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Große Klappe, kleine Klappe

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Berlin -

Hermann Gröhe ist nicht Philipp Rösler. Er ist nicht der Bambus, der sich wiegt und deshalb nicht bricht. Er ist die deutsche Eiche, die steht, auch wenn der Sturm der weiblichen Selbstbestimmung losbricht. Doch nach der Entscheidung der EMA zur Pille danach sagte Gröhe plötzlich Ja zur Notdienstklappe. Auf die Apotheker wartet eine neue Debatte – in der sie gewinnen, aber auch verlieren können.

Es war nicht die Gröhes Woche. Zunächst verliert er in einer Kampfabstimmung um den CDU-Bezirksvorsitz Niederrhein – und dann muss er seine bislang harte Haltung gegen die „Pille danach“ aufgeben. Noch gar nicht richtig im Amt, hatte er seine wertkonservative Haltung Anfang des Jahres eigentlich zum Leitfaden seiner Gesundheitspolitik gemacht.

Doch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) machte Gröhe einen Strich durch die Rechnung: EllaOne (Ulipristal) soll zukünftig auch ohne Rezept abgegeben werden dürfen. Wie will man da die Rezeptpflicht für den älteren Wirkstoff begründen, der noch dazu deutlich preiswerter ist? Gröhe hätte wissen können, dass er bei EllaOne nichts zu sagen hat. Doch er mauerte und blockierte Gesetze. Nun will er ganz genau prüfen und abwägen. Eine Wahl hat er nicht.

Hatte Gröhe, seit 1997 Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und jahrelanges Ratsmitglied, kürzlich Apothekern deren Kompetenz für die Abgabe der „Pille danach“ absprechen wollen, muss er nun eine 180-Grad-Wende machen. Und das wenige Tage vor dem CDU-Bundesparteitag und dem geplanten Aufstieg ins Präsidium seiner Partei. Weil er also keine Schwäche zeigen darf in einer Frage, die für Konservative auch im Jahr des Herrn 2014 noch überraschend bedeutsam ist, muss er wenigstens so tun, als ob er die Stellung hält. Gemeinsam sollten Frauenärzte, Apotheker und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an einen Tisch und Beratungsleitlinien festlegen, wünscht sich Gröhe.

Die Apotheker reagieren in Foren, auch bei APOTHEKE ADHOC, reichlich genervt. BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer gab knapp zu Protokoll, ohne Rezeptpflicht könne man den Patientinnen noch schneller weiterhelfen. Ansonsten hält man sich in der Jägerstraße zurück. Schon bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss vor anderthalb Jahren hatte die ABDA sich um eine Stellungnahme gedrückt. Das Thema eigne sich nicht für Verbandspolitik, so Kiefer damals. Auch aus finanzieller Sicht sei ein OTC-Switch für die Apotheker ohne Auswirkungen.

Später stimmte der Apothekertag für die Freigabe, doch gegen Gröhe Position beziehen wollten die Apotheker auch wieder nicht. Die Pille danach ist in den ehrwürdigen ABDA-Mauern seit jeher eigentlich keins. Mit Sozialpolitik und moralisierenden Debatten wollen die Standesfürsten möglichst wenig zu tun haben; man meidet die Küche aus Angst vor der Hitze. Das Thema hat es jedenfalls in sich: Im Kern geht es um ideologische Positionen – und um die grundsätzliche Frage, wie viel Entscheidungshoheit die Ärzte abgeben müssen.

Weil die Apotheker so zurückhaltend sind, ist man in den Medien gar nicht so sicher, ob man ihnen den neuen „Job“ zutrauen kann oder will. In Kölner Stadtanzeiger und Frankfurter Rundschau etwa war zu lesen: „Man stelle sich den Vorgang nur einmal konkret vor: Der Herr Apotheker murmelt irgendetwas von einer nicht umkehrbaren Entscheidung oder vom Schutz des ungeborenen Lebens oder der Möglichkeit einer Freigabe zur Adoption, während am Nebentresen Nasentropfen, Schmerzmittel oder Betablocker geordert werden? Eine solche Situation ist bizarr. Sie muss von den Frauen als entwürdigend empfunden werden.“

Der Mann hat’s nicht begriffen, mag man denken. Deutschland wird immer noch zu wenig bewegt von den Bedürfnissen der Frauen, denen in Notsituationen schnell und unbürokratisch geholfen werden muss. Deutschland steckt gerade bei solchen Themen fest zwischen Konservativen und Bürokraten, die es eigentlich besser wissen könnten.

So werden die kommenden Wochen zeigen, ob die Apotheker die Chance nutzen, sich endlich an die Spitze solcher Debatten zu setzen. Nicht moralisierend, sondern als aktive Heilberufler. Wer den Anspruch hat, der einzig wahre Arzneimittelexperte im Gesundheitswesen zu sein, der muss eine Position zu allen Arzneimittelthemen haben. Auch zu denen, die ins Zentrum gesellschafts- und sozialpolitischer Debatten rücken.

