Antibiotika-Report

Glaeske: Ärzte verordnen zu unkritisch

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Berlin -

Die Deutschen schlucken zu häufig Antibiotika. Das ist das Fazit des Antibiotika-Reports der DAK-Gesundheit. Für den Report hat die Kasse die anonymisierten Arzneimittel- und Diagnosedaten ihrer Versicherten ausgewertet. Demnach haben im vergangenen Jahr 40 Prozent der Versicherten Antibiotika erhalten. Im vergangenen Jahr waren es 37,7 Prozent. Professor Dr. Gerd Glaeske fordert als einer der Autoren von den Ärzten einen kritischeren Umgang mit dem Rezeptblock.

Besonders häufig erhalten nach wie vor Kinder Antibiotika, auch wenn die Verordnungszahlen laut DAK rückläufig sind. Demnach erhielten im vergangenen Jahr 45 Prozent der unter 15-Jährigen Antibiotika verschrieben. Ähnlich hoch ist mit 44 Prozent der Anteil bei den 85- bis 90-Jährigen. Besonders alarmierend ist aus Sicht der Kasse, dass fast ein Viertel der über 60-Jährigen Fluorchinolone verschrieben bekommen hat, die nur dann zum Einsatz kommen sollten, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr helfen.

Der Blick auf die Verordnungsdaten zeigt auch ein West-Ost-Gefälle: Während Versicherten 2013 in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen durchschnittlich sieben Tagesdosen verordnet wurden, waren es in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen weniger als fünf.

Am häufigsten wurden Amoxicillin, Ciprofloxacin und Cefuroxim verordnet. Gesundheitsökonom Glaeske sieht das kritisch: Da die Breitbandantibiotika die Darmflora angriffen, würden viele nützliche Keime abgetötet. Das begünstige die Vermehrung resistenter Bakterien, erklärte er bei der Präsentation des Reports. Der häufige Einsatz von Breitband-Antibiotika sei daher kritisch zu sehen – zumal Cefuroxim in keiner Leitlinie Mittel erster Wahl sei.

Aus Glaeskes Sicht waren 30 Prozent der Antibiotika-Verordnungen mit Blick auf die Diagnose potenziell fragwürdig. Noch immer würden Antibiotika häufig bei Infektionen der oberen Atemwege oder bei Mittelohrentzündungen eingesetzt. Dies entspreche aber nicht den Behandlungsleitlinien.

Ein zweites großes Problemfeld ist Glaeske zufolge das mangelnde Wissen über Antibiotika in der Bevölkerung. Die DAK hatte 3100 Deutsche zu ihrem Umgang mit Antibiotika, ihrer Einstellung zu den Medikamenten und ihrem Wissen über Wirkung und Nebenwirkung befragt. Die Auswertung zeigten, dass viele Patienten mit den falschen Vorstellungen und einer entsprechenden Erwartungshaltung in die Praxen kämen.

Vier von zehn Befragten meinten beispielsweise, dass Antibiotika auch gegen Viren wirken. Drei Viertel wünschen sich bei einer hartnäckigen Erkältung ein Antibiotikum. „Erkältungen werden aber in 80 bis 90 Prozent aller Fälle von Viren verursacht, ohne dass es eine zusätzliche bakterielle Besiedlung gibt“, so Glaeske.

Die Über- und Fehlversorgung werde gerade während der Erkältungszeit besonders deutlich, so die DAK-Studie. Die problematische Erwartung der Patienten beeinflusse offenbar auch das Verschreibungsverhalten von Ärzten, hieß es weiter. Ärzte wüssten zwar in der Regel um die Einsatzgebiete der Wirkstoffe gegen Bakterien. Um die erkälteten Patienten zu beruhigen, verschrieben sie aber dann doch ein Antibiotikum. Der DAK-Vorsitzende Professor Dr. Herbert Rebscher forderte Ärzte und Patienten zu einem verantwortungsvollerem Umgang mit Antibiotika auf.

Die Folgen des häufigen Antibiotikaeinsatzes werden laut DAK vor allem in Krankenhäusern sichtbar: Die Analyse der Klinikdaten habe gezeigt, dass bei immer mehr Patienten Krankenhauskeime nachgewiesen wurden. Von einer Million Versicherter, die 2013 in Krankenhäusern behandelt worden, trugen demnach knapp 20.000 einen resistenen Keim in sich. 2010 waren es 15.000 Versicherte.

Dr. Frank Kipp, leitender Krankenhaushygieniker am Universitätsklinikum Münster, fügte hinzu: „Selbst gegen Reserveantibiotika gibt es aufgrund des unkritischen Umgangs mittlerweise Resistenzen.“ Viele Infektionen ließen sich leicht vermeiden: „Um die Keimausbreitung zu stoppen, ist die konsequente Umsetzung der Hygieneregeln und die Investition in die Ausbildung qualifizierter Fachleute wichtig.“

Die DAK fordert neben bundesweit einheitlichen Hygienestandards eine Vernetzung der Krankenhäuser, eine bessere Aufklärung der Öffentlichkeit, eine Leitlinie für den Einsatz von Antibiotika im ambulanten Bereich und mehr Forschung an neuen Wirkstoffen.

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