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Lebenslängliche Geiselhaft

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Berlin -

Eine Apothekerin sitzt erschöpft an ihrem Schreibtisch im Büro. Die Verhandlungen waren hart, der Großhandelsvertreter hat keine Stellung kampflos geräumt. Nach viereinhalb Stunden steht das Paket. Es ist dasselbe Paket wie mit dem anderen Großhändler gestern, aber wen wundert das noch. 2 Prozent noch auf Rx, solange der durchschnittliche Packungspreis stimmt, und 1,5 Prozent Skonto, wenn die Ware einen Tag vor Herstellung bezahlt wird – mehr war nicht drin in dieser Woche.

Die Apothekerin will sich nach dem Verhandlungsmarathon einen Kaffee holen, aber eine PTA sagt, in der Offizin stünden zwei Polizisten. Die beiden Herren sind freundlich, aber bestimmt. Ob sie nicht wisse, dass sie sich mit 3,5 Prozent Gesamtkondition strafbar mache? Skonto sei Rabatt und jeder Verstoß gegen das Preisrecht falle unter das Anti-Korruptionsgesetz. Sie müsse nun leider mit auf die Wache kommen.

Der Apothekerin wird schwindelig. Eine Kundin in der Offizin fragt, ob ihr kleiner Sohn kurz die Toilette benutzen dürfe. Da fällt der Apothekerin der jüngste Hinweis ihrer Kammer ein – und weil die Polizisten noch da sind, will sie nicht noch mehr Ärger: Sie entschuldigt sich und sagt Nein. Den jungen Mann von der Lokalpresse am nächsten Morgen wird sie verpassen, weil sie noch immer in U-Haft sitzt. Erst gegen Mittag kann sie dem Untersuchungsrichter erklären, was Skonti sind – und ist wieder auf freiem Fuß.

Abseits solcher Fiktionen – Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat einen Entwurf zu seinem Anti-Korruptionsgesetz für das Gesundheitswesen. Bis zu drei Jahre ins Gefängnis müssen Ärzte und Apotheker, die sich bestechen lassen. In der Begründung zum Referentenentwurf gibt es auch einige Ausführungen zu den Preisvorschriften. Verstöße dagegen fallen tatsächlich unter den neuen Paragraphen im Strafgesetzbuch.

Dass Skonti der Apotheker in dieser Hinsicht problematisch werden könnten, glauben allerdings fast nur Großhandelsvertreter. Eine handelsübliche Entschädigung für eine vorfällige Zahlung sollte auch künftig unproblematisch sein. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hat ebenfalls schon durchblicken lassen, dass es bei Skonti nicht päpstlicher sein will als der Papst. Womöglich gibt es hierzu sogar noch eine Klarstellung des Gesetzgebers.

Bis dahin könnte in Aschaffenburg – lokal Aschebersch genannt – aber schon ein Gerichtsverfahren zu Skonti laufen, weil die Wettbewerbszentrale den Großhändler AEP verklagen will. Der kann sich über die ganze Debatte eigentlich nur freuen, bietet sie doch viele Möglichkeiten, auf die Intransparenz der Konkurrenz hinzuweisen. Macht nichts für die Wettbewerbszentrale, die plant sowieso noch ein Verfahren gegen Almased. Problematisch ist hier – natürlich –, dass Apotheker und Ärzte mit ihrem guten Namen für das Diätpulver stehen.

Auf die leichte Schulter nehmen sollten die Apotheker das Anti-Korruptionsgesetz aber lieber nicht. Auf den ersten Blick harmlose Gefälligkeiten könnten problematisch werden, auch Mietverträge mit Ärzten müssen sauber sein. Zumal Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Kreis der potentiellen Antragsteller erweitern möchte – um die Krankenkassen. Deren Meldungen über angebliche Massen von Abrechnugsbetrügern sind schon heute maximal reißerisch. Aber wenn die Prüfstellen jetzt noch die Chance bekommen, schwarze Schafe in den Bau zu schicken, wird der Ton kaum besonnener werden.

Dabei kann es sich der Berufsstand nun wirklich nicht leisten, einzelne Unvorsichtige vom täglichen GKV-Knast an die richtige JVA zu verlieren – es gibt sowieso immer weniger Apotheken. Das Apothekensterben ging auch 2014 weiter, wie die aktuellen Zahlen der Kammern belegen. Rund 350 Apothekerinnen und Apotheker haben im vergangenen Jahr zum letzten Mal hinter sich abgeschlossen, netto steht ein Verlust von 208.

Natürlich lässt ein Rückgang von 1 Prozent bei der Politik noch keine Alarmglocken schrillen – aber steter Tropfen höhlt eben auch die flächendeckende Versorgung. Die Tatsache, dass nicht nur die Patienten immer älter werden, sondern auch ihr Gegenüber auf der anderen Seite des HV-Tischs, stimmt da wenig zuversichtlich.

