Center-Apotheken

Die Kaufland-Connection

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Berlin -

Dr. Fritz Oesterle geht zur Schwarz-Gruppe (Kaufland, Lidl). Was seine Aufgaben bei Deutschlands drittgrößtem Handelskonzern sein werden, ist zur Stunde nicht bekannt. Vermutlich soll der ehemalige Celesio-Chef seine Kontakte spielen lassen. Doch auch mit Apotheken hat man in Neckarsulm bereits Erfahrungen – genau genommen mit den sogenannten Kaufland-Apotheken: Dank persönlicher Beziehungen in den Konzernvorstand hatte eine Apothekerfamilie aus Baden-Württemberg jahrelang Zugriff auf die Standorte in den SB-Warenhäusern. Anwalt der Pharmazeuten in mehreren berufsrechtlichen Verfahren war eine Zeitlang kein Geringerer als Oesterle.

Als die Mauer fällt, beginnt in Neckarsulm die Arbeit: Die Handelsketten Lidl und Kaufland setzen an zum Sprung in den Osten. Viele Fäden laufen damals bei Konzernvorstand Richard Lohmiller zusammen, der rechten Hand von Firmenpatriarch Dietmar Schwarz. Vielleicht spricht Lohmiller irgendwann mit seinem Freund Fritz Schurer über die Expansionspläne. Die beiden Männer kennen sich seit Jahren, spielen zusammen Golf. Schurer ist Apotheker in Lohmillers Heimatstadt Bad Wimpfen – seine Familie wird den Konzern fortan als Entwickler der Kaufland-Apotheken begleiten.

In jenen Jahren geht es in Neckarsulm Schlag auf Schlag: Als im Mai 1990 an der Konzernzentrale die „Apotheke im Kaufland“ eröffnet, muss zunächst ein bekannter Apotheker als Inhaber einspringen: Denn Kirsten Fritsch, die Tochter von Schurer, muss erst noch ihr Studium in Frankfurt zu Ende bringen, bevor sie 1991 die Apotheke übernehmen kann.

Unterdessen bereitet ihr Mann den Einstieg in das Standort-Geschäft vor. Helmut Fritsch ist ebenfalls Apotheker und nimmt einen Betriebswirt mit an Bord: Am 1. August 1992 gründet er zusammen mit Joachim Birkle, einem befreundeten Mitarbeiter der Anzag in Stuttgart, im schwiegerelterlichen Haus in Bad Wimpfen eine An- und Vermietungsgesellschaft für Gewerbeflächen.

Doch die Musik spielt in den neuen Bundesländern. So übernimmt Schurer im August 1994 die Apotheke in Neckarsulm; der Rest der Familie zieht um: Kirsten Fritsch eröffnet Anfang 1995 die Apotheke im Paunsdorf Center in Leipzig, Helmut Fritsch die Apotheke im Kaufpark Eiche am östlichen Stadtrand von Berlin. Parallel beginnt die Suche nach Apothekern, um weitere Center-Standorte zu besetzen. Rekrutiert wird auch unter den jüngeren Angestellten in den eigenen Apotheken.

Den angehenden Kaufland-Apothekern winkt ein Komplett-Paket: Fritsch und Birkle entwickeln nicht nur das Konzept und vermieten die Fläche; sie kümmern sich auch um Finanz- und Steuerfragen, verleasen Einrichtung und EDV und schließen mit den Apothekern Beraterverträge. Bis zu 15.000 D-Mark landen so monatlich in der Tasche der Unternehmer – pro Apotheke.

Über die Jahre kommen mehrere Dutzend Standorte zusammen. Doch 2001 trennen sich Fritsch und Birkle; die Flächen werden aufgeteilt. Birkle gründet die Firma Sympateam und sucht sich neue Partner: Neben dem saarländischen Reimporteur Kohlpharma sind vorübergehend Manfred Seibold, Chef von Pro Medisoft, und MBDent, eine Betreibergesellschaft für Zahnarztpraxen, an Bord.

Im Juli 2004 starten Birkle und Kohl schließlich das Franchisekonzept Avie mit 25 Apotheken – nicht mehr nur in Kaufland-Märkten, sondern auch in anderen Einkaufszentren. Als Birkle die Systemzentrale 2007 mit großem Gepolter verlässt, nimmt er 38 der insgesamt 54 Apotheker mit. Dem damaligen Avie-Chef Dr. Thomas Kerckhoff zufolge sind die Pharmazeuten „nicht in der Lage, in wirtschaftlichen Fragen eigenständig und unabhängig zu entscheiden“. Woanders hat man weniger Berührungsängste: 2009, kurz nach dem EuGH-Urteil zum Fremdbesitzverbot, bringt Birkle seine Apotheker in Vitasco, ein Joint Venture mit der Anzag, ein. Der Frankfurter Großhändler hat ebenfalls Erfahrungen im Standort-Geschäft.

Fritsch macht im Alleingang weiter und stellt bis 2007 insgesamt 45 Standorte auf die Beine. Als Geschäftführer für die Firma „BRL Center“ engagiert er Jörg Finnern, einen ehemaligen Vertriebsleiter der Sanacorp in Potsdam. Es gibt viel zu tun, denn die Welt von Kaufland ist seit der Expansion ins osteuropäische Ausland größer geworden: In Tschechien und Polen stellt BRL echte Apothekenketten auf die Beine, die 2005 an die slowakische Investgruppe Penta verkauft werden.

Doch auch in Deutschland eröffnen sich neue Möglichkeiten: Die Apotheke im Paunsdorf Center steigt unter dem Namen Apo-Discounter im großen Stil in den Versandhandel ein. 2007 wird in Markkleeberg ein 2800 Quadratmeter großes Logistikzentrum eröffnet; die Investitionskosten von 6 Millionen Euro finanziert GE Capital vor. Während sich das Unternehmen zu einer Firmengruppe mausert, ergibt sich allmählich ein einheitliches Muster: Die Kaufland-Apotheken treten jetzt unter demselben Markenbild auf wie die Versandapotheke.

Dass die Vermieter überraschend bei ihren Apothekern vorbeisehen, ist eher unwahrscheinlich: Birkle ist heute im südfranzösischen Grasse zu Hause. Mit Vitasco hat er operativ nichts mehr am Hut – nur wenn er an seinen Standorten gebraucht wird, reist er nach Deutschland. Helmut und Kirsten Fritsch sind zumindest zeitweise in Naples in Florida, wo sie ebenfalls im Bereich Center-Immobilien aktiv zu sein scheinen.

So viel Unternehmertum hat seinen Preis: In der Apotheke in Leipzig hing eine Zeitlang eine Dienstanweisung für den Fall, dass der Pharmazierat überraschend vorbeisieht und die Chefs geschäftlich unterwegs sind: „Die Zeit, indem derjenige nach hinten geht, um nachzuschauen, ob Herr/Frau Fritsch da ist, kann alles, was Faxe anbelangt, beseitigt werden und das Faxgerät außer Betrieb gesetzt werden.“

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