Arzneimittelkriminalität

Harvoni-Fälschung: 3 Packungen, 100 % Wirkstoff

, Uhr
Berlin -

Im Fall der gefälschten Harvoni-Packungen verdichten sich die Hinweise, dass es sich um einen illegalen Import von Originalware handelt, die nicht für den europäischen Markt bestimmt war. Der Hersteller Gilead bestätigte gegenüber APOTHEKE ADHOC, dass die untersuchten Proben der Spezifikation entsprachen. Heißt: Es gab keine Abweichungen in der Zusammensetzung gegenüber dem Original. Verunreinigungen wurden nicht festgestellt.

Einem Patienten in Nordrhein-Westfalen war zuerst aufgefallen, dass die Tabletten nicht wie üblich orange, sondern weiß waren. Er wandte sich am vergangenen Mittwoch an seine Apotheke, die den Fall meldete. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) forderte die Apotheken am Donnerstagabend auf, die Farbe der Filmtabletten zu prüfen und im Falle einer Fälschung die üblichen Meldewege einzuhalten. Parallel nahm die Regierung von Oberbayern als die für den Hersteller zuständige Aufsichtsbehörde den Fall an sich.

Parallel kam es in einer Berliner Apotheke zu einer Reklamation. Ein verunsicherter Patient brachte eine Packung zurück, die ihm wenige Minuten zuvor ausgehändigt worden war. Eine Tablette hatte er bereits eingenommen. Potentiell gefälschte Ware wurde von weiteren Apotheken in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen bemerkt und an die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) gemeldet. Die Anzahl der betroffenen Apotheken liegt derzeit im mittleren einstelligen Bereich; laut Regierung von Oberbayern kann nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Apotheken betroffen sind. Die Identifizierung der potentiellen Fälschung geschah jeweils durch die Patienten.

Die Apotheke in Berlin hatte die Packung über Phoenix bezogen. Der Großhändler bestätigte auf Nachfrage, von einem Kunden über die Fälschung unterrichtet worden zu sein. Man habe unmittelbar gehandelt und alle Packungen dieser Charge vorsorglich aus dem Lager und in Quarantäne genommen. In Abstimmung mit den Überwachungsbehörden habe man die Apothekenkunden darüber informiert, hieß es. Laut der Regierung von Oberbayern sind mehrere deutsche Großhändler involviert. Die Lieferkette wird derzeit unter Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten untersucht. Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen sind.

Damit lagen drei unterschiedliche Proben vor – zwei aus den beiden Apotheken und ein weiteres Muster von Phoenix. Diese wurden sowohl vom Hersteller als auch durch die amtliche Arzneimitteluntersuchungsstelle am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) untersucht; die Untersuchungen hier sind noch nicht abgeschlossen.

Bei Gilead dürfte man über das Ergebnis weniger überrascht gewesen sein: Ein Sprecher bestätigte, dass außerhalb von Europa weiße statt orangefarbene Tabletten vertrieben würden. In welchen Ländern und aus welchem Grund, wollte er nicht verraten. Als Schutz vor Importen hat die unterschiedliche Farbe jedenfalls ihren Zweck besser erfüllt als jede andere Kennzeichnung – auch wenn dies zu massiver Verunsicherung geführt hat.

Gilead hat die gesamte betroffene Charge 16SFC021D zurückgerufen, da es sich um eine real existierende Bezeichnung handelte. Als Verfallsdatum war auf den Fälschungen 06/2018 angegeben. Die gefälschten Tabletten unterscheiden sich vom Original nur durch die weiße Farbe. Die Verpackung der Tabletten sowie die Tablettenform und -prägung entsprechen dem Original. Der Rückruf wird bis auf Apothekenebene, Großhandelsebene und Patientenebene durchgeführt. Die Apotheken werden aufgefordert, Packungen der genannten Charge sofort unter Quarantäne zu stellen. Soweit möglich, sollen Patienten, die Harvoni der genannten Charge erhalten haben, kontaktiert und um Rückgabe der betroffenen Packungen gebeten werden.

Patienten, die Harvoni einnehmen und feststellen, dass es sich dabei um weiße Tabletten handelt, sollen diese keinesfalls einnehmen und sich an ihren behandelnden Arzt oder ihren Apotheker wenden, um das weitere Vorgehen mit ihm abzusprechen. Das BfArM wies darauf hin, dass für den Austausch eine ärztliche Verschreibung bei der Apotheke vorgelegt werden muss.

Nun versuchen die Behörden, den Lieferweg nachzuvollziehen. Dabei wird Phoenix seine Einkaufsquellen offen legen müssen. Erst vor zwei Wochen hatte das BfArM vor einer Fälschung von Epclusa gewarnt, die womöglich aus derselben Quelle stammte. Das Medikament mit den Wirkstoffen Sofosbuvir und Velpatasvir stammt ebenfalls von Gilead und wird wie Harvoni zur Behandlung von Hepatitis C eingesetzt. Hier wurde die illegal produzierte Ware bei einem Großhändler entdeckt.

Diese Fälschung kann jedoch schnell erkannt werden. Auf dem Umkarton ist „Deutchland“ statt „Deutschland“ genannt. Auf Umkarton und Plastikflasche ist Sofosbuvir klein geschrieben, außerdem werden bei der Angabe der Chargenbezeichnung die Abkürzungen „Ch./s.“ oder „CH./s.No:“ statt „Ch.B.:“ genutzt. Apotheker, Großhändler und Patienten wurden gebeten, ihre Bestände auf entsprechende Abweichungen zu überprüfen und entsprechende Verdachtsfälle an das BfArM zu melden. Derzeit gebe es noch keinen Hinweis, dass die Fälschung auf den deutschen Markt gelangt sei. Neue Erkenntnisse gibt es einem BfArM-Sprecher zufolge nicht.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

APOTHEKE ADHOC Debatte