Österreich

Drei von vier Patienten ruhig gestellt

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Berlin -

In Österreich stehen die Alten- und Pflegekräfte derzeit in der Kritik: Ihnen wird vorgeworfen, Patienten massenhaft mit Psychopharmaka ruhig zu stellen. Der Bundesverband der Alten- und Pflegeheime verwehrt sich gegen die Kritik der Volksanwaltschaft.

Bei den Kommissionsbesuchen seien hohe Verschreibungsraten von Psychopharmaka bei geriatrischen Bewohnern aufgefallen, so Volksanwalt Günther Kräuter. Laut einer britischen Studie würden in Österreich rund 75 Prozent der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen medikamentös sediert oder ruhig gestellt. In Deutschland seien es nur 52 Prozent, schreibt die Wiener Zeitung. Zudem habe nicht in allen Fällen die Notwendigkeit bestanden.

Die Kommissionen deckte Fälle auf, in denen Medikamente ohne entsprechend nachvollziehbare Diagnose „bei Unruhe“ verordnet wurden, schreibt die Volksanwaltschaft in ihrem Jahresbericht. Bei fast allen überprüften Fällen habe es in der Dokumentation im Heim keinerlei Hinweise auf ein ärztliches Aufklärungsgespräch oder die Zustimmung des Patienten gegeben.

Vielfach sei auch nicht erkannt worden, dass es sich bei der Abgabe von sedierenden Medikamenten zur Ruhigstellung um freiheitsbeschränkende Maßnahmen handeln könnte oder dass es nebenwirkungsärmere Medikamente gäbe. Dementsprechend seien auch die Vertreter der Bewohner nicht informiert worden. „Eine dramatische Entwicklung in menschenrechtlicher Sicht“, so Kräuter.

Die Kommissionen habe dies vielfach beanstandet und eine vierteljährliche regelmäßige Kontrolle der Medikamentenpläne zur Herstellung einer größeren Arzneimittelsicherheit angeregt.

Der zu unkritische Umgang mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln habe gravierende negative gesundheitliche Folgen und schränke die Mobilität und Lebensqualität älterer Menschen deutlich ein. Würden nicht geeignete oder zu viele Medikamente gleichzeitig und überdosiert abgegeben, könnten schwere Verhaltensprobleme und Beschwerden resultieren, schreibt die Volksanwaltschaft.

Die Wechselwirkungen von Psychopharmaka seien schwer einzuschätzen und manche Medikamente könnten sich bei zu hoher Dosierung im Körper zunehmend anreichern, da sie bei älteren Personen nicht so schnell abgebaut würden.

Den Hauptgrund nicht nachvollziehbarer Verordnungen und Dosierungen sah die Kommissionen in fehlenden psychiatrischen Fachexpertisen. So sei die Einbeziehung von Konsiliarpsychiatern von Allgemeinmedizinern in den Heimen abgelehnt worden.

Eine regelmäßige Kontrolle der Medikamentenliste auf Notwendigkeit, Interaktionen, Nebenwirkungen und ähnlichem sollte selbstverständlich sein, fordert die Volksanwaltschaft. Die individuellen Bedürfnisse sowie die jeweilige Situation sogenannter „schwieriger Patienten“ verlangten große Aufmerksamkeit und Sensibilität.

Der Bundesverband der Alten- und Pflegeheime Österreichs verwehrt sich gegen die Vorwürfe: Psychopharmaka würden in Pflegeheimen ausschließlich nach ärztlicher Anordnung verabreicht. In rund 880 Heimen in Österreich seien rund 42.000 Pflege- und Betreuungspersonen tätig, die rund 72.000 Bewohnerinnen betreuten. „Wenn in Österreich also zu viele Medikamente verabreicht werden sollten, so ist dies mit den Ärzten zu diskutieren!“ betont Markus Mattersberger, Präsident des Bundesverbandes der Alten- und Pflegeheime Österreichs.

Es sei ein Faktum, dass rund 70 Prozent der Bewohner unter einer kognitiven Störung litten. Dass diese Krankheitsbilder entsprechend therapiert würden, sei Aufgabe der Medizin. Die durchschnittliche Anwendung von Psychopharmaka in Pflegeheimen unterscheide sich nur geringfügig von der Gesamtpopulation von Menschen über 75 Jahren.

Die Sozial-Landesrätin Barbara Schwarz verteidigte die Pflegeheime: „Diese Art von Pauschalverurteilungen sind höchst unzulässig und gegenüber dem Pflegepersonal im äußersten Maße ungerecht.“ Die Missstände bei den festgestellten Einzelfällen in Österreich seien selbstverständlich abzulehnen und müssten behoben werden.

Die Volksanwaltschaft prüft im verfassungsgesetzlichen Auftrag den Schutz der Menschenrechte. Gemeinsam mit sechs regionalen Kommissionen werden Einrichtungen kontrolliert, in denen es zum Entzug oder zur Einschränkung der persönlichen Freiheit kommt oder kommen kann, etwa Justizanstalten oder Pflegeheimen. So sollen Risikofaktoren für Menschenrechtsverletzungen frühzeitig erkannt werden.

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