Arzneimittelstudien

DDR: Pharma-Labor des Westens?

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Berlin -

Jahrelang haben westliche Pharmahersteller Arzneimittelstudien in der DDR durchführen lassen. 303 klinische Untersuchungen zwischen 1980 bis 1990 gelten derzeit als gesichert, bei weiteren 70 Aufträgen fehlen entsprechende Unterlagen als Nachweis. Insgesamt waren 84 Hersteller beteiligt. Das zeigen erste Untersuchungen einer Forschergruppe an der Berliner Charité. „Wir wollen herausfinden, ob die DDR Werkbank des Westens war“, sagt Projektmitarbeiter Dr. Pascal Grosse.

Knapp die Hälfte der Auftraggeber waren westdeutsche Hersteller, das Groß der Aufträge kam aus der Bundesrepublik. Auch andere Pharmafirmen ließen in der DDR forschen, viele kamen aus westeuropäischen Staaten, acht aus den USA und zwei aus Japan. Die Studien wurden flächendeckend im ganzen Land durchgeführt, zwei Drittel an akademischen Einrichtungen, ein Drittel auf Bezirks- und Kreisebene, etwa in Polikliniken.

Dabei hätten sich die Standards an internationalen Normen orientiert. So durften Medikamententests nur vorgenommen werden, wenn der Proband durch den Arzt ausreichend über Bedeutung, Umfang und Ablauf der Untersuchungen und über mögliche Nebenwirkungen und Risiken aufgeklärt wurde. Diese „aufgeklärte Freiwilligkeit“ nachzuprüfen, sei allerdings schwierig.

Die Anzahl der durchgeführten Studien nahm im Verlauf der 1980er Jahre zu. Noch 1990, als sich das System bereits auflöste, wurden 82 Studien durch den zentralen Gutachterausschuss gebilligt. Die Studien fanden in verschiedensten Bereichen statt: So wurden Zytostatika und Infusionslösungen ebenso geprüft wie Phytopharmaka und Nahrungsergänzungsmittel, Diagnostika und Medizinprodukte sowie Tierarzneimittel und Präparate aus der Zahnheilkunde.

Die DDR habe sehr viel bessere Rahmenbedingungen für klinische Studien geboten als die Bundesrepublik. Deswegen hätten westdeutsche Pharmahersteller klinische Studien gern im Nachbarland durchführen lassen, so eine Überlegung der Forscher. In der BRD seien die Antrags- und Durchführungsbedingungen sehr aufwendig gewesen, in der DDR dagegen zentralistisch organisiert.

Das Beratungsbüro für Arzneimittel und medizintechnische Erzeugnisse im Ministerium für Gesundheitswesen koordinierte zentral alle eingehenden Aufträge. „Möglicherweise haben die Firmen im zentralistisch-organisisierten DDR-System genau die richtigen Rahmenbedingungen gefunden“, sagt Projektleiter Professor Dr. Volker Hess. Als weiteres Motiv sei denkbar, dass die Hersteller die DDR als Einfallstor für osteuropäische Märkte sahen.

Das Charité-Projekt läuft seit Juni 2013 und soll im Dezember nächsten Jahres beendet werden. Dann werden auch genauere Ergebnisse über Motivlagen der Hersteller und die Freiwilligkeit der Probanden vorliegen sowie nähere Erkenntnisse dazu, ob die Studien sach- und normgerecht durchgeführt wurden oder ethisch fragwürdig waren.

Die Forscher werten Aktenbestände aus Archiven von Firmen, vom Beratungsbüro und vom zentralen Gutachterausschuss aus, sowie von Krankenhäusern und dem Ministerium für Staatssicherheit. Außerdem sollen Zeitzeugen miteinbezogen bewerden.

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