Cannabis-Apotheker

„Patienten Wegschicken ist ein No-Go“

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Berlin -

Die Beratung zu medizinischem Cannabis gehört in die Apotheke, davon geht Michael Becker aus. Der Inhaber der Lender-Apotheke in Sasbach versorgt selbst Cannabis-Patienten und kennt die Sorgen der Kollegen. Dass manche Apotheken mitunter Kunden wegschickten, sei ein No-Go, kritisiert er. Aus seiner Sicht liegt der „Cannabis Frust“ einiger Kollegen an fehlenden Information, der Retaxgefahr, der teuren Analytik sowie diskutierenden Patienten.

Seit März 2017 übernehmen die Kassen die Kosten für die Therapie mit Cannabis. Immer mehr Ärzte verschreiben Blüten und Extrakte etwa bei Patienten mit Spastiken bei Multipler Sklerose, Angst- und Schlafstörungen oder chronischen Schmerzen. „Da Cannabis eigentlich nie die First-Line-Therapie darstellt, kommt der Wunsch nach dieser nicht selten vom Patienten selbst“, sagt Becker.

Die Betroffenen seien in der Regel sehr gut informiert. Das könne zu Verunsicherung und Frust im Handverkauf führen. „Cannabis-Patienten bevormunden in wenigen Fällen sogar manchmal die Therapeuten“, so Becker. Ein Klassiker sei die Unterstellung, Apotheker würden sich aufgrund fehlender persönlicher Erfahrung nicht auskennen. „Das ist natürlich schlicht an den Haaren herbeigezogen.“

Bei Cannabis handele es sich in diesen Fällen um Medizin, dadurch gehöre die Information darüber und die Beratung der Kunden in die Apotheke. „Als Arzneimittelfachmann kann man mit dem erworbenen Fachwissen überzeugend beraten und mit ein wenig rhetorischen Feingefühl auch schwierige Kunden für sich gewinnen.“

Becker wünscht sich mehr Schulungen für Apotheken. Wer sich weiterbilden will, erhalte aktuelle Informationen zum Thema zwar auf Schmerzkongressen und bei Fortbildungsveranstaltungen der Kammern und Verbände. „In Anbetracht der Brisanz und Aktualität dieses Themas sollte allerdings hinterfragt werden, ob eine Steigerung der Frequenz solcher Veranstaltungen nicht ratsam wäre“, sagt er.

Insbesondere vor dem Hintergrund der Vermeidung von Retaxationen, sollte die Information ausgeweitet werden. „Welche Sonder-PZN ist wann zu verwenden? Was ist hinsichtlich Taxation und Bedruckung zu beachten? Ermöglicht das Gesetz dem Arzt die Verordnung schon, wenn 'eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht'“, seien wichtige, verbindlich zu klärende Fragen. „Man fragt sich doch, warum den Apothekern hier wieder durch formelle Fallen, Stöcke zwischen die Beine geworfen werden.“

In der Apothekerschaft gibt es laut Becker mehrere Lager: „Cannabis spaltet nach wie vor die Apotheker.“ Einige wenige hätten sich richtiggehend professionalisiert. Bei einem nicht unbedeutenden Teil herrsche dagegen große Unsicherheit. „Einzelne versuchen sogar einen Bogen um das Thema zu machen, verweisen hierbei lieber an den gut informierten Kollegen im Nachbarort“, sagt er. Das sei normalerweise ein absolutes No-Go.

Die Gründe hierfür seien zahlreich, aber nicht immer verständlich, sagt er. „Es beginnt mit dem Kampf um Beschaffung der Blüten, die nach wie vor immer wieder defekt sind.“ Die mangelhafte Lieferfähigkeit sollte jedoch keinen Hinderungsgrund darstellen, denn Defekte fänden sich leider im kompletten Arzneimittelsortiment. „Die teilweise sehr mühsame Beschaffung von Arzneimitteln, somit auch von Importen gehört doch mittlerweile zum Tagesgeschäft jeder Apotheke.“

Für besonders viel Unmut bei den Apothekern sorge die aufwendige und teure Analytik bei den Extrakten und Harzen. „Für die geforderte Dünnschichtchromatographie sollte man schon eine Stunde Zeit einplanen, die Referenzsubstanzen sind teuer und müssen bei -20 °C gelagert werden, damit die Stabilität gewährleistet bleibt.“ Wenn der gewünschte Erfolg ausbleibe, werde der Therapieversuch nicht selten zum Zuschussgeschäft für die Apotheke.

Doch auch wenn die Therapie „wenig komfortabel und ungenau“ erscheine, sollten sich ihr Apotheker widmen. Denn die Pharmakologie sei höchst interessant und liefere für die Zukunft viele therapeutische Ansatzpunkte. „Seit Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes erleben wir einen nahezu exponentiellen Anstieg klinischer Studien.“ Auch wenn deren Qualität im Einzelnen geprüft werden müsse, sei dies prinzipiell eine erfreuliche Entwicklung, die Entscheidungs- und Handlungshilfen liefern könne.

Die Studien sollen laut Becker die Vielfalt im Cannabisblütenmarkt betrachten. „Der Nutzen der verwirrenden Vielzahl an Varietäten und deren medizinischen Vorteile wird von vielen Apothekern schon länger hinterfragt.“ Auch bei schwacher Datenlage dürfe man nicht vergessen, dass die Aufgabe des Apothekers ist, Menschen zu helfen. „Stellt die Cannabistherapie auch oftmals keine Lösung für die Masse dar, kann diese doch im Einzelfall durchaus berechtigt und erfolgreich sein.“

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