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Wie den Apothekern (fast) Weihnachten gestohlen wurde

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Berlin -

Wünsche gehen nicht immer in Erfüllung. Aber dass es ausgerechnet wenige Tage vor Weihnachten dermaßen fett kommt, das hätte nicht sein müssen. Plötzlich taucht einer auf, weder Weihnachtsmann noch Christkind, und verdirbt einem das Fest. Josef Hecken ist sozusagen der Grinch des Apothekerjahres 2014. Der Mann reitet entspannt auf Aut-idem-, Abmahn und BfArM-Welle. Nicht schön. Und auch ansonsten war die Woche so trüb wie das Wetter.

Manch einer sieht sie noch immer Seite an Seite sitzen: Josef Hecken, den damaligen Justiz- und Gesundheitsminister aus dem Saarland, und den früheren DocMorris-Zampano Ralf Däinghaus. Im Sommer 2006 nahmen die beiden die deutschen Apotheken und deren Fremdbesitzverbot ins Visier. Seitdem ist viel Wasser die Saar und auch die Spree hinabgeflossen. Hecken wurde nie belangt für seinen offenen Rechtsbruch, stattdessen ging es voran auf der Karriereleiter.

Die Apotheken haben ihm aber nie verzeihen. Warum auch? Politiker, die das Recht mit Füßen treten und dann noch belehrend den Finger heben, braucht es nicht, schon gar nicht in verantwortungsvollen Ämtern. Doch ABDA und Deutscher Apothekerverband (DAV) sahen das anders. Hecken wurde wieder hofiert, als mächtiger Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses eingeladen. Die schlimmen alten Zeiten schienen vergessen.

Doch in der vergangenen Woche war er wieder da. Der alte Josef Hecken. Und er zeigte der Apothekerschaft mehr als nur eine lange Nase. Er zeigte die Fratze des allzu oft ungerechten Systems. Eigentlich unparteiisch, ließ Hecken die breite Öffentlichkeit wissen, die Apotheken sollten doch das lamentieren lassen und ihre Arbeit machen. Heckens Tenor: Die Apotheken verunsichern die Patienten.

Niveauloser ging es eigentlich nicht, schon gar nicht in der aktuellen Lage und so kurz vor Weihnachten. Hecken kanzelte die Apotheken ab. Und deren schweigende Lobbyorganisation ABDA in Berlin gleich mit. In der Jägerstraße war man wohl dermaßen perplex, dass man das Reagieren vergaß. Oder schon in den Ferien. Hecken durfte also die Apotheker in Sachen Substitutionsliste an die Wand stellen. Dabei war es der G-BA-Chef, der Fristen zur Umsetzung vergessen hatte. Der ewige Schnellschütze Hecken hatte gezogen, gezielt, getroffen.

Nur der nordrheinische Kammerpräsident Lutz Engelen wagte sich ein Stück raus aus der Ecke und reklamierte die dramatischen Schwierigkeiten beispielsweise bei L-Thyroxin. Erneut war es eine Landesorganisation, die sich vor die eigenen Mitglieder stellte. In der Woche zuvor hatte Magdalene Linz aus Niedersachsen den Schildknecht gegeben.

Als Eingreiftruppe könnte man derzeit auch die Freie Apothekerschaft (FA) verstehen. Während der Expopharm in München sammelte der Apothekerzusammenschluss fleißig Neumitglieder ein. Nun meldete sich die Gruppe zu Wort und kritisierte nicht nur die aktuellen Geschehnisse, sondern auch die ABDA scharf. Die Apotheker müssten laut FA für Politik und Kassen die Kohlen aus dem Feuer holen – und blieben dabei womöglich auf den Kosten sitzen. Derweil verschanze sich die ABDA unter dem Weihnachtsbaum. „Auch so kann man eine heile Arzneimittel-Welt vorspielen“, kritisiert die Gruppe, die zuletzt mehrfach gegen den Privatverkauf von Medikamenten bei Ebay vorgegangen war.