Die nächste Generation der Pharmazeuten wäre auch für die „Pille danach“ vermutlich hilfreich. Die soll nach einem fürchterlich unnötigen Durcheinander jetzt am 15. März als OTC vertrieben werden. Die ABDA hat es – anders als bei der Aut-idem-Liste – diesmal sogar geschafft, mit Erfolg auf die EDV-Stichtage zu verweisen. Glückwunsch. Im Rausch dieses Erfolges gibt es zum Verhüten von Beratungspannen gleich noch wertvolle Tipps für die Offizin. Noch geklärt werden soll, ob das heikle Thema Notfallkontrazeption im Versandhandel richtig aufgehoben ist.

Dabei müssen die Versender auf jeden OTC-Switch hoffen: Denn sie bekommen ihr größtes Problem einfach nicht in den Griff. Wer richtig krank ist und zum Onkel Doktor muss, will nach Stunden im Wartezimmer nicht auch noch tagelang auf sein verordnetes Arzneimittel warten. Rezepte wandern daher nach wie vor in die Apotheke vor Ort – will sagen, sie werden dahin getragen.

Die Berliner Versandapotheke Aponeo will den Kunden jetzt nicht nur sprichwörtlich entgegenkommen. In der Hauptstadt können Rx-Medikamente jetzt telefonisch bestellt werden. Der Paketdienstleister DHL holt die Rezepte ab, bringt sie zur Versandapotheke und nimmt die verschriebenen Arzneimittel mit. An den wirtschaftlichen Erfolg des Rezepttaxis glaubt man bei Aponeo auch noch nicht, es geht ein bisschen ums Prinzip. Trotzdem ist die Konkurrenz schon da: Apotal und DocMorris fangen noch eine Station früher an und holt sich Folgerezepte direkt vom Arzt.

Viel entscheidender für DocMorris war in dieser Woche aber die extrem kurze Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG). Endlich hat sich in der Republik ein Richter gefunden, die Rx-Boni-Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen will. Auch wenn in Heerlen angeblich schon gefeiert wurde, sollten man sich dort nicht zu sicher sein: Die Luxemburger Richter haben bekanntlich schon einmal entschieden, dass die Mitgliedstaaten nicht alles erlauben, was der Markt hergibt. Und damals war DocMorris sogar als Favorit ins Rennen gegangen.

Die Rollen sind auch an anderer Stelle so verteilt wie damals. Die binnenmarkthörige EU-Kommission steht treu an der Seite des Kapitals und will Deutschland womöglich verklagen, wenn die in der Preisbindung keine Ausnahme für EU-Versender gemacht wird. Die Sache zündet aber diesmal nicht so recht, das Vertragsverltzungsverfahren wurde nicht mit gewohnter Bissigkeit verfolgt. Dem hinter der Mahnung steckenden EU-Versandverband EAMSP kann das jetzt egal sein, dank eines ehrgeizigen Düsseldorfer Richters, der die Meinung von Deutschland Justizelite infrage stellt.

Derweil müssen sich die Kollegen hierzulande anderer Angriffe erwehren. Die Apothekerkammer Bayern will einen Apotheker vor das Berufsgericht zerren, weil er mit vermeintlich fiktiven Preisempfehlungen wirbt. Dumm nur, dass im Schriftverkehr herauskam, dass Teile des Kammervorstands ihre OTC-Rabatte auf dieselbe Weise anpreisen.

Mit einem Fuß im Knast standen Apotheker gefühlt schon 2011 einmal. Damals hatte die AOK ihren legendären Rabattvertrag über den Blutdrucksenker (!) Metoprololsuccinat abgeschlossen. Nur noch Betapharm durfte exklusiv liefern, lieferte aber exklusiv gar nichts. Weil Kassen auch schon mal trotz Sonder-PZN retaxieren, bedruckten einige Pharmazeuten die Rezepte kurzerhand falsch. Die Sache flog auf, als die AOK vom Betapharm den Herstellerrabatt für 30.000 Packungen einforderte, die der Hersteller trotz Gewissensbissen dann doch nicht zahlen wollen.

AOK-Rabattchef Dr. Christopher Hermann tobte, der Kassenfürst im Ländle drohte den Apothekern mit drakonischen Strafen. Von wegen Nullretax – die Staatsanwälte wurden losgeschickt, ein gestaffelter Strafkatalog entwickelt.

Viel heiße Luft, wie sich herausstellte. Die Staatsanwälte stellten die Ermittlungen ein. Auch mit ihren Vertragsstrafen ist die AOK auf Grund gelaufen. 9200 Euro sollte eine Apothekerin zahlen, weil sie das Phantom-Metoprolol vertrieben hatte. Die Richter fanden das unverhältnismäßig und schon deshalb unzulässig, weil sich die Kasse nicht mit dem LAV ins Benehmen gesetzt hatte – der war nämlich naturgemäß gegen die Strafe. Und so wurde die Apothekerin freigesprochen – von einem Sozialgericht! Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zuletzt sogar einen Zyto-Apotheker freigesprochen, weil früher alles nicht so richtig klar war. Es besteht also noch Hoffnung.

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