Arzneimittelrückruf

Keine Klarheit bei Rückruf-Retax

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Berlin -

Verliert ein Arzneimittel seine Verkehrsfähigkeit, darf es in der Apotheke nicht mehr abgegeben werden. Was nach einer simplen Regel klingt, führt in der Praxis zu Problemen. Denn es ist nicht abschließend geklärt, ab welchem Zeitpunkt Apotheken ein Arzneimittel nicht mehr vertreiben dürfen. Selbst das Bundesgesundheitsministerium (BMG) erklärt auf Nachfrage, dass es keine verbindliche Regelung gibt.

Nach Ansicht des BMG ist entscheidend, ob Apotheker bei der Abgabe der nicht mehr verkehrsfähigen Arzneimittel gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen haben. „Das ist der Fall, wenn sie von dem Widerruf der Zulassung wussten oder hätten wissen müssen“, heißt es aus dem Ministerium.

Konkreter wird das Haus von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nicht: „Wann Apotheker Kenntnis von der fehlenden Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels hätten haben müssen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und muss daher für jeden Einzelfall gesondert geprüft werden.“

Gleich mehrere Einzelfälle gab es beim Rückruf der gängigen Präparate mit Metoclopramid (MCP). Mindestens zwei Krankenkassen haben die Abgabe von MCP-Tropfen unmittelbar nach Bekanntwerden des Rückrufs retaxiert: Bekannt sind Fälle bei der DAK Gesundheit und der AOK Sachsen-Anhalt. Die Kassen stützen sich bei ihren Absetzungen auf eine entsprechende Information des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 15. April. Ab dem Folgetag wurde retaxiert.

Das BfArM hatte nach einer Risikobewertung der Monopräparate auf europäischer Ebene die Zulassungen widerrufen. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) wurde am 10. April informiert, genauso wie die Hersteller, an die sich der Bescheid formal richtet und die diesen umsetzen müssen.

Die Apotheken erhielten die offizielle AMK-Meldung eine Woche später über die Standespresse. Einen Rote-Hand-Brief gab es nicht, weil das BfArM angeblich keine Ausnahme von der vorgesehenen postalischen Zustellung machen wollte. Weil der reguläre Weg die Zeit gegenüber der normalen AMK-Meldung nicht verkürzt hätte und ohnehin keine Schnellinformation vorgesehen war, winkte die Industrie ab.

Allerdings informierte das BfArM am 15. April auf seiner Homepage über den Rückruf. Dieses Datum war aus Sicht der retaxierenden Kassen maßgeblich. Andere große Kassen wie die Techniker Krankenkasse, die Barmer GEK oder die KKH haben in diesem Zeitraum keine Absetzungen vorgenommen.

Juristen auf Seiten der Apotheker bezweifeln auch, dass die DAK und die AOK mit ihren Nullretaxationen durchkommen. Der Apotheker müsste unter Annahme eines normalen Geschäftsverlaufs zumindest die Möglichkeit gehabt haben, Kenntnis von dem Rückruf zu erlangen. Sie seien aber nicht verpflichtet, vor jeder Abgabe die Internetseiten des BfArM zu konsultieren.

Retaxationen seien demnach vermutlich unberechtigt, wenn der Apotheker ein angemessenes Maß an Sorgfalt walten gelassen habe. Gegebenenfalls könnten sich die Apotheker bei Retaxationen sogar beim Hersteller schadlos halten, wenn dieser nicht rechtzeitig informiert habe.

Das BfArM kann mangels Zuständigkeit keine Aussage darüber treffen, welcher Termin mit Blick auf den Rückruf maßgeblich war. Die Bonner Behörde erklärte auf Nachfrage nur, wann die Stufenplanbeteiligten – dazu zählt die AMK – informiert wurden, nämlich an besagtem 10. April.

Das BfArM wird einem Sprecher zufolge in Retaxierungsverfahren normalerweise auch nicht beteiligt und dürfe keine Einschätzung abgeben. Das gelte auch „für Fragen zu Apotheker treffenden Sorgfalts- oder Informationspflichten, für die Frage des Vollzuges der Widerrufsentscheidung und auch für die Überwachung der Apotheken“, so der BfArM-Sprecher. Diese Aspekte fielen alle in den Zuständigkeitsbereich der Behörden der Bundesländer.

Die ABDA kann ebenfalls keine belastbaren Aussagen dazu treffen, ob die BfArM-Information oder die AMK-Meldung für die Apotheker bindend ist. Zu der Frage seien Verfahren anhängig, so eine Sprecherin. Details zu den Verfahren gibt es aus der Jägerstraße nicht: „Wir prüfen den Sachverhalt noch, deshalb können wir dazu derzeit nicht mehr sagen“, so die Sprecherin. Retaxierten Apothekern wird geraten, sich an ihren Landesverband zu wenden.

Doch es geht um mehr als um Retaxationen. Die Abgabe eines nicht verkehrsfähigen Arzneimittels ist nicht nur für die Abrechnung relevant, sondern auch für haftungs- und letztlich strafrechtliche Fragen.

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