsbedarf gegeben. Dessen ungeachtet beabsichtige man, das gesamte Verzeichnis auf Aktualität hin zu überprüfen, sagt eine Sprecherin. Als Grundlage dient eine neue Prüfmethode, die es seit März 2015 gibt. „Sofern sich der technische Standard bei einzelnen Produktarten geändert hat, werden diese dann aktualisiert. Insgesamt soll die Prüfung innerhalb der nächsten zwei Jahre durchgeführt werden.“

Im Vordergrund steht die Produktqualität, doch künftig sollen der Sprecherin zufolge in allen Produktgruppen auch Anforderungen an die Dienstleistungen, die mit einer Hilfsmittelabgabe einherzugehen haben, definiert werden, die in den Verträgen der Krankenkassen zu beachten sind. „Dies ist bisher nur für einzelnen Produktgruppen erfolgt.“

Mit den Inkontinzenhilfen hat man sich in Berlin bereits befasst – ein Entwurf liegt den Fachverbänden bereits vor. Bis zum 22. Dezember können die Fachkreise zu den geplanten Änderungen Stellung nehmen, im Januar soll das Verzeichnis dann durch die GKV-Gremien verabschiedet werden.

Beobachter sehen den neuen Katalog als Schritt in die richtige Richtung. Durch die Vorgabe einer wohnortnahen Beratung und Bemusterung würden die Versorgung vor Ort gestärkt und der Versandhandel zurückgedrängt. Bereits im Sommer hatten die Grünen im Bundestag im Rahmen einer Kleinen Anfrage auf das Problem hingewiesen: Qualitativ minderwertige Hilfsmittel würden unkoordiniert und nicht termingerecht aus dem gesamten Bundesgebiet verschickt; oft fehle die Beratung. Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich jahrelang gewachsene und erprobte, regionale Versorgungsstrukturen auflösten und es zu Leistungs-, Service- und Qualitätsverlusten für die Patienten komme.

Diskutiert werden müsse trotzdem auch über neue gesetzliche Vorgaben für die Ausschreibungen: So sollten Qualität und Preis bei den Zuschlägen gleichwertig berücksichtigt werden. Außerdem müssten die Kassen verpflichtet werden, die Einhaltung der Verträge durch ihre Lieferanten zu kontrollieren. Bislang wisse nämlich niemand, wie viele Patienten mit den Vorlagen zurecht kämen – und wie viele aus dem eigenen Portemonnaie draufzahlten.

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