Zyto-Pfusch

„Der Apotheker muss seine Unschuld beweisen“

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Berlin -

„Ein besonders abartiger Fall von Habgier.“ Patientenanwältin Sabrina Diehl geht hart mit Peter S. ins Gericht. Mindestens 40.000 Infusionen zur Krebsimmuntherapie soll der Bottroper Apotheker gestreckt haben. Während die Staatsanwaltschaft an der Beweiskette für das Strafverfahren arbeitet, bereitet Diehl Schadenersatzklagen für die Opfer beziehungsweise ihre Hinterbliebenen vor. Sie geht davon aus, dass sich aufgrund der Indizien die Beweislast umkehrt. „Der Apotheker muss seine Unschuld beweisen“, sagt sie.

Diehl vertritt aktuell drei Geschädigte, darunter den Witwer einer verstorbenen Krebspatientin und zwei Patienten, bei denen die Therapie wegen der mutmaßlichen Panscherei verzögert wurde. Dass bei ihnen jeweils Infusionslösungen eingesetzt wurden, die in der Apotheke von Peter S. hergestellt wurde, lässt sich laut Diehl zweifelsfrei belegen. Tatsache sei auch, dass sich unter der Behandlung die Tumormarker nicht verbessert, sondern verschlechtert hätten. Nach dem Wechsel der Apotheke habe die Therapie dagegen angeschlagen.

Damit sind laut Diehl die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr erfüllt. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) heißt es dazu: „Liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.“ Nicht der Patient muss also nachweisen, dass der Fehler zum gesundheitlichen Schaden geführt hat. Vielmehr muss der Behandelnde belegen, dass es keinen kausalen Zusammenhang gibt.

Der Paragraf gilt streng genommen nur für Ärzte, laut Diehl lässt er sich aber auf den Fall des Pfusch-Apothekers übertragen. Die Anwältin spricht von einem Präzedenzfall: „So etwas habe ich in meiner Laufbahn noch nicht erlebt. Das ist ein besonders abartiger Fall, in dem aus reiner Habgier die Gefährdung der Patienten zumindest billigend in Kauf genommen wurde.“

Nach Ansicht von Diehl muss nun der Apotheker beweisen, dass ihre Mandanten nicht Opfer seiner Betrugstaten geworden sind. Das dürfte schwierig werden, denn S. hat nach derzeitigem Ermittlungsstand kein Protokoll über seine illegalen Machenschaften geführt. Von zehn Patienten wurden Blutproben genommen, anhand derer die Konzentration der verabreichten Infusionslösungen bestimmt werden sollte. Die Staatsanwaltschaft hatte auch darüber nachgedacht, Patienten zu exhumieren., diese Idee wurde aber verworfen, weil keine passenden Fälle ausfindig gemacht werden konnten.

Während der Nachweis im Strafverfahren zum Problem werden könnte, muss S. in möglichen Prozessen um Schadenersatzansprüche versuchen, sich selbst aus der Affäre zu ziehen. Andere Fälle, in denen die Beweiskette lückenhaft ist, nimmt die Anwältin daher derzeit nicht an.

Dass die falsche Dosis geeignet sei, einen gesundheitlichen Schaden zu verursachen, müsste ein Gutachter bewerten. Diehl hat aber keinen Zweifel, dass auch dieser Nachweis erbracht wird: Immerhin sei die Therapie ihrer Mandanten auf Heilung ausgelegt gewesen – und ohne Aussicht auf Erfolg hätte man sich die Behandlung schenken können. „Hier ging es nicht um Palliativmedizin.“

Kann die Anwältin die Richter überzeugen, muss der Apotheker Schadenersatz zahlen. Das kann die Aufwendungen für Folgeschäden betreffen bis hin zu Beerdigungskosten und auch ein Schmerzensgeld, das im Todesfall auf die Angehörigen übergeht. Wie hoch die Summe ausfallen wird, weiß Diehl noch nicht. 50.000 Euro seien aber als Minimum pro Fall anzusehen. Immerhin gehe es darum, den Opfern ein Minimum an Genugtuung zu verschaffen. Da Leben und Gesundheit sich nicht ersetzen ließen, sei Schmerzensgeld das einzig mögliche Mittel. Und da S. zwar sehr wohlhabend, aber offenbar sehr gierig sei, sollte die Strafe laut Diehl auch spürbar sein.

So weit ist das Verfahren aber noch nicht. Diehl hat den Anwalt des Apothekers angeschrieben und wartet nun auf Antwort. Sollte S. die Ansprüche nicht anerkennen, will sie vor Gericht ziehen. Juristisch zielt die Klage dann auf Körperverletzung und Vertragsverletzung ab. Erschwerende Gründe wie bedingter Vorsatz oder Heimtücke spielen dann allenfalls bei der Bemessung eines möglichen Schmerzensgelds eine Rolle.

Dass die Haftpflichtversicherung im Falle einer Verurteilung einspringt, ist unwahrscheinlich: Bei Vorsatz zahlt in der Regel keine Versicherung – S. und seine Familie müssten das Geld aus dem eigenen Vermögen aufbringen.

Der Ausgang des Strafverfahrens ist laut Diehl für das Zivilverfahren nicht entscheidend. Die Staatsanwaltschaft muss den schwierigen Nachweis erbringen, welche Patienten tatsächlich im Einzelfall durch die mutmaßlich gestreckten Lösungen geschädigt wurden. Gelingt der Nachweis, droht S. eine Anklage wegen Tötungsdelikten bis hin zu Mord. Doch auch im Fall einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetzes und gewerbsmäßigen Betruges drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.

Der 46-jährige Apotheker sitzt in Untersuchungshaft, seit am 29. November seine Geschäfts- und Privaträume durchsucht wurden. Mehrere Wochen lang war zuvor ermittelt worden, ein Abgleich von Abrechnungen und Lieferscheinen ergab Diskrepanzen.

Anfang Dezember berichtete die Bild-Zeitung, dass eine Angestellte ihrem damaligen Ehemann offenbart hatte, dass in der Apotheke Infusionslösungen gestreckt wurden. Sie soll darüber hinaus berichtet haben, dass zurückgenommene, bereits abgerechnete Infusionen erneut benutzt wurden: Teilweise sollen Altmischungen einfach für andere Patienten ausgegeben worden sein, zu denen sie überhaupt nicht passten, so die Bild. Der Mann habe auf der Grundlage der Aussagen seiner Ex-Frau den Fall zur Anzeige gebracht.

In Bottrop staunte man über das „Doppelleben“ des Apothekers: S. habe Spendenläufe organisiert, sich in der Hospiz- und Flüchtlingsarbeit engagiert und als Geschäftsmann in seiner Heimatstadt große Summen vor allem in Immobilien investiert, schrieb etwa die Rheinische Post. Bekannte beschreiben die Familie als wohlhabend; die Apotheke wurde bereits seit mehreren Generationen geführt.

Zum Jubiläum wurde ein großes Fest veranstaltet, auch zur Presse hatte S. ein gutes Verhältnis. Zur Eröffnung der neuen Reinräume im Jahr 2014 gab er in einem Interview zu Protokoll, dass er sich der Verantwortung bei der Sterilherstellung bewusst sei: „Ich habe da schon ziemlichen Respekt. Das ist man auch dem Patienten schuldig.“ Schließlich könnten Fehler bei der Dosierung fatale Folgen haben.

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