Die vielen sinnfremden und von blamabler Ahnungslosigkeit gekennzeichneten Kommentare der vergangenen Woche zeigen: Aufklärung tut Not. Hier sind Apotheker gefordert, in Zukunft mehr denn je. Die EMA hat das erkannt, Gröhe weiß es auch. Perspektivpapiere zu schreiben ist das eine. Perspektiven zu entwickeln und in der Realität zu leben das andere.

Von den Ärzten darf man nicht allzu viel erwarten, wenn es um Apotheken geht – das wird derzeit klarer denn je. In Baden-Württemberg wird der ärztliche Notdienst neu aufgestellt und dabei erheblich ausgedünnt – die Zeche dafür sollen Patienten und Apotheken zahlen: Die Ärzte wollen weniger Service anbieten, um dies zu kaschieren aber Arzneimittel dispensieren. Den Patienten sei die Apotheke nicht zuzumuten, so der Tenor. Vielleicht aber sind auch gierige Ärzte eine Zumutung?

Derweil: Ärztlich induzierte Mehrarbeit dürfen Apotheker nun sogar offiziell auf Bitten der AOK Hessen verrichten. Denn die Mediziner verschreiben Lucentis weiter entspannt auf Privatrezept, obwohl intravitreale Lösungen bereits seit Oktober als Kassenleistung abgerechnet werden können. Rosa Rezept bitte, fordert die Kasse.

Während anscheinend Ärzte manchmal die Selbstsicherheit ausstrahlen, alles zu dürfen oder wenigstens in diesem Glauben gelassen zu werden, dürfen die Krankenkassen dann doch noch mehr. Zum Beispiel beim Datenschutz. Da mosern die Datenschützer weiterhin in Richtung der Rechenzentren, stellen aber gleichzeitig klar: Während Apotheker und ihre Dienstleister hochsensibel sein müssen, gilt das für Krankenkassen nicht. Die dürfen dank Sozialgesetzbuch Dritte beauftragen, wenn ihnen das günstiger erscheint. So einfach kann die Welt sein.

Auch der GKV-Spitzenverband ist zu dem Schluss gekommen, dass bei Sterilrezepturen nicht das Rezeptdatum, sondern der Zeitpunkt der Herstellung die relevante Größe ist. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) widerspricht zwar. Aber irgendwie hat man das Gefühl zu wissen, wie die Sache am Ende ausgeht.

Wenigstens hat die Techniker Krankenkasse (TK) kleinlaut ihre Retaxationen wegen vermeintlicher Verstöße bei der Rezepturherstellung zurückgenommen. Und die Primärkassen in Hamburg wollen auf Nullretaxationen verzichten. Weitere gute Nachrichten: Bei Pannen wegen der neuen IK-Nummern wollen die Kassen ein Auge zudrücken. Und die Aut-idem-Liste wächst. Ist doch auch schon mal was.

Während manche Dinge also ad acta gelegt werden können, schwelt der Streit um die Rolle der Reimporte bei den jüngsten Fälschungsskandalen weiter. Das Paul-Ehrlich-Institut warnt offiziell vor illegal aus Spanien importierten Arzneimitteln, dagegen wehrt sich der Verband der Arzneimittelimporteure (VAD) gegen die zunehmende Verunsicherung der Öffentlichkeit. Grauware sei nun mal keine Fälschung, stellen die Unternehmen klar. Ob das die Front beruhigt?

Die scheidende sächsische Verbandschefin Monika Koch wird Ehrenvorsitzende, Heinz-Günter Wolf in Niedersachsen ebenso. Die ABDA will Geld für qualifizierte Präventionsapotheken, hat aber noch immer mit Rissen im Apothekerhaus zu tun. Der BPI fragt derweil bei Mitgliedern der anderen Pharmaverbände deren Zufriedenheit ab. Unruhige Zeiten erwartet Hamburgs Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen. Dem Pharmazeutischen Institut in der Hansestadt könnte das Aus drohen, vermutet Siemsen. Denn einige wichtige Stellen werden nicht mehr besetzt. Das Institut droht auszubluten.

Mehr frisches Blut, aber nur weibliches, will die Bundesregierung, angetrieben von Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD), in den Aufsichtsräten börsennotierter deutscher Unternehmen sehen. Die Liste der Unternehmen ist lang, die nicht auf die ab 2016 geforderte Frauenquote von einem Drittel kommen. Auch viele Gesundheitskonzerne werden nachbessern müssen, die aber abwiegeln.

Dabei würde ein Blick in die deutsche Apothekenlandschaft helfen. Überall Frauen, die längst das Sagen haben. Und häufig auch die Chefin sind. Manchmal kann man halt auch von den Apotheken lernen.

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