Als wenn nicht schon genug Ungemach den Apothekern die Vorweihnachtszeit verhagelt, kündigte die Novitas BKK jetzt für zahlreiche Betriebskrankenkassen und die BIG direkt gesund an, ab Januar auf Null zu retaxieren, wenn sich Apotheker nicht an die Rabattverträge halten. Dazu ist nach einer Information des Hessischen Apothekerbandes die Rezeptprüffirma Protaxplus angewiesen worden. „Mit denen können wir es ja machen“, lautet die Devise auch für das neue Jahr.

Ganz anders als die BKK-Kontrollettis geht die private AXA Krankenversicherung vor: Die hatte einen Versicherten in die Apotheke zurück geschickt, damit dieser sich den Differenzbetrag zum günstigsten gelisteten Arzneimittel auszahlen lässt. Wenn's nicht so beknackt wäre – man müsste sich Schütteln vor Lachen.

Weder Schütteln noch Lachen geht aber in Sachen BfArM. Denn die Behörde ist immer noch nicht in der Lage, angesichts der gefälschten Zulassungen eine gerade Furche zu ziehen. Täglich auf's Neue stutzt oder verlängert das BfArM seine Liste betroffener Zulassungen. Die Unternehmen wehren sich. Das Spiel geht seit zwei Wochen so. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Mit Betapharm hat bislang lediglich ein einziger betroffener Hersteller auch tatsächlich seine Präparate zurückgerufen. Zum Ende der Woche setzte sich auch Mylan gegen das BfArM durch – auch diese Präparate sind nun wieder verkehrsfähig.

Das BfArM jedenfalls will weiter einmal täglich die neuesten Entwicklungen kund tun. Auch über die Feiertage. Deshalb rät man den Apothekern, weiter täglich auf die Website zu gehen oder die Meldungen als RSS-Feed abonnieren.

Gar nicht gemütlich geht es für den Apotheker Hartmut Wagner aus Schwäbisch-Hall und seinen Leipziger Anwalt Christoph weiter. Nach dem überraschend schnellen Ende der Abmahnwelle aus Schwäbisch Hall rollt der juristische Gegenangriff an: Bei der Staatsanwaltschaft Leipzig sind zahlreiche Strafanzeigen gegen den Apotheker und den Advokaten eingegangen. Und es werden immer mehr. Schadensersatzansprüche werden vermutlich wenige abgemahnte Apotheker stellen. Da Wagner seine Brücken-Apotheken geschlossen hat, erwarten viele Betroffene, dass nichts mehr zu holen ist. Fraglich ist, wer auf den Anwaltskosten sitzen bleibt.

Boehringer Ingelheim nimmt die Buscopan-Zäpfchen vom Markt. Weil die Zulassung erlischt, sind die Suppositorien mit 10 mg Butylscopolamin ab 1. Januar nicht mehr verkehrsfähig. Für bestimmte Patientengruppen entsteht damit eine Lücke.

Dass sich Tricksereien nicht auszahlen, spüren ein Apotheker und eine Vertriebsfirma aus Bayern, die mehr als 1,1 Millionen Euro an die AOK Hessen zahlen müssen. Die beiden Geschäftspartner hatten Preisunterschiede zwischen den Arzneilieferverträgen ausgenutzt und Patienten aus Hessen über den lukrativeren bayerischen Vertrag beliefert. 2009 wurden sie bereits zu Haftstrafen und zur Rückerstattung ihres Gewinns verurteilt. Nun sollen sie alles zurückzahlen.

Im Jahresschlussspurt hat auch der Bundesrat am Freitag getagt. Die Länderkammer beschloss Änderungen zu T-Rezepten, den notwendigen Angaben auf Muster-16-Rezepten und der Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV). Apotheker müssen die Durchschriften der T-Rezepte künftig nicht mehr vierteljährlich, sondern wöchentlich an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schicken. Außerdem droht ein weiteres Kreuz auf den Rezepten.

Wenigstens in einem zentralen Punkt erleben Apotheker weder Überraschungen noch neues Leid: Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) brachte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) am Mittwoch durchs Kabinett. Die Reform bringt keine Verbesserung der Honorierung. Und so bleibt die Hoffnung, dass der Grinch wenigstens Weihnachten nicht gestohlen hat. Und für ein paar Tage Ruhe gibt oder ganz verschwindet und nicht mehr wiederkehrt. Das wäre ein feines Geschenk.